CyberTattoo

Vom Signieren des elektrischen Körpers

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Erster Preisträger des Internet-Kunstwettbewerbs Extensionen

Internetkunst wird preisverdächtig. Spiegel, Hamburger Kunsthalle und Phillips haben gemeinsam einen Preis ausgeschrieben, gewonnen hat das Projekt Cybertattoo. Von der Signifikanz des elektronischen Körpers spricht der folgende Essay.

Die Berliner Künstler Micz Flor und Florian Clauß haben mit 'CyberTattoo' den ersten Preis des gemeinsam von der Hamburger Kunsthalle und Spiegel Online ausgeschriebenen Wettbewerbs für Internetkunst "Extensionen" gewonnen. Der zweite Preis ging an Ingo Guenther für dessen "Refugee Republic", der dritte Preis ging an Igor Stromajer für "Intima 0.html", Christine Meierhofer erhielt einen Sonderpreis für "Auftragsdiebstahl". Die Hamburger Künstlerin Cornelia Sollfrank hatte bereits vor einigen Monaten recht kritische Fragen über Sinn und Ausrichtung eines solchen Wettbewerbs gestellt. In ihrer Arbeit "Female Extensions" hat sie dann auch das Funktionsprinzip einer Ausschreibung erfolgreich unterwandert, indem sie von einem Computerprogramm Random-Einreichungen (mit funktionierenden Email-Adressen) nicht existenter Künstlerpersönlichkeiten erzeugen ließ. Zwar hat keine der Fake-Einreichungen einen Preis gewonnen, doch sind die Veranstalter dem Fake insofern aufgesessen, als sie in einer Presse-Erklärung den hohen Anteil weiblicher Beteiligung am Preisausschreiben rühmten. Wettbewerb hin oder her, Martin Conrads liefert im folgenden Essay einige cybertheoretische Anknüpfungspunkte zum "Signieren des elektrischen Körpers".

"Eine Cybertättowiermaschine in jeden Haushalt"

Mark Dery griff jüngst jenen Radio-Prank auf, wonach sich Teenager neuerdings rabattwirksam die Ohrläppchen mit Markenzeichen tätowieren lassen - für ihn Effekt eines fast perfekten Warenzynismus und logische Entwicklung veräußerten Slackertums. Die Geschichte der Tätowierung wird in solchen Medienepisoden als futurologische Wegmarke sichtbar, in der bebilderte Benutzeroberflächen glaubhafte und zukunftsdelirierende Zeichen verkörpern. Wenn demnach in Zukunft Tätowierungen als technologische Visionen in Erscheinung treten, dann als fatale Blaupause ihrer Produktionsbedingungen, als berechnete Illustration ihrer Verwertungslogik und als Ende ihres Erzählgrundes - der Bewegung im Realraum.

Schon bevor zuletzt digitales Tätowieren en vogue wurde, beschrieb Ray Bradbury im "illustrierten Mann" mit der Zukunft der Bilder auch das seelische Pendant ihres Inhalts: die technische Information. Der Erzähler begegnet während einer Wanderung einem über und über mit Tattoos bedeckten Mann. Nachdem beide einen Platz zum Nächtigen gefunden haben, leuchten die Motive des Tätowierten als futuristische Mythen auf: Sie berichten von holographischen Kinderzimmern als elternmordenden Wunschmaschinen und von einer Raumschiffbesatzung, die das Psychotrauma des Auf-der-Venus-Seins in Suizid, Schizophrenie und Totschlag überwindet. Wie man das ästhetisch zur Aufführung bringt, hat die Verfilmung von 1969 schillernd bebildert.

Bradburys Geschichte läßt sich als Vorahnung auf die Distanz technischer Bilder lesen: "Alles ist da und wartet nur darauf, daß sie zusehen": Von Björk über Henry Rollins bis zu Sepultura sind die populärkulturellen Varianten der 90er Jahre klassifizierbar. "Ich streckte meine Hand aus, um sie zu berühren, aber es war nur eine Abbildung": Dabei muß man mittlerweile selbst abwaschbare Tattoos in Kauf nehmen. In 'Shampoo Planet' schmiert sich Tyler mit Kuli die Finger voll: LOVE und HATE, klassisch - aber nur auf Zeit gemietet, wie bei The Prodigy. Parallel schreiben sich die gestochenen Bilder in die Cyberculture ein. Dery zum Beispiel widmet dem 'biomechanical tattooing' in 'Escape Velocity' ein ganzes Kapitel, worin der Verweis auf William Gibson zum Muß wird: "This painter. Like nineteenth century or something. Real classical. Bio-mech. Lowell's got this Giger back-piece (...) It's like this city. Shaded black-work" (Virtual Light). Und auch ReBoot's "Mouse" trägt Tattoos um Augen und Stirn. Kein Wunder: wer unter Tattoos und Microsoft Alta Vista bemüht, wird nicht selten an die Westküste zitiert.

Ein Jahrhundert zuvor an der Ostküste: 1880 hatte Samuel O'Reilly in New York die erste elektrische Tätowiermaschine entwickelt - eine Erfindung, die sich nachträglich sowohl auf die Praktiken als auch auf die Motivwahl des Tätowierens ausübte. Der Rest ist bekannt.

Als wesentlich folgenschwerer könnte sich erweisen, daß mehr als ein Jahrhundert später jemand dessen digitale Variante entworfen hat: Kybernetisches Tätowieren. Die Berliner Künstler Micz Flor und Florian Clauß haben mit 'CyberTattoo' eine digitale Tätowiermaschine entwickelt, die die Technikgeschichte des Tätowierens in jedem Element nacherzählt: vom mechanischen Plotter samt Graviernadel bis zur elektrischen Relaisschaltung, die die digitalen Impulse aus dem Rechner übersetzt. Die grundlegende Idee, aus dem Internet Tattoomotive laden zu können, die mittels einer an den PC anzuschließenden Maschine per Knopfdruck in die Haut eingestochen werden, bringt dabei nicht nur die ganze verrauchte Hinterzimmerromantik der legendären Tattoo-Parlours durcheinander.

Bei Bradbury ist es noch der Jahrmarkt, auf welchem die Gravuren angepaßt werden. Und: Bradburys illustrierter Mann trägt die Kunstgeschichte mit sich; die Bilder leuchten "in Farben von Rouault und Picasso und den langen, schmalen Gestalten von El Greco". Wenn sich CyberTattoo überhaupt als net.art versteht, dann nur im Sinn der konsequenten wie fatalistischen Anwendung ihres Clichés. Dabei wirkt sich der verwendete Comicstyle als das netzadäquateste Mittel aus, um Body Art und Body Criticism gleichermaßen zu üben.

KünstlerInnen wie Aziz + Cucher, Markus Käch und Ines van Lamsweerde unternehmen mit ihren Arbeiten jeweils den Versuch, die Rede vom Technokörper auf der Bildebene zu manifestieren. Das digitale Bearbeiten der Körperoberfläche hat dabei jedoch nur symbolische Wirkung, transferiert wird lediglich zwischen Kulturtheorie und Kunst. Die Konsequenzen bleiben an der Oberfläche - wie bei Orlan und Stelarc, die jetzt mit CyberTattoo online kaputtgehen: 1000 Meisterwerke in einem Gesicht kann man sich nämlich gleich wieder abschminken. Analog zu CyberTattoo verhalten sich hingegen nur die virtuellen Tätowierungen Daniele Buettis: Seine Kulitattoos drücken sich von der Rückseite von Photographien auf die abgebildete Haut durch. Da hilft kein Photoshop bei geänderter Meinung, sowas bleibt: "Sie müssen nämlich wissen", fuhr der illustrierte Mann fort, "diese Bilder sagen die Zukunft voraus."

Das Steuerrad-Logo des Netscape Navigator als anwählbares Motiv von CyberTattoo redet dem Netz die Vergangenheit herbei: die unsäglichen Metaphern vom Surfen, von Inseln im Netz und Datenpiraterie laufen beim kybernetischen Tätowieren auf Grund - die Mythen der Seefahrt als US-amerikanische Epen: Mayflower, Boston Tea Party, Philadelphia Experiment, Netscape 3.0: die wichtigsten historischen Ereignisse der Neuen Welt finden im Zeichen der (Be-)Steuerungstechnik statt.

Das Tätowieren war immer auch eng verbunden mit Kommunikation und Distribution. Motive und Bilder auf der Haut der Matrosen wurden mit Hilfe des Transportmediums Seefahrt zwischen den Hafenstädten der Welt hin und her transportiert. Dabei bindet sich die Ausbreitung der kulturellen Zeichen zum einen an den konkreten Transport des Körpers, zum anderen an dessen Lebenszeit. Heute besteht eine solche Verknüpfung von Kultur und Körper nicht mehr.

Micz Flor

Waren damals noch Häfen die Plug-Ins für das Speichermedium Körper, werden die Tattoogifs heute bei #tattoopics kulturausgetauscht (so stellt man sich das jedenfalls vor). Also: Von der Information, die aus dem Bild kam zum Bild, das aus der Information kam. Vorteil: Der End-user braucht für eine neue Gravur nicht mehr auf St.Pauli zu fahren; was er hier basteln darf sind neue Interfaces und Peripherien. CyberTattoo liefert gleich beides fast frei Telefonrechnung und mitgelieferter Bauanleitung: Instant Tattoos: CyberTattoo kann überall praktiziert werden, alles was man braucht, ist ein Laptop und ein Modem. Wozu noch eine Lizenz? Bei CyberTattoo kommt die Tätowierung aus der Steckdose: when you can browse an update, browse an application, browse a myth, why not browse a tattoo?

Signing the Body Electric. Rilkes "Ur-Geräusch" - das Kratzen der Nadel in der Kranznaht - also als Vorläufer des digitalen Tätowierens? Vor solchen -denkbaren- Kurzschlüssen ist auch jener Gedanke nicht gefeit, der CyberTattoo mit Cybersex in Verbindung bringt. "Ach das ist dieser Cybersex!", trifft man neuerdings Personen, die Cybersex schon realisiert meinen. In diesem Sinn existiert CyberTattoo auch: "Ach das ist dieses CyberTattoo!" Im Gegensatz zum Cybersex hinterläßt CyberTattoo jedoch sichtbare Narben.

Cybersex heißt doch: Ich gehe ins Netz, hole mir da etwas ab und das hat keine Konsequenz über den Moment hinaus. Cybersex schafft eine sterile Oberfläche, die von der Grafikkarte des Monitors abhängt. Die sexuellen Reize sind verpixelt. Bei unserem Projekt geht der Kontakt über den flüchtigen "Seitenverkehr" hinaus. Entscheidend ist für uns die Idee, diesem flüchtigen Moment, den man am Netz hängt, Ausdruck und Dauer zu verleihen, und vor allen Dingen körperliche Tiefe zu schaffen. CyberTattoo funktioniert nicht mehr wie eine semipermeable Membran, wo nur auf einer Seite Säfte fließen. CyberTattoo will genau jene Rahmung des Monitors sprengen und die menschliche Haut als Informationsdokument stilisieren.

Florian Clau_

Apropos "nach Tattoo verreist" bzw. "Tattoos und tot": "... zuerst bei Seeleuten üblich, bis ins 16.Jh v.a. mit christlichen Symbolzeichen, um Ertrunkene als Christen auszuweisen...", wie das Lexikon wissen will. ...viel Spaß beim Surfen usw. Zeitreisen mit Tattoos also: auch dem illustrierten Mann wurden die Bilder von einer Zeitreisenden eingestochen: "Wie sonst hätte sie die Geschichten kennen können, die sie mir auf den Leib gemalt hat?" Der ganze Kontext läßt die Thematik unangenehm unheimlich werden - auch für die CyberTattoo-Erfinder - und so ist aus lauter Angst vor sich selbst geplant, demnächst das 'eff'-blue ribbon in die Motivauswahl aufnehmen. Apropos Zensur: Für CyberTattoo kann gelten: "Daten sind Mörder". Das gespielte Kittler-Zitat geht hier ganz schön unter die Haut. Bezeichnenderweise kommt Tätowieren bei Theoretikern nämlich nicht vor. Hier sind wieder mal zuerst die Kunst und die Literatur gefragt. Einschreibeprozesse erster Ordnung - Strafkolonie und the Pit and the Pendulum waren dabei gestern auch schon Kool Killer. Oder glauben Sie etwa nicht, Kafka würde sich noch morgen ein Modem kaufen?

Man muß übrigens nicht wissen, wer Peter Singer ist, um sich vorzustellen, was mit CyberTattoo eigentlich angesprochen sein könnte: Definitive Konsequenzen, die irgendwo in den Mythen des Netzes schlummern. In diesem Sinn ist der blinde Fleck der biomechanischen Tätowierpraxis die bioethische Implikation, die bei CyberTattoo unterschwellig auf ihre ästhetische Chance wartet. Bei Bradbury ist die letzte leere Stelle auf dem Rücken des illustrierten Mannes jener Fleck, der mit der Geschichte dessen ausgefüllt wird, der zu lange darauf starrt: "Das Bild auf seinem Rücken zeigte den illustrierten Mann, wie er seine Hände um meinen Hals schloß und mich erwürgte."

Copyright-Hinweis zu den Abbildungen: Alle in diesem Artikel gezeigten Abbildungen sind von der Cybertattoo-Web-Site www.b.shuttle.de/art-bag/CyberTattoo entnommen, deren Autoren auch Copyright-Inhaber sind. Wir danken für die freundliche Genehmigung zur On-line Veröffentlichung.

Kontaktieren SieMicz Flor bezüglich weiterer Informationen.

Der Autor dieses Beitrags, Martin Conrads ist freischaffender Publizist und lebt in Berlin.