Cottingley Fairies

Die Urmütter von 4chan

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Das Imageboard 4chan nutzen Personen, die nicht nur mit Bildbearbeitungsprogrammen umgehen können, sondern häufig auch eine gewisse Lust an Streichen haben, die man mit solchen Fähigkeiten anstellen kann. So brachten sie beispielsweise den HTML-Code für das Hakenkreuzsymbol, den Satz "Scientology is a Cult" und ein auf dem Kopf stehendes "Fuck you google" an die Spitze der "Hot-Trends"-Liste des Suchmaschinenmarktführers. Außerdem hievten sie nicht nur den Boardgründer Christopher Poole ("moot") längere Zeit auf Platz 1 der Time-Magazine-Abstimmung über die einflusstreichste Person des Jahres 2008, sondern ordneten auch die nachfolgenden Kandidaten genau so an, dass ihre Anfangsbuchstaben den Satz "Marble cake also the game" ergaben, der auf einen IRC-Channel anspielt, in dem Pläne gegen die Netzzensoren von Scientology geschmiedet werden.

In mehrerlei Hinsicht Vorläufer von 4chan sind zwei Mädchen aus dem englischen Cottingley, die in den späten 1910er und frühen 1920er Jahren mit auf ausgesprochen einfache Weise hergestellten Feenbildern die damalige Welt in Verzückung versetzten. 1917, als die erste dieser Trickfotografien entstanden, war Elsie Wright 16 Jahre alt, ihre Cousine Frances Griffiths 10. Elsie war nicht nur eine begabte Malerin, die das Bradford Art College besuchte, sondern arbeitete während des Weltkrieges auch bei einem Postkartenhersteller, wo sie angeblich die Aufgabe hatte, Fotos zu montieren, auf denen gefallene Soldaten gemeinsam mit ihren Lieben zu sehen waren.

Das Mädchen lieh sich von ihrem Vater dessen Butcher Midg. No. 1, um eine unglaubwürdige Ausrede ihrer Cousine mit einem Bild zu beweisen. Als Elsie neben dem ersten Feenfoto auch noch ein zweites mit einem Zwerg anfertigte, verbot ihr Arthur Wright den weiteren Gebrauch der Kamera. Ihre Mutter Polly jedoch, die auch an außerkörperliche Erfahrungen und Wiedergeburt glaubte, nahm das auf den Fotografien Abgebildete für bare Münze und erzählte zwei Jahre später auf einem Feen-Vortrag der theosophischen Gesellschaft in Bradford davon. Auf diesem Wege gelangten die Bilder in die Hände des Theosophen Edward L. Gardner, der die Aufnahmen von dem "Experten" Harold Snelling prüfen ließ, welcher sie für echt erklärte. Dabei spielte auch ein durch den Wind zufällig hervorgerufener Effekt eine Rolle: Denn was ihn am meisten überzeugt hatte, so Snelling, war, dass sich die Figuren während der Aufnahmen ein wenig bewegt hatten.

Zum berühmtesten Advokaten für eine Echtheit der Fotos entwickelte sich ausgerechnet Sir Arthur Conan Doyle, der Schöpfer der Detektivfigur Sherlock Holmes. 1920 schrieb er zwei Artikel für das Strand Magazine, durch welche das Werk der beiden Mädchen zu einem Ereignis wurde, das auch die Tageszeitungen debattierten.

Dazu, dass die Fotos von vielen Zeitgenossen für echt gehalten wurden, trugen auch die phantasievollen Beschreibungen der Mädchen bei, welche die Flügel der weiß gekleideten Feen in den schillerndsten Grün- und Violettönen schilderten. Der Zwerg, der auf der zweiten Fotografie auf Elsies Hand steigt, hatte ihrer Aussage nach kein wirklich wahrnehmbares Gewicht, sondern verursachte nur ein Gefühl wie ein leichtes Hauchen.

Viele der damals Feengläubigen wirken heute wie Belege für die alte Weisheit aus der Werbebranche, dass man mit Kindern alles verkaufen kann: Der Schriftsteller Henry de Vere Stacpoole etwa schrieb an Gardner, dass man sich nur die Gesichter der Mädchen auf den Bildern ansehen müsse, um zu wissen, dass sie die Wahrheit sagen würden - denn so eine Wahrhaftigkeit könne auch der geschickteste Fälscher nicht imitieren.

Die Skeptiker störten sich unter anderem an den "Pariser" Frisuren der Feen, hinter denen manche eine umherziehende Truppe von Showgirls vermuteten. Einige Zeitungen nahmen allerdings auch eine proto-postmoderne Perspektive ein, in der sie für eine Art hedonistisch-absichtlichen Irrationalismus plädierten. So schrieb etwa der South Wales Argus am 27. November 1920: "The day we kill our Santa Claus with our statistics we shall have plunged a glorious world into deepest darkness".

Für die City News vom 29. Januar 1921 waren dagegen die Möglichkeiten zum Manipulieren von Fotos ähnlich weltbilderschütternd wie das, was die beiden Mädchen darauf abgebildet hatten: "It seems at this point that we must either believe in the almost incredible mystery of the fairy or in the almost incredible wonders of faked photographs".

Erst 1978 entdeckte James Randi die auffällige Ähnlichkeit der Feen mit Illustrationen aus dem 1915 erschienenen Princess Mary's Gift Book. 1983 gaben die beiden Cousinen zu, dass Elsie die Figuren nach Vorlagen aus diesem Kinderbuch gemalt und ausgeschnitten hatte. Für die Fotos wurden sie mit Hutnadeln drapiert. Allerdings seinen nur vier der insgesamt fünf Bilder auf diese Weise entstanden. Das fünfte, so behaupteten sie bis zu ihrem Tode, zeige dagegen natürliche Feen.