"Da werden sogar die Tiger zittern"

Bangladesch: An der Frontlinie des Klimawandels

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Bangladesch ist der am dichtesten besiedelte Flächenstaat der Welt - auf einem Quadratkilometer leben durchschnittlich mehr als 1000 Menschen, etwa vier mal so viele wie in der Bundesrepublik. Bangladesch ist neben einigen Inselreichen der Staat, der am heftigsten von den Folgen des Klimawandels betroffen ist.

Sahena Begum heißt eine von den vielen Millionen Bangladeschis, die die Folgen des Klimawandels bereits zu spüren bekommt. Ein Film der Nichtregierungsorganisation Oxfam porträtiert ein Dorf in der Provinz Gaibandha, im Nordwesten Bangladeschs, im Landesinneren, mehr als 300 Kilometer entfernt vom Meeresufer.

Die Bilder sind Screenshots aus dem Film Sahena's story (www.oxfamamerica.org)

Mit dem Hochwasser des Stromes Brahmaputra haben Sahena Begum und die anderen Dorfbewohner seit Ewigkeiten zu leben gelernt. Aber in den letzten Jahren mussten sie Maßnahmen ergreifen, um die aktuellen Hochwasserperioden ohne allzu große Schäden zu überleben. Mit Hacken und Schaufeln haben die Frauen des Dorfes kleine Deiche und Hügel aufgeschüttet, auf denen sie ihre Strohhütten neu errichteten. „Die Menschen bereiten sich immer besser vor, aber die Überschwemmungen werden auch immer schlimmer“, sagt Sahena Begum. Anders als früher sei es kaum noch möglich, das Wetter vorauszusagen. „Mein Vater sagte immer: Es wird so kalt, da werden sogar die Tiger zittern“, so die Leiterin des dörflichen Krisenkomittees. Heute könne man nicht mehr sagen, „welche Monate heiß und welche kalt sein werden - oder wann die richtige Zeit ist, unsere Pflanzen auszubringen“, erklärt Sahena Begum, die wie 90 Prozent mit kleinteiliger Landwirtschaft überlebt.

Während hierzulande die Auswirkungen des Klimawandels erst in der Zukunft wirklich spürbar werden und manche sich auf höhere Temperaturen freuen, sind in Bangladesch die negativen Folgen längst da: Der Monsunregen bleibt aus oder ist zu heftig, die Trockenperioden werden länger, Flüsse treten immer häufiger über die Ufer und der Meeresspiegel steigt. Dabei hat die Bevölkerung so gut wie nichts zum Klimawandel beigetragen: Im Leben von Sahena Begum spielen fossile Energieträger kaum eine Rolle. Lediglich geringfügige Mengen Petroleum für die Beleuchtung ihrer Hütte schlagen als Treibhausgas zu Buche. Und nur selten fahren sie oder ein Mitglied ihrer Familie mal mit der Motorrikscha in die nahegelegene Kleinstadt, um den Markt, einen Arzt oder eine Behörde zu besuchen. Im Durchschnitt produzieren Menschen wie Sahena Begum weniger als eine Tonne CO2 pro Kopf und Jahr. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 12.000 in den USA sogar mehr als 20.000 Kilo, die jede Bürgerin und jeder Bürger im jährlichen Durchschnitt verbrauchen.

Erschwerend kommt hinzu: Die Ernteerträge gehen zurück. Das ist dramatisch in einem Land, in dem mehr als die Hälfte der Bevölkerung von der Landwirtschaft lebt und ein Drittel ohnehin schon unterernährt ist. Experten schätzen, die Zahl der Klimaflüchtlinge könnte bis 2050 in Bangladesch auf etwa 20 Millionen anwachsen. Schon heute sind mehr als eine Million Einwohner vor den Auswirkungen der Klimaerwärmung geflohen. „Der Klimawandel und die Naturkatastrophen treiben die Menschen in die Städte“, so berichtet der Umweltaktivist und Filmemacher Afsan Chowdhury, „die Hauptstadt Dhaka steht kurz vor dem Kollaps und kann kaum noch Menschen aufnehmen“. Eine verzweifelte Situation. Und Wege, die andere Regierungen gehen – z.B. die der Malediven, die für ihre knapp 400.000 Einwohner Land in Indien, Australien oder Sri Lanka als neue Heimat kaufen will – sind der Regierung in Dhaka versperrt: Sie hat keine Gelder aus dem Geschäft mit dem Tourismus sparen können, und es geht um viel mehr Menschen. Wo sollen sie hin? „Sie flüchten nach Indien - aber Indien macht die Grenzen dicht“ sagt Afsan Chowdhury.

Weltweit wird es nach Expertenschätzungen 2050 etwa 200 Millionen Klimaflüchtlinge geben. In Bangladesch glaubt kaum noch jemand, dass sich die Entwicklung aufhalten lässt. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen geben wenig auf die vollmundigen Ankündigungen der Industrienationen, die Emission von Treibhausgasen zu reduzieren. NGOs in Bangladesch sehen den Tatsachen ins Auge und fordern einen internationalen Schutzstatus für Klimaflüchtlinge. Der Klimawandel soll als Fluchtursache genauso anerkannt werden wie politische Verfolgung.

Aber die Industrienationen weigern sich, ihre Verantwortung als Verursacher des Klimawandels wahrzunehmen. Gleichzeitig weigern sie sich, die finanziellen Mittel für einen Deich an der Küste Bangladeschs zur Verfügung zu stellen. Dabei geht es nur um einen Bruchteil der Summe, die im vergangenen Jahr für die Banken bereitgestellt wurde: 5 Milliarden würde es kosten, Bangladesch einzudeichen und die schlimmsten Folgen abzumildern. Aber das Land und seine Bevölkerung sind in ihrer Wahrnehmung nicht systemrelevant.

„Die Bangladeschis spüren deutlich, dass sie dem Westen völlig egal sind“, schildert der Filmemacher Afsan Chowdhury und weist auf eine weitere, beunruhigende Entwicklung hin: „Teile der Bevölkerung interpretieren das als einen Konflikt zwischen dem Westen und dem Islam.“