Das Attentat als schöne Kunst ausgeführt

Erstmals hat offenbar der amerikanische Kunststudent Luke Helder seine Anschlagsserie mit Briefbomben direkt als eine Art Aufmerksamkeitskunstwerk inszeniert

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Attentate scheinen mehr und mehr zu einer Form zu werden, wie Menschen sich und/oder ihren Anliegen Aufmerksamkeit zu verschaffen suchen. Die wachsende Attraktion, Anschläge mit oder ohne Selbstmord durchzuführen, verdankt sich auch den Medien, denn sie sind mediengerechte, weil exemplarische "Nachrichten", die sich blitzschnell um die ganze Welt ausbreiten und Tat sowie Täter bekannt machen können. Offenbar hat der gefasste Rohrbombenleger das globale Aufmerksamkeitssystem der Medien vielleicht erstmals für eine explizit künstlerische Aktion missbrauchen wollen.

Dass Medien auch Vorbilder liefern oder Anregungen für Anschläge geben können, wurde in der letzten Zeit nach dem Amoklauf in Erfurt reichlich diskutiert. Dass Attentate für die Medien inszeniert werden, um für eine möglichst große Verbreitung der Botschaft zu sorgen, ist seit langem ebenso klar wie die Tendenz, durch Steigerung der Zerstörungskraft und der Toten und Verwundeten noch die kollektive Aufmerksamkeit zu erregen, die angesichts der Vielzahl der Anschläge auf der ganzen Welt ansonsten durch Gewöhnung abschalten könnte. Dass die mediale Aufmerksamkeit aber nicht nur von der Ästhetik der Zerstörung in Bann geschlagen wird, sondern auch die Grundlage der ästhetischen Gestaltung eines Anschlags sein kann, hat der 21-jährige Luke Helder deutlich gemacht, der Industriedesign studierte, bevor er sich aufmachte, der Welt seine Botschaft von der Befreiung von der Todesangst durch ein räumliches Muster zu verkünden. Das Endprodukt sollte, wenn dies denn zutrifft, über das Vehikel von Anschlägen, die beliebig ausgewählte Menschen gefährden, zu einem gar nicht schrecklichen Bild sich verdichten und ein lachendes Gesicht, ein Smiley, darzustellen.

"Mailboxes are exploding! Why, you ask?

Attention people.

You do things because you can and want (desire) to"

Beginn der Briefe von Luke Helder, der die Anschläge bereits zugegeben hat

Doch so weit sollte der für Kunst sich interessierende Student mit seinem "Inlandterrorismus", wie das FBI die Anschlagserie zunächst kennzeichnete, nicht kommen. Auf seiner Reise durch die USA mit seinem Auto hatte er aus 16 in Briefkästen eingelegten Briefbomben in Illinois und Iowa sowie in Nebraska zwei auf der Landkarte erkennbare Kreise aus jeweils 8 Bomben gelegt, die gut als Augen gelten können, jedenfalls zum Ausdruck bringen, dass der Täter bestimmte Zeichen "schreiben" wollte. Die beiden restlichen Bomben in Colorado und Texas ließen sich als Beginn eines Halbkreises, also des lächelnden Mundes, sehen. Er habe, wie er einem Polizisten gesagt haben soll, ein lächelndes Gesicht in die amerikanische Landkarte mit Briefbomben zeichnen wollen, mit denen er bereits sechs Menschen verletzt und viele in Panik versetzt hatte. Vielleicht war das auch nur eine nachträgliche Erfindung des bislang offenbar eher unauffälligen jungen Mannes - schon wieder ein "Schläfer" aus der einheimischen Bevölkerung -, der noch seiner Festnahme als sehr freundlich und gut aufgelegt von der Polizei geschildert wurde und anscheinend keine Vorstellung von dem hatte, welche Konsequenzen sein "Aufmerksamkeitskunstwerk haben könnte". Mitunter erwartet den jungen Mann eine lebenslängliche Haftstrafe.

Foto vom Auftritt der Band Apathy, bei der Luke Helder Gitarre gespielt und gesungen, aber auch die Songtexte geschrieben hat

Helder hatte nicht nur einen großflächigen und bombigen Mitteilungsdrang, der zur Verwirklichung Zeit benötigte, sondern war ganz offensichtlich, wie er auch selbst mitteilte, getrieben, schnell für sich und seine Botschaft, aus der Konformität mit der Gesellschaft auszubrechen, Aufmerksamkeit zu erhalten. Deshalb musste er nicht nur erklärende - mit der Schreibmaschine getippte! - Briefe über seine Kritik am Staat und der Unterwürfigkeit der Menschen, unterzeichnet mit "Einer, der sich Sorgen macht", mit den Bomben in die Briefkästen legen, sondern diesen auch seinen Eltern und der Zeitung The Badger Herald schicken, wo er auch prompt veröffentlicht wurde. Ausgerechnet der Vater, der stutzig wurde, nachdem im Brief von explodierenden Briefkästen die Rede war, brachte dann die Polizei auf die Spur des Täters.

"You people have failed long enough... can we now grow? I will die/change in the end for this, but that's ok, hahaha paradise awaits! I'm dismissing a few individuals from reality, to change all of you for the better, surely you can understand my logic.

See you all in 2011 (or sooner). Now go find your higher selves!"

Eine Verbindung mit Computerspielen ließ sich in diesem Fall bislang offenbar nicht herstellen, höchstens zur Popkultur, da Helder offenbar ein Fan der Band "Nirwana" und deren Sänger Kurt Cobain ist, der Selbstmord begangen hat, und selbst eine Zeitlang in einer von ihm gegründeten Gruppe namens Apathy gespielt hat. Der hat er nun zur Prominenz verholfen, eine ihrer Websites war tagelang kaum erreichbar und ist jetzt vom Netz genommen worden. Eine andere ist noch online verfügbar, verrät aber nicht viel über seine Motive.

"I'm a huge Nirvana fan. I really am quite infatuated with this band. I know everything about Kurt ... try me, hahaha. Well, the top things I care about are my girlfriend Sarah, and my music/band ... I party, play guitar, and talk online to everyone. That's my life."

Zur Zeit der Band hatte Helder noch lange Haare, auf dem Foto, das ihn zwischen zwei Polizisten zeigt, erscheint er als freundlich lächelnder, normal gekleideter und insgesamt unauffälliger junger Mann mit kurzen Haaren. Vielleicht Ausdruck einer "Bekehrung"? Wichtiger als irgendwelche Medien scheinen New Age Vorstellungen über die Überwindung der Todesangst und ein Leben nach dem Tod gewesen zu sein. Überdies verteidigt er auch Marihuana, das für ihn andere Erfahrungen eröffnet. In seinem Auto führte er auch zwei Gewehre mit sich und gab vor, sich erschießen zu wollen, als er von der Polizei nach einer Verfolgungsjagd gestellt wurde. Er sagte auch, dass er nach Vollendung seines "Aufmerksamkeitskunstwerks" Selbstmord hatte begehen wollen, schließlich ist seine primäre Botschaft, dass es so etwas wie den Tod nicht wirklich gibt.

Helder gehörte offenbar keiner Sekte an, sondern handelte als Einzeltäter in einem religiösen Wahn, eine Art Prophet zu sein, der glaubte, seine Lehre ähnlich wie der Unabomber nur mit den aufmerksamkeitserweckenden Mitteln von Anschlägen der Öffentlichkeit bekannt machen zu können (Der Unabomber auf privatem Rachefeldzug). Damit konnte auch der als ruhig und mit seiner Familie verbundene Student gleichzeitig aus seinem Leben ausbrechen, um die ihm gebührende Anerkennung zu finden, auch wenn er die Wahrheit mit seinem eigenen Tod bezahlt. Darin gleicht er den übrigen politisch, religiös und persönlich motivierten Selbstmordattentätern, die für die Verkündigung des Protests und der Wahrheit, die auch eine Form der Rache sein kann, ihr Leben hingeben. Nur musste Helder, der erst sein kompliziertes Kunstwerk zur Beglückung der Menschheit vollenden wollte, bis zu diesem Zeitpunkt auf freiem Fuß bleiben. Die Logik der Aufmerksamkeitstäter ist jedoch eigentümlich starr und geht stets davon aus, dass es kein anderes Mittel mehr gibt, Aufmerksamkeit zu finden, als zum Fanal und als Mittel zum höheren Zweck möglichst viele Menschen zu töten oder zu opfern. Das ist ebenso verzweifelt, als es von einer Überlegenheit über die anderen Menschen Zeugnis ablegt

"You have been missing how things are, for very long. I'm obtaining your attention in the only way I can. More info is on its way. More 'attention getters' are on the way. If I could, I would change only one person, unfortunately the resources are not accessible. It seems killing a single famous person would get the same media attention as killing numerous un-famous humans. There is less risk of being detained, associated with dismissing certain people."

Während man bei den anderen jugendlichen Aufmerksamkeitstätern den Grund ihrer Aktionen eher bei den Medien oder insgesamt in der Gesellschaft suchte, scheint man beim freundlichen, ruhigen und höflichen Luke Helder, dessen Kunstwerk in Form von geografisch verteilten symbolischen Briefbomben verhältnismäßig harmlos war und zudem unvollendet geblieben ist, eher nach psychischen Störungen zu suchen. Der Richter, dem er zuerst vorgeführt wurde, sagte, Helder leide offensichtlich an einer geistigen Krankheit. Daraus wird auch in den Medien seine zur Schau gestellte Unbeeindrucktheit erklärt. Doch möglichereise hat er ja fürs erste und kurzfristig erreicht, was er wollte: "Attention people".

Und wie immer, wenn eine Tat demonstriert hat, dass sie die Aufmerksamkeit der Medien und Menschen wie ein Mem infiziert und sich rasant verbreitet hat, gibt es bereits einige andere Aufmerksamkeitstäter, die Briefbomben platziert haben - und auf diese Weise auch ein wenig Beachtung erhalten. Doch es ist wie im richtigen Leben der Aufmerksamkeitsgesellschaft, dass die Stars - auch die "schwarzen" Stars - im Rampenlicht stehen und die Fans oder Nachahmer versuchen, ein wenig von der Prominenz ihres Vorbilds zu erhalten. Und es ist dieser Kreislauf zwischen der Verbreitung einer offensichtlich erfolgreichen und daher ansteckenden Idee, wie Prominenz oder Aufmerksamkeit mit möglichst einfachen Mitteln geschaffen werden kann, und der Neigung der Medien, den Nachrichtenwert solcher beeindruckenden Ereignisse aufzuwerten, aus der sich eine Verantwortung der Medien viel eher ableiten ließe als aus fiktiven oder simulierten Szenen, die auch nur versuchen, die erlebten "attention getters" durch Übertreibung zu wiederholen.

Noch jedenfalls ist die Wirklichkeit oder vielleicht auch der Durchbruch zur Wirklichkeit, den ein Anschlag, die Zerstörung und der Tod auf besondere Weise mit sich bringen, weitaus fesselnder als jede Fiktion oder Simulation. Allerdings könnte es durchaus sein, dass neben der Aufmerksamkeitserzeugung hinter (Selbstmord)Anschlägen oder Amokläufen der Wunsch steht, endlich einmal eine überzeugende Erfahrung der Wirklichkeit oder wirkliche Erfahrung zu machen, die in unserer Gesellschaft selten geworden ist und deren Eintritt durch die permanente Stimulation in den medialen "Montagen der Attraktion", in denen die Menschen sich immer längere Zeit aufhalten, um so drängender ersehnt wird. Angesichts solcher "Künstler" wie Luke Helder dürfte es die Kunst immer schwerer haben, noch die notwendige Aufmerksamkeit für ihre Werke zu mobilisieren.