Darf es ein bisschen mehr sein?

Axel schleppt mich auf eine Computermesse - war ich im vorherigen Leben böse?

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Ich sag noch zu Erika, meiner Freundin: "Was für ein Glück, dass wir zwei nicht auf diese Computermesse müssen. Den ganzen Tag auf Bildschirme starren, das Grinsen von Programmierern in Anzügen ertragen, über Steckkarten reden. Nö. Und dann muss man überall einen Kugelschreiber mitnehmen." Nein, Erika war auch dafür, das Wochenende lieber in den Kunstgalerien zu verbringen. Nette Künstler, immer freundlich, reden gerne über Puzzles, und man bekommt als Giveaway seit neuestem den einen oder anderen Pinsel geschenkt. Fein.

Während wir noch voller Glück die Festplatte von Erika (eigentlich ihres Computers) formatierten, ditschte draußen das Grauen in Form einer Eistee-Tüte (1,5 Liter, Mammut) gegen die Haustüre.

Axel, Hilfe, das Abendland !!!

Ich solle mich anziehen, während er noch schnell die Autoexec.config.sys.dings-schlachmichtot.com von Erika (eigentlich ihres Computers) überspielte, da sei die heißeste Computermesse seit langem am Kochen. Neue Ethernet-Karten seien angekündigt. Und eine brandneue Datenbank-Applikation für Kläranlagen (inklusive Spracherkennung).

Erika, meine Freundin, hielt mit aller Macht die Haustüre zu und murmelte was von "ihrer Leiche". Axel grinste, verwies auf die finnischen Druckertreiber, die er Erika mit einem Autodestroyer ins System gemogelt habe. Mühevoll entflohen wir ihren Küchenmesser-Wurfkünsten. Eines blieb im Zip-Laufwerk von Axels Laptop stecken. Egal. Opfer im Zeichen des Fortschritts. Es würde viele neue ZIP-Laufwerke auf dieser Messe geben. Und Applikationen. Und Kugelschreiber.

Nur 70 DM später - "Entschuldigen Sie, Madame, eigentlich will ich hier kein Geld anlegen, sondern mich einen Tag lang von wild gewordenen Prospekt-Hysterikern mit Kugelschreibern bewerfen lassen" - bugsierte mich Axel sichtlich hormonell angereichert in die Steckkarten-Halle. Ich bin ja selbst kein Freund von diesen Platinen. Sie sind klein, grün, meistens heiß und riechen ein wenig nach Karnickelpisse, aber Axel schwört auf diese Platten. Vermutlich waren Axels erste drei Worte "PCMCA", "PC", "Papa", und zwar genau in dieser Reihenfolge. Und "Steckkarte" steht statt "Mausi" auf seinem Schlafanzug. Meint Erika, die inzwischen messerlose Freundin meinerseits, deren finnische Druckertreiber wahrscheinlich bereits implodiert waren und so den Wohnzimmer-Benjamin in Pulverrasen verwandelt hatten.

Halle 1, links hinten

Axel lud inzwischen die erste Fuhre Kugelschreiber und Pfefferminz-Bonbons bei mir ab. "Hole Dir lieber 'ne Tüte" "Danke, seit ich Computer habe, kiffe ich nicht mehr." Fassungslos über soviel Drogenhumor starrte mich Axel an, platzierte in seiner Hosentasche noch eine Steckkarte als Give away und hob zur weihevollen Rede an. Axel war Gottes Antwort auf meine heimlich nächtlichen Kühlschranksünden. Seitdem finde ich Gott nicht mehr lustig.

Man könne sich gar nicht vorstellen, wie ungeheuer leicht das Leben mit Steckkarten geworden sei. Mit einem einzigen Steckvorgang könne von einem ganz normalen Laptop aus per Laserscanner Inventur gemacht werden. Oder ein wireless LAN. Ohne Kabel eine Inventur machen. Toll. Mein Onkel nannte das immer: "Nachzählen". Irgendwie so. Und mit einer Karte könne man per Daumendruck den Computer entsichern. Erika würde das wahrscheinlich per Fußtritt und Urschrei erledigen. Egal.

Wenn Axel redet, dann weinen irgendwann selbst gestandene Fußballtrainer. Also ging ich zur Offensive über: "Es soll ja einen taiwanesischen Steckkarten-Hersteller geben, dessen Produkt anhand der Kombination der Kugelschreiber in der linken Hemdtasche den Besitzer des Laptops erkennt." Axel winkte ab. Mist. Das sei über den Prototyp nicht hinausgekommen, Stimmerkennung wäre hier sicherer. Oder Bio-Koordinaten. Dabei stierte er unpassend auf meine stramm sitzenden Seitentaschen-Hosen.

"Wenn aber" so hob ich an "Wenn aber der Besitzer per Random aufgefordert werden würde, finnische Druckertreiber-Hilfetexte vorzulesen, dabei Kugelschreiber umzusortieren und seinen Daumen im Takt des "Hummelflugs" auf den Laptop zu ditschen, könnte man vielleicht auf die Steckkarte verzichten ..."

Axel verließen die mentalen Kräfte. Niemals. Ein offener Laptopslot sei wie eine trockenes Paket Suppennudeln. Wie eine Palme ohne Kamel. Wie Erika ohne Galeriekontakt. Jetzt ging er zu weit. Meine Freundin wird nicht mit einem orientalischen Nutztier verglichen. Basta.

Halle 1, Obergeschoss, billiger Rang

Er stellte mich unter lauten Ausrufen wie "Neeeeein, da vorne gibt es eine Steckkarte zu sehen!" und "Dass ich das noch erleben darf" zu irgendeinem armen Mittelständler dazu und verduftete in Richtung Karnickelgeruch. Das arme Einmann-Standpersonal entpuppte sich als armenischer Start-up für Teppichproduktions-Software. Es könnte sich aber auch um einen neuen Druckertreiber oder um Spracherkennung gehandelt haben. So richtig konnte ich das kleine Schild an seinem Anzug nicht entziffern. Zumindest war es kein Etikett mit dem Ladenpreis der Textilie. Da war ich mir sicher.

Er lächelte.
Ich lächelte.
Er bewarf mich mit Pfefferminzbonbons.
Ich wehrte mich mit zielgenauen Kugelschreibern.
Er schrie etwas, das auf Armenisch sicher "Steckkarte" oder "Applikation" heißt.
Ich hasste ihn.
Ich hasste Axel.
Ich werde nie wieder auf eine Computermesse gehen.
Vorerst.

Erika! Das Abendland!