Culture Jamming

Im Gespräch mit Craig Baldwin

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Der amerikanische Filmemacher und "Medienarchäologe" Craig Baldwin arbeitet seit über 20 Jahren an einer neuen Form von "Kino". Seine Filme, die er selbst als "compilations narrative" bezeichnet, sind hyperreferentielle und vielschichtige Collagen aus medialen Fundstücken, sog. "Found Footage": Archivaufnahmen, Nachrichtensendungen, Radiobeiträgen, B-Movie-Schnipseln, Industrie- und Lehrfilmen etc.. Aus diesem "historischen" Material entwickelt Baldwin neue, semi-fiktionale Erzählungen, die dekonstruktivistisch gegen eine offizielle Geschichtsschreibung agitieren. Er rekonstruiert eine Parallelhistorie, deren Bilder zwar offen zu Tage liegen, aber in den historischen Kanon keinen Zugang gefunden haben. Zwischen Experiment, Agit Prop und hysterischer Verschwörungstheorie pendelnd, fährt Baldwin in seinen Filmen "RocketKitKongoKit" (1986), "Tribulation 99" (1991) oder "Spectres of the Spectrum" (1999) umfassende Bilderarsenale auf, die den Fluss der medial kolportierten Bilder neu ordnen. Gleichzeitig fungiert seine Filmgalerie Other Cinema in San Francisco seit inzwischen 16 Jahren als realer Knotenpunkt des virtuellen Netzwerks amerikanischer "Culture Jamming"-Aktivisten wie der Band Negativeland oder den Organisationen Animal Charm und RTmark. Im April war Baldwin mit einer kleinen Auswahl an Videobeiträgen auf Deutschland-Tour, um ausserhalb eines überschaubaren Spezialistenkreises die Arbeiten und verschiedenen Praktiken der amerikanischen Videoaktivisten vorzustellen.

Du bist gerade mit einer ganzen Kompilation von aktuellen "Culture Jamming"-Videos auf Tour. Ist die Subversion eines solchen Pranks heute überhaupt noch ein effizientes Mittel, um politische oder ökonomische Missstände zu kritisieren?

Baldwin: Erst einmal ist ein Prank natürlich nicht per se politisch. Es ist nur eine von vielen Taktiken, wie es auch nicht die einzige ist, mit der man eine Kritik formulieren kann. Das ist allerdings die Sorte von Prank, die mich interessiert. Für mich als Visual Artist z.B.. ist der humoristische Ansatz am praktikabelsten, weil ich schon seit fast 20 Jahren mit "Found Footage" arbeite. Gerade weil das Bild immer noch so absolutistisch gesehen wird, kann man es sehr leicht gegen seine ursprüngliche Bedeutung verwenden. Auch wenn die direkten Auswirkungen auf das Tagesgeschehen natürlich relativ begrenzt sind.

Wie werden die Aktivitäten von "Cultural Jammern" in den USA wahrgenommen? Gibt es ein Netzwerk?

A. Nein, es gibt lediglich Leute wie mich, die mit ihren geringen Möglichkeiten versuchen, diesen Gruppierungen ein Forum zu bieten. In meiner Galerie "Other Cinema" in San Francisco veranstalte ich regelmäßig Filmabende mit solchem subversiven Material. Der Name ist programmatisch: Es geht nicht nur um Filmgeschichte, es geht auch um politische Intervention und die Pflege einer aktiven Subkultur. Verschiedene Universitäten bieten "Culture Jamming" mittlerweile sogar schon als Lehrfach an. Es wird also langsam vom Mainstream absorbiert, was vielen Aktivisten gar nicht passt. Ich finde diese Entwicklung allerdings nur vernünftig, weil es das Bewusstsein für unsere mediatisierte Welt schärft.

Aber diese Mainstreamisierung hat gleichzeitig zur Folge, das der "subversive" Code geknackt wird und damit auch jeder Werbe- und Graphikagentur zur Verfügung steht. Wenn man sich heute in der Werbung umsieht, hat man eine Menge Korporationen, die sich die diese Systemkritik a priori einverleibt haben. Die Kampagnen von Benetton z.B. sind Medien- und Gesellschaftskritik im besten Sinne, nur besteht der "Prank" vor allem darin, dass die Company diese Perspektive selbst einnimmt und als Image vermarktet. Das ist der wirklich subversiven Praxis natürlich abträglich und führt außerdem zu einem Ironie-Rollback, der auf lange Sicht Kritik in jeglicher Form zur bloßen Attitüde verkommen lässt. Wie kann "Cultural Jamming" dagegen vorgehen?

Baldwin: Eine gute Frage. Diese Institutionalisierung von Subversion bzw. Kritik ist ein alter Hut. Schon die Dadaisten, die ich als Prototypus des "Culture Jammers" betrachte, sind irgendwann vom Kunstbetrieb vereinnahmt worden. Was heute in der Werbung geschieht, ist natürlich noch um einiges avancierter. Viele von den Leuten, die jetzt in der Werbung arbeiten, sind mit den Neuen Medien aufgewachsen. "Culture Jamming" ist natürlich nicht die ultimative Protestform. Es ist ein sehr taktische Form, eine kleine Geste, die nie die Tiefe eines politischen Essays besitzen kann. Ähnlich wie in einer politischen Karikatur besteht die Kunst darin, eine fundierte Kritik oder Analyse in einem einzigen Bild zu formulieren. In unserer visuellen Welt ist aber selbst das entfremdete Bild nicht vor der Entfremdung sicher. "Culture Jamming" ist aber auch dahingehend ein wichtiger Ausdruck, dass man die Technologien nicht einfach "den anderen" überlässt, sondern sie sich selbst gleichfalls zu Nutze macht. Das ist auch der Grund, warum ich mit "Found Footage" arbeite, und es seinem ursprünglichen Kontext entreiße. Die Notwendigkeit einer Beziehung zwischen Image und Bedeutung ist in der "Corporate Culture" durch die Fetischisierung des Trademarks völlig unterminiert worden. Naomi Klein hat diese Politik der Konzerne und deren Auswirkung auf die Gesellschaft in ihrem Buch "No Logo" sehr anschaulich dargestellt. Heute heißt das "Cultural Branding". Momentan ist "Culture Jamming" eine Schlacht an dieser Front. Das ist unsere Form der Politik; die Politik der Semiotik.

Wird das Konzept von "Culture Jamming" also umso wichtiger, je mehr die Mediatisierung von Images fortschreitet?

Baldwin: Ganz sicher. Weil sich hier die Kritik am Objekt in direktester Form ausdrückt. Diese Strategie ist die logische Konsequenz der Welt, in der wir leben. Es ist ja nun nicht so, dass irgendjemand aufsteht und aus heiterem Himmel einen Strategiewechsel vorschlägt. Dieser Aktivismus ist ein ganz normaler Reflex auf diese komplexe Matrix von Media-Images, im Stadtbild z.B..

Die Diskussion im "Mikro Lab" morgen läuft unter dem Titel "Videoaktivismus unter Bush". Gibt es Brüche in den Strategien amerikanischer Videoaktivisten, die sich auf eine veränderte Regierungspolitik zurückführen lassen? Welchen Stellenwert hat Videoaktivismus heute in der amerikanischen Linken z.B.?

Baldwin: Die Diskussion morgen läuft unter einem aktuellen, sehr griffigen Schlagwort. Natürlich hat sich in den letzten 15 Jahren an der Praxis einiges geändert, aber das hatte nie einen Bezug zur Regierungspolitik, weder zur Zeit von Reagan noch von Bush oder Clinton. Die amerikanischen Videoaktivisten waren auch noch nie in irgendeiner Form organisiert. Es sind meistens Einzelpersonen oder kleine, anonym operierende Gruppen, die einfach von dieser oder jenen politischen, ökonomischen oder sozialen Entwicklung im Land angepisst sind und mit ihren Mitteln agitieren. Es gibt wenig Schnittstellen mit der klassischen amerikanischen Linken, wie andererseits auch nur ein kleiner Teil der Videoaktivisten "politisch" arbeiten. Das meiste spielt sich im Feld experimenteller Videokunst ab. Die Zahl von Agit Prop-Videoprojekten hat in den letzten Jahren aber in der Tat zugenommen. Vor allem natürlich durch das Internet und die Entwicklung von immer kleineren billigeren Kameras. Genau das verdeutlicht die WTO/Seattle-Dokumentation "Breaking the Spell" aus meinem mitgebrachten Programm auch: es ist eine neue Form von politischem Film, den eine einzige Person machen kann - zuhause an seinem Computer. Eine Art von Selbstermächtigung durch Miniaturisierung. Gleichzeitig aber wächst die Community durch das Internet auch. Das Modell RTmarks ist das beste Beispiel dafür, wie das Internet die Vernetzung von marginalisierten Aktivisten gefördert hat.

RTmark sind auch dahingehend ein sehr gutes Beispiel, dass sie mit der Adaption eines Corporate Designs momentan wahrscheinlich die am meisten zielgerichtete Strategie verfolgen. Ihre "Sabotage-Börse" persifliert kapitalistische Mechanismen und Leistungsstreben, dient aber ganz im Gegenteil als zentrale Plattform für "Corporate Hackings". RTmark hat sich so ebenfalls als Trademark etabliert.

Baldwin: Darin liegt das "Subversionspotential". Viele der Videoaktivisten verstehen sich auch nicht als Künstler, sondern eher als "Cultural Worker", kommen z.T. sogar selbst aus der Industrie. Ich präsentiere mein "Culture Jamming"-Programm vor dem Hintergrund von sog. Videokunst. Videoaktivismus dagegen kann nur funktionieren, wenn das Produkt das Kunst-Ghetto verlässt und unauffällig in den Verwertungskreislauf oder die Massenmedienkanäle gespeist wird. Der "Hack" unterscheidet sich nur in der Botschaft noch von den dort angebotenen Produkten, nicht aber im Design. Bestenfalls erzeugt diese Botschaft Rückkopplungseffekte oder Störungen an "öffentlichen Plätzen". Vergleichsweise harmlos wäre es z.B., eine Nachricht zu erfinden um zu sehen, welchen Weg sie durch die Massenmedienkanäle geht. Es ist die Fortsetzung von Warhols Politik, den PR-Apparat wie ein künstlerisches Tool zu benutzen. In Chicago läuft z.B. gerade ein Prozess gegen eine Privatperson, die zur letzten Präsidentschaftswahl im Internet einen Marktplatz für den Verkauf von Wahlstimmen eröffnet hat. Der Tausch "Geld gegen Wahlstimme" ist rechtlich natürlich überhaupt nicht praktikabel, trotzdem hat ihn dieser Prank durch die Mühlen der Massenmedien bis vors Gericht gebracht.

Genau an diesem Punkt der beliebigen Vermittelbarkeit von Informationen setzen ja auch deine eigenen Filme an. Durch Entwendung und Rekontextualisierung von historischem "Found Footage" greifst du die Gewissheit der Autorität des Bildes an.

Baldwin: Genau, das ist ein sehr situationistischer Ansatz. Es gibt das Bild, und es gibt die Bedeutung, und das Verhältnis zwischen beiden ist verhandelbar. Wenn du das Coca Cola-Logo siehst, siehst du auch sofort seine Bedeutung. Bild und Bedeutung sind identisch, so funktioniert die "Brand Culture". Ich versuche, mit den Bildern zu spielen, um ihnen neue Bedeutungen zu entlocken.

Was du vorhin Politik der Semiotik bezeichnet hast, ist in deinem Fall aber eher eine Art Geschichtsrevisionismus. Du untersuchst die Medien-, Technik- oder Kolonialgeschichte nach versteinerten Spuren und "erfindest" eine Parallelhistorie.

Baldwin: Deswegen benutze ich auch nicht ausschließlich Archivmaterial. Archivfilme benutzen diese Historie auf eine Art, die absolut selbstevident ist. Es geht aber darum, die offizielle Geschichte anhand der verschütteten Fakten zu re-interpretieren. Geschichte ist ein Konstrukt, eine große mediale Erzählung.

Q. Und wie Debord verwendest du die narrative, semi-fiktive Form, um die Narrativität der Geschichte zu verdeutlichen.

Baldwin: Natürlich erhebe ich keinen Anspruch auf das absolute Wissen. Was ich tue, ist lediglich die offizielle Geschichte mit vielen anderen Geschichtsversionen zu umspinnen. Die Geschichte ist nie etwas anderes als eine Erzählung gewesen, nur wächst der Anspruch auf Autorität in demselben Maße, wie die Technologien Einfluss auf die Geschichtsschreibung nehmen. Und heute sind das eben die Medien. Wir haben gut achtzig Jahre an medialer Repräsentation von Geschichte hinter uns. Und das ist mein Kritikpunkt.

Welche Mechanismen arbeiten deiner Meinung nach bei der Manipulation der Geschichtsrepräsentation? Wie können Ereignisse oder Personen einfach aus dem medialen Gedächtnis gelöscht werden?

Baldwin: Das ist ein ganz normaler historischer Prozess, der durch die Mediatisierung nur beschleunigt wurde. Ich sehe darin keine Verschwörung von Regierungen oder Korporationen, wie es mir öfter unterstellt wird.

Aber es ist doch so, dass das "Verschwinden" unliebsamer Personen durch die rasanten Veränderungen der technischen Standards, die eine mediale Geschichte erst abrufbar machen, bedingt wird. Irgendwann haben wir dann zwar noch das Material, aber nicht mehr die technischen Möglichkeiten, darauf zugreifen zu können.

Baldwin: Darum geht es in meinem letzten Film "Spectres of the Spectrum". Viele von dem dafür verwendeten Material kommt von Speichermedien, die längst nicht mehr im Handel sind. Es sind heute schon Raritäten. Erfinder wie Nikola Tesla oder Philo P. Farnsworth sind natürlich nicht aus dem Gedächtnis gelöscht worden, aber ihre Schicksale sind heute schlicht vergessen. Mit "Spectres" habe ich solche Informationen für die Allgemeinheit konvertiert. Das verstehe ich unter "Medienarchäologie". Ganz ähnlich wie Bruce Sterlings "Dead Media"-Projekt. Aber während Sterling mehr die Verwalter-Rolle übernommen hat, versuche ich, die Informationen/Bilder als "Fiktion" wieder in die Medienkanäle einzuspeisen und arbeiten zu lassen.