CyberSociety

Ein neuer Versuch, der von Computern geherrschten Gesellschaft einen Namen zu geben

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An Namen oder Etiketten des Neuen fehlt es uns nicht. Achim Bühl hat einen neuen geschaffen - die CyberSociety. Sein Buch ist informativ, aber eine wirklich neue oder eigenständige Perspektive oder Deutung wird in ihm nicht geleistet.

Ständig versuchen wir, der Gesellschaft unserer Epoche einen Namen zu geben, der ihre geschichtliche Neuheit und den Abstand zu den vorherigen Gesellschaftstypen zum Ausdruck bringt. Das würde möglicherweise Orientierung schaffen, da wir uns dann in einen geschichtlichen Prozeß stellen, den wir ja ständig von der Gegenwart ausgehend in seinen Etappen konstruieren müssen. Ein Begriff, der die Situation unserer Zeit zusammenfasst und erhellt, würde auch der Verständigung dienen, dumm ist nur, daß sich Zeitgenossen kaum bereit finden, sich auf einen Namen einzuschwören, sondern sich in einer permanenten Jagd nach neuen, originellen befinden, mit denen sie sich im Zeichen der Aufmerksamkeitsattraktion von den anderen abzusetzen versuchen und so meist nur einen Label innerhalb der Theorieproduktion schaffen.

Je nach der Perspektive, aus der wir unsere Gesellschaft wahrnehmen und welche Strukturen oder Prozesse wir als die zentralen betrachten, schwanken auch die Namen und damit das Selbstverständnis, das wir uns und unseren Zeitgenossen aufzuprägen suchen. Technisch gesehen haben wir uns etwa von der Eisenzeit über das Maschinen- oder Industriezeitalter in das Computerzeitalter oder gar ins postbiologische Zeitalter bewegt. Vom Standpunkt der Ideologie sollen wir uns im postmodernen oder posthistorischen Zeitalter befinden. Früher sprach man von der Konsum-, Freizeit- oder Dienstleistungsgesellschaft, kurz leuchtete die Risikogesellschaft auf, jetzt drängen neue Metaphern von vorne, die den Übergang in eine Welt erfassen sollen, die vom Computer, der Universalmaschine, begründet und beherrscht wird: das digitale Zeitalter, die Informationsgesellschaft oder die CyberSociety.

Letztere, so der Soziologe und Computerwissenschaftler Achim Bühl, sei der angemessene Begriff für jene Gesellschaft, in der sich zwischen den vernetzten Computer der virtuelle Raum aufspannt, in dem immer mehr Funktionen abwandern und der sich zu einer neuen Lebenswelt mausert. Gewissenhaft werden die kursierenden Metaphern der Datenautobahn, des globalen Dorfes, des Cyberspace, der digitalen Stadt oder Telepolis und der Informationsgesellschaft miteinander verglichen, wobei die CyberSociety den Vorzug habe, weil hier die Virtualisierung als Kern des Prozesses im Vordergrund stehe. Deren technologische Voraussetzungen und möglichen Anwendungen werden dann geschildert, um dann mit einem Sprung zu den Inhalten von Science-Fiction-Erzählungen und -Filmen überzugehen, in denen die Zukunft der virtuellen Welt vorgestellt wird. An den Visionen und Entwicklungen im Bereich der Robotik und der Künstlichen Intelligenz bzw. des Künstlichen Lebens wird deutlich, daß diese Fiktionen allmählich umgesetzt und Wirklichkeit werden.

Leider ist "CyberSociety" ein typisches akademisches Produkt. Der Stand der Dinge wird zusammengetragen, Begriffe und Techniken werden erklärt, manche der Mythen werden dekonstruiert und man er hält einen Überblick über die vielen Aspekte dessen, was im Zuge der Durchsetzung der "CyberSociety" auf uns zukommen wird. Doch die Schwemme an Zitaten und Verweisen erschwert die Lesbarkeit, drückt eher den Wunsch oder die Notwendigkeit nach Absicherung aus denn nach Klarheit und Deutlichkeit. Bühl kündigt eine Technikfolgeabschätzung an, was sowieso immer eine gewagte Sache ist, die meist danebengeht. Natürlich werden Virtualisierung von Unternehmen und Organisationen ebenso zunehmen wie das Ausmaß der Telearbeit und damit neue Formen selbständiger und ungesicherter Arbeit. Mit den globalen Netzen entsteht eine neue Öffentlichkeit. Bühl sieht entgegen aller Konzentrationsprozesse im Internet weiterhin ein demokratisches Potentioal für politische Gestaltungsprozesse, beschreibt aber nicht, wie diese aussehen könnten. Das Kapitel über die Ökobilanz ist sicher das interessanteste, denn darüber wird meist nicht gesprochen. Leider ist dieses Kapitel ebenso wie das über Datenschutz und Datensicherheit zu flüchtig ausgearbeitet, während Bühl über philosophische Aspekte nur noch ins Schwadronieren und Zitieren kommt, ohne eigene Gedanken zu formulieren. Das ist überhaupt die Schwäche des Buches, das zwar viele Informationen versammelt und sie miteinander verbindet, aber es nicht leistet, die Konturen der sogenannten CyberSociety als einen Gesamtentwurf deutlich zu machen.

Achim Bühl: CyberSociety. Mythos und Realität der Informationsgesellschaft. PapyRossa Verlag, Köln 1996. 276 Seiten. DM 44.-