Das E-Desaster droht

Rund 8 Millionen Bundesbürger wollen einfach nicht ans Netz

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Neues von der digitalen Kluft: Eine von der Initiative D21 in Auftrag gegebene Studie über die digitale Spaltung kommt zu dem Schluss, dass weniger Initiativen manchmal mehr sind

Während ein Teil der Bevölkerung bereits eifrig chattet, MP3s sucht und nackte Tatsachen im Web findet, drohen den (un-) freiwillig Nichtvernetzten Ausgrenzungsschäden. Nur ein von Staat, Wirtschaft und Non-Profit-Organisationen gemeinsam getragener Internet-Bebauungsplan kann da vielleicht noch helfen, glauben Unternehmensberater.

Nachdem in den USA die Sorge um den so genannten "digital divide" bereits seit Jahren Politikern und Aktivisten in Organisationen wie der Benton Foundation den Schlaf raubt, wird die Kluft zwischen Usern und Losern auch hier zu Lande immer stärker zum Thema. Der jüngste Diskussionsbeitrag kommt von der Initiative D21, die gestern die Ergebnisse einer bei der Unternehmensberatung Booz Allen & Hamilton in Auftrag gegebenen Studie zur digitalen Kluft in Deutschland vorstellte.

Während die Nutzerzahlen momentan noch kräftig klettern und der Gesellschaft für Konsumforschung zufolge bereits rund 18 Millionen Deutsche regelmäßig das Internet erkunden, kommen die Verfasser des 45 Seiten langen Werks zu der erschreckenden Prognose, dass 21 Millionen Personen in deutschen Haushalten in naher Zukunft von der Nutzung des Internet ausgeschlossen sind oder sich sogar bei vollem Bewusstsein weigern, an der Netz-Revolution teilzuhaben. Die digitale Spaltung verläuft dabei schon heute vor allem parallel zu Variablen wie Schulbildung, Alter, Geschlecht, beruflicher Stellung sowie dem Wohnort. In ländlichen Gebieten können oder wollen weniger Menschen ans Internet. Und diese Abweichung der Internet-Nutzer-Verteilung von der Zusammensetzung der Gesamtbevölkerung wird in Zukunft sogar noch weiter zunehmen.

Das Schlimme für die (un-) freiwillig Unvernetzten: Sie erleiden mittelfristig Ausgrenzungseffekte bei der Erlangung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen, im Konsumentenverhalten, beim Bezug staatlicher und privater Dienstleistungen oder im schulischen Bereich. Generell wird es für sie wohl nichts mit dem Eintritt in die "Wissensgesellschaft", wenn sie sich dem LLL (Life Long Learning) per Computer und Internet entziehen und nur vom Leben selbst lernen möchten. Gerade ein "Selbst-Ausschluss" gewisser Personenkreise sei problematisch, weil in nicht allzu langer Zeit die Gesellschaft als Ganzes durch die Online-Revolution verändert würde und die Rückständigen dann eben einfach nur noch von gestern sind. Das könne sogar den Standort Deutschland gefährden, deuten die Verfasser der Studie an.

In der Studie wird geschätzt, dass allein die bisher am konsequentesten ihre Virtualisierung vorantreibenden US-Unternehmen bis 2002 jährlich rund 600 Milliarden Dollar durch den Einsatz von Online-Technologien und das Re-Design ihrer Kernprozesse einsparen können Das könnte jedoch einfach ein digitaler Traum bleiben, weil ein paar Netzverweigerer den Planern einen Strich durch die Rechnung machen und etwa weiterhin zur Bank um die Ecke gehen oder ihre Einkommenssteuererklärung nicht online einreichen wollen? Milliarden für immer mehr Server und Clients wären umsonst aus dem Fenster geworfen, nur weil ein paar Klienten nicht mitspielen.

Deutschland erstickt in einer Flut von Initiativen zur Infogesellschaft

Glücklicherweise haben die Unternehmensberater ein paar Überlegungen angestellt, um dem sich abzeichnenden E-Desaster vorzubauen. Ihrer Ansicht nach muss der Staat einfach loslegen und eine Vorreiterrolle beim Anbieten von E-Services einnehmen. So soll anscheinend der sanfte Zwang des Faktischen auch die noch wenig Netz begeisterten Zeitgenossen in eifrige User verwandeln. Scharf in die Kritik gehen die Autoren des Papiers dabei mit den bereits aufgelegten Förderprogrammen rund um die Informationsgesellschaft: Ihrer Meinung nach überfordert die unüberschaubare Flut an Initiativen, Vereinen und Foren sowohl die Anbieter als auch die Nachfrager von Fördermitteln. Engagierte Lehrer beispielsweise seien angesichts der Fördervielfalt gar nicht mehr in der Lage, das für ihre Schule passende Unterstützungsprogramm zu identifizieren oder etwa noch mit dem Träger, privaten Initiatoren und den Kultusministerien abzustimmen.

Selbst engagierte Bürger, Unternehmensmitarbeiter oder Funktionäre, die sich der Digitalisierung ihres Umfelds verschrieben haben, stoßen so bald an praktische Grenzen ihrer Aufklärungsarbeit. Trotz oder gerade wegen des "Wildwuchses" von Initiativen, so die Studie, fehle bisher eine leicht zu identifizierbare Anlaufstelle für "Internet-Interessierte". Selbst für die Erreichung der reichlich schwammigen Ziele im Aktionsprogramm der Bundesregierung Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts (Weder kalt noch heiß) sei kurzfristig eine intensivere und besser koordinierte Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Stellen, Unternehmen und Non-Profit-Organisationen erforderlich.

Von anderen Ländern könne die Bundesregierung sich im Bereich staatlicher Aktivierungsmaßnahmen angesichts dieser Koordinierungsmängel noch eine Scheibe abschneiden, hat Booz Allen & Hamilton festgestellt. Während in den USA Vizepräsident Al Gore bereits seit langem die Stellung eines "e-Ministers" einnehme und der Staat so signalisiert habe, eine aktive Rolle bei der Expansion des Internets einzunehmen, hätten auch europäische und asiatische Nationen innerhalb der nächsten Jahre ihre Politik neu aufs Netz ausgerichtet. In Australien etwa sei ein "Office for Government Online" eingerichtet worden, das für die Erbringung staatlicher Internet-Dienstleistungen verantwortlich sei. Die britische Regierung positioniere sich bereits seit 1998 als europäischer Vorreiter im Bereich E-Commerce und wolle bis 2005 alle Regierungs-Services online zur Verfügung stellen.

Zehn Prozent Netzverweigerer

Der Bundesregierung empfehlen die Unternehmensberater daher die Etablierung eines Netzwerks unter Beteiligung von Bundes- und Landesregierungen, öffentlichen Stellen, Unternehmen und bestehenden Foren und Initiativen, Ähnlich wie von der TIEKE Agentur in Finnland oder dem Digital Divide Network der Benton Foundation in den USA bereits vorexerziert. Dieses Netzwerk müsse in den Händen einer zentralen, personell ausreichend ausgestatteten Institution zusammenlaufen, die übergeordnete Konzepte entwickelt, eine bundesweite Datenbasis aller Initiativen und Programme erstellt und die Erkenntnisse mit Akteuren aus der Praxis auch umsetzt. Nur so könne ein echter "Internet-Bebauungsplan" entstehen und die digitale Spaltung minimiert werden.

Mit Hilfe einer solchen Initiative und privatwirtschaftlichen Maßnahmen könne ein Anstieg der Internet-Durchdringungsrate in Deutschland bis zum Jahr 2003 auf 70 Prozent erwartet werden, heißt es in der Studie weiter. 2005/6 kämen noch einmal fünf Prozent dazu. Doch dann kommen langsam die ernsthaften Internet-Verweigerer ins Spiel, deren Anteil Rainer Bernnat von Booz Allen & Hamilton letztendlich auf rund zehn Prozent schätzt. Denn die werden sich vermutlich auch durch noch erschwingliche Netz-Zugänge nicht dazu überreden lassen, "rein" zu gehen. Als letzte Maßnahmen bringt die Studie da nur noch eine Reduzierung der Komplexität der Informationstechnologien ins Spiel sowie die Schaffung noch attraktiverer Inhalte und Dienstleistungen im Netz, um die Vorteile des Online-Mediums noch stärker herauszustellen.

Sponsoring von "Internet-Klassenzimmern" durch D21 vor dem Scheitern

Konfrontiert mit den Ergebnissen der Studie hat sich D21 natürlich bereits Gedanken zur Umsetzung der Empfehlungen gemacht. Natürlich will bei der im vergangenen Jahr mit großen Zielen gestarteten Initiative, die von über 280 Unternehmen getragen wird und - mit Gerhard Schröder als Beiratsvorsitzendem - eng mit der Bundesregierung zusammenarbeitet, keiner sofort den Ratschlag der Experten befolgen, die Flut von Vernetzungsgrüppchen zu beschneiden, und das Messer gleich bei sich ansetzen. Stattdessen zieht Erwin Staudt, der Vorsitzende von D21 und Vorsitzender der Geschäftsführung von IBM Deutschland, ein paar andere Lehren aus der Vorlage: "Drei Schwachstellen müssen wir aufgreifen", verkündet der Kanzlerfreund. Das Internet müsse zu einer altersirrelevanten Einrichtung werden, auch ein Hauptschulabschluss dürfe keine Zugangsbehinderung sein und die ländlichen Regionen müssten genauso ans Netz gebracht werden wie die Großstädter.

Um den vorgezeichneten Entwicklungen entgegenzuwirken, würde Staudt den Staat am liebsten in eine AG umwandeln, in der "Score Cards" messbare Leistungsgrößen vorgeben: Ein erfolgreicher Staat benimmt sich wie ein erfolgreiches Unternehmen: Er investiert in die Bürger, in seine Zukunft und schafft ein Klima für risikobereite Menschen. Nur mit dieser Grundhaltung könne es gelingen, Deutschland in der Lokomotive der Internet-Entwicklung zu platzieren, und nicht im Schlafwagen.

So erfrischend diese Sprüche auch sein mögen, die eigenen Ziele (Die Wirtschaft wird es machen) musste D21 zunächst erst mal herunterfahren. 20.000 "Internet-Klassenzimmer" wollte die "Vernetzungs-Initiative" aus den Töpfen der beteiligten Konzerne innerhalb von zwei Jahren finanzieren und damit den Telekom-Vorstoß "Schulen ans Netz" ergänzen. Nach einem Jahr sind allerdings erst 800 an Schulen in Deutschland mit einem Server von D21 ausgerüstet worden. Das Modell "Sponsorships" sei zwar nicht gerade gescheitert, dauere aber zu lange, gestand Staudt ein. Bleibt nur zu hoffen, dass die Initiative bei ihrem nächsten Kongress am 18. September auf der Expo in Hannover frohere Botschaften aufzuweisen hat.