Darf man mit Wagenknecht für Frieden und Verhandlungen eintreten?

Mediensplitter (18): Der Riss im Milieu und der politische Offenbarungseid des grünen Kleinbürgertums.

Das "Manifest für Frieden" entzweit vor allem das grüne Milieu. Keine andere Zeitung als die taz wetterte entschiedener gegen das Papier, das von Alice Schwarzer und Sarah Wagenknecht initiiert wurde, von einer bunten Mischung aus Wissenschaftlern, Künstlern, Politikern und öffentlichen Denkern erstunterzeichnet und von inzwischen über 330.000 Bürgern auf change.org per Unterschrift unterstützt.

Olivgrüner Mainstream gibt den Ton an

Von dem Riss, der das grüne Milieu entzweit, ist in dem einst "linksalternativen" Blatt nichts zu spüren: Olivgrüner Mainstream gibt dort den Ton an. Von einem "Manifest für die Unterwerfung" spricht Jan Feddersen, ohne sich mit Begründungen und rationaler Auseinandersetzung aufzuhalten oder auf die Argumentation der Autorinnen "Verhandeln heißt nicht kapitulieren" auch nur kritisch einzugehen.

Stattdessen kann nicht sein, was nicht sein darf: Der Kampf zwischen Gut und Böse, der von Feddersen mit der Situation im Warschauer Ghetto verglichen wird, darf nicht verwässert werden.

Klare Anweisungen und Verbotstafeln in der Außenpolitik

In der Zeitung, in der einst Mahatma Gandhi für seinen gewaltlosen Widerstand gegen die englischen Kolonialherren gefeiert wurde, polemisiert man nun lieber über die "wilde Mischung", das "politische Hufeisen" und die "Amoral" der Initiatorinnen.

Das überrascht kaum, denn Transmode-Gegnerin und Islamkritikerin Schwarzer und die linke Populistin und No-Nonsense-Marxistin Wagenknecht sind seit jeher die Lieblingsfeinde des schwarz-grünen Milieus von Berlin, das inzwischen nicht mehr nur Fragen von Mülltrennung und Fahrradwegen mit klaren Anweisungen und Verbotstafeln löst, sondern auch die Außenpolitik.

Daran könnte es liegen, dass auch der Text von Dariusch Rimkus und Tanja Tricarico auf gedankliche Anstrengungen verzichtet und ein Gebräu aus Unterstellungen und seichter Polemik bietet.

Schützen oder Töten oder Schützen durch Töten?

Dass die grüne Bundestagsvizepräsidentin und Beinahe-Ministerin Katrin Göring-Eckardt den Brief scharf kritisiert, überrascht bei deren bekannten schwarz-grünen Sympathien nur mäßig: Das Manifest sei keineswegs eine Absage an weitere Gewalt, die Initiatorinnen befürworteten vielmehr damit, dass der russische Präsident Wladimir Putin und seine Leute weiterhin unschuldige Ukrainerinnen und Ukrainer überfallen, einsperren, vergewaltigen und verschleppen ließen, behauptete Göring-Eckardt gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland:

Es ist nicht der Westen, der mit Waffen zur Verteidigung eine rote Linie überschreitet.

Katrin Göring-Eckardt

An keiner Stelle geht Göring-Eckardt darauf ein, dass die gelieferten Waffen nicht nur "Leben schützen" und "die Freiheit Europas verteidigen", sondern auch Leben töten. Es wäre schon viel gewonnen, wenn man diese Tatsache wenigstens auch offen aussprechen würde. Und dann muss klar sein: Wenn der Krieg verlängert wird, sterben Menschen auch in der Ukraine.

Wer Waffen liefert, kalkuliert das ein, billigt letztendlich die Logik, nach der auch viele Ukrainer sterben müssen, um abstrakte Güter wie die Freiheit Europas, das Völkerrecht und die Nation Ukraine am Leben zu erhalten.

Man kann diese Konsequenz ziehen, man kann schiefe Vergleiche mit dem Warschauer Ghetto oder dem spanischen Bürgerkrieg bemühen oder Putin zum neuen Hitler erklären. Aber man sollte der Realität ins Auge sehen und man sollte die Diskussion nicht scheuen. Diese Diskussion zu erzwingen, ist ein Verdienst des Manifests.

Sie zu verweigern oder ihr die Legitimität zu entziehen, ist vor allem der politische Offenbarungseid des grünen Kleinbürgertums.

Die Wunden unserer westlichen Lebenslügen

Sachlicher ist da allein Tobias Schulze in seinem Kommentar:

Was fehlt: Auch nur der Versuch einer Antwort auf all die Fragen, die ein Friedensabkommen so schwer vorstellbar machen – angefangen damit, wie Sicherheitsgarantien für die Ukraine aussehen könnten, die Kiew ausreichen und für Moskau trotzdem akzeptabel sind.

Tobias Schulze, taz

Das trifft zu. Die Petition bietet ohne Frage keine Lösung an. Manche der Äußerungen, die dort fallen, sind vermutlich nicht zu Ende gedacht. Aber das kann man auch von den Handlungen der Politiker des Westens behaupten – und vielleicht wäre es in der jetzigen Situation auch einfach zu viel verlangt.

Keiner weiß, was die Zukunft bringt. Jeder kann sich nur auf sein Gewissen und seine Vernunft verlassen. Und genau hier legen Schwarzer, Wagenknecht und ihre Mitstreiter den Finger in die Wunden unserer westlichen Lebenslügen.

Wie viele Waffen? Was soll die Ukraine erreichen?

Was passieren muss: Die Öffentlichkeit muss endlich auch die Frage debattieren, wohin die Waffenlieferungen eigentlich führen sollen? Wozu soll die Ukraine befähigt werden, was soll sie erreichen können und vor allem: was nicht?

Und man muss darüber diskutieren, in welchem Ausmaß Waffen geliefert werden und wie viele Waffen?

Wird einfach das geliefert, was Präsident Selenski bei der Nato bestellt? Oder entscheiden wir, was wir liefern wollen? Und nach welchen Kriterien entscheiden wir das?

Diese Fragen sind legitim. Die Petition stellt sie. Noch versucht man sie aus der breiten Debatte zu verdrängen. Früher oder später aber wird man sie stellen.