Das Ende von Hasankeyf

Bild: ANF

Die Flutung der 12.000 Jahre alten Felsenstadt soll bis November dieses Jahres beendet sein

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Der bei Hasankeyf im Südosten der Türkei am Oberlauf des Tigris fertiggestellte Ilisu-Stausee ist nun nahezu aufgefüllt. Die Flutung der 12.000 Jahre alten Felsenstadt soll bis November dieses Jahres beendet sein. Umweltaktivisten und die Bevölkerung geben die Hoffnung nicht auf, dass diese einzigartige Region doch noch zu retten ist.

Seit Jahrzehnten gibt es Widerstand gegen das Südost-Anatolien-Projekt GAP. Das GAP-Projekt (türk. Güneydoğu Anadolu Projesi) ist das größte regionale Entwicklungsprojekt der Türkei. Es umfasst laut Wikipedia insgesamt 22 Staudämme, 19 Wasserkraftwerke und Bewässerungsanlagen entlang der beiden Flüsse Euphrat und Tigris. Die Folgen für Natur und Klima sind nach Meinung von Ökologen verheerend.

Nicht nur für die Türkei, sondern auch für Syrien und den Irak. Der riesige Ilisu-Stausee erstreckt sich mittlerweile über mehrere Kilometer im fruchtbaren Tigristal. Die Bevölkerung wurde über den Beginn der Flutung weder von der staatlichen Wasserbehörde DSI noch von der Regierung informiert. Angeblich soll es sich um eine "Probefüllung" handeln.

Fotos aus den Sozialen Medien und Satellitenaufnahmen zeigen jedoch die Flutung der Nebentäler des Tigris und einer Straße im Tigristal. Kostbare Agrarfläche, die Existenzgrundlage von ca. 80.000 Menschen - überwiegend kurdische Bauern - wird vernichtet. 313 Quadratkilometer soll der Stausee am Ende umfassen. Nicht nur die 199 Dörfer würden dann in den Fluten untergehen, sondern auch die Felsenstadt Hasankeyf mit ihren weltweit einzigartigen Zeugnissen aus Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte.

12.000 Jahre alte Kulturgeschichte versinkt in den Fluten

Hasankeyf beherbergt Hunderte von heiligen Stätten und Kultstätten, die im Laufe der Jahrtausende von Eziden, Juden, Christen und Muslimen bewohnt war. Klippen rund um die Stadt sind mit alten Höhlen gesäumt, in denen Kirchen und Wohnräume erbaut wurden.

Hier versammelten sich Anhänger des frühen Christentums, um zu beten und in Aramäisch, der Sprache Jesu Christi, zu singen. In den Höhlenwänden findet man Gravuren von den frühesten christlichen Kreuzen. Das Ilisu-Überflutungsgebiet am Tigris liegt in Ober-Mesopotamien, wo die ersten Menschen zum sesshaften Leben übergingen und sich die ersten Menschheitskulturen entwickelten.

Im Ilisu-Gebiet sind 289 archäologische Fundorte registriert. Nur an 14 Orten sind bis jetzt Ausgrabungen durchgeführt worden. Hasankeyf und das umliegende Tigris-Tal erfüllen nach Ansicht unabhängiger Forscher 9 von 10 Kriterien für die Aufnahme in das UNESCO-Weltkulturerbe. Der "World Monuments Fund" setzte die Stadt schon 2008 auf die Beobachtungsliste der 100 am stärksten gefährdeten Orte der Welt.

Gefährdung des Klimas und der Natur

Durch die Flutung des Tigristals wird auch eine einzigartige Flora und Fauna, die jährlich viele Touristen angezogen hat, für immer vernichtet. Wegen fehlender Auflagen für den Umwelt- und Kulturschutz kündigten 2009 Deutschland, Österreich und die Schweiz ihre Mitarbeit an dem Staudammprojekt auf, denn auch die ökologischen Folgen für Syrien und den Irak waren unübersehbar.

Experten warnen davor, dass der Betrieb des Ilisu-Staudamms in Verbindung mit einem weiteren geplanten Projekt in Cizre den Tigris in niederschlagsarmen Jahren auf ein Rinnsal reduzieren könnte. Dadurch sei die Wasserversorgung der irakischen Großstädte und die Landwirtschaft im Irak ernsthaft gefährdet.

Die südirakischen Sumpflandschaften Al-Ahwar, die als UNESCO-Weltkulturerbe gelten, sind ebenfalls vom Austrocknen bedroht, was dort zu Klimaveränderung und Versteppung führen wird. Schon jetzt sind wieder Teile der mühsam renaturierten Sumpflandschaft vertrocknet. Saddam Hussein ließ einst die Sümpfe trockenlegen, um das Volk der Madan zu vertreiben und ihnen die Lebendgrundlage zu nehmen.

Die Madan lebten seit Jahrtausenden mit ihren Kühen und Wasserbüffeln in den Sümpfen. Sie wohnten in schwimmenden Hütten aus geflochtenem Schilf. Ihr Fehler war es, gegen Saddam Hussein zu opponieren und den Aufstand der Schiiten gegen Hussein zu unterstützen.

Daraufhin ließ Saddam Hussein Tausende ermorden, ihr Vieh töten, verbliebene Wasserquellen vergiften, Schilfhütten niederbrennen. Bis zu einer halben Million Menschen waren am Ende vertrieben. Maximal 30 bis 40 Prozent des einstigen Sumpfes könnten langfristig wieder in ein funktionierendes Ökosystem umgewandelt werden, schätzt Curtis Richardson, Ökologe an der Duke University in Durham, North Carolina.

Die verfehlte Wasserpolitik der irakischen Regierung verschärft das Problem für die irakische Bevölkerung und die landwirtschaftlichen Gebiete noch zusätzlich. In Nordsyrien führte einerseits der Monokulturanbau des Assad-Regimes, wie auch die extreme Drosselung der Wassermengen aus der Türkei zu einer Versteppung und Verdichtung der Böden, sodass die Regenwassermengen in den Regenzeiten Frühjahr und Herbst nicht mehr aufgenommen werden können.

Ungewöhnlich starke Regenfälle verursachten dieses Frühjahr in Nordsyrien, Nordirak und Iran riesige Überschwemmungen, dem ganze Ortschaften zum Opfer fielen und Agrarflächen vernichteten. Durch diversifizierte und nachhaltige Landwirtschaft und Wiederaufforstung versucht die Selbstverwaltung der Versteppung entgegenzuwirken.

Wasser als Waffe

Die Staudammpolitik der Türkei richtet nicht nur einen immensen kulturell und ökologischen Schaden an. Die türkische Regierung hat mit ihrer Wasserpolitik ein politisches Machtinstrument in der Hand, mit der sie die Politik in den kurdischen Gebieten nicht nur in der Türkei beeinflussen kann. Dieses Machtinstrument erkannte schon der ehemalige Staatspräsident Turgut Özal (von 1989-1993 im Amt): "Die anderen Staaten der Region haben Öl, wir haben Wasser."

Wie einst Saddam Hussein durch die Trockenlegung der irakischen Sümpfe das gehasste Volk der Madan vertrieb, wird durch die Flutung des Tigristals die überwiegend kurdische Bevölkerung vertrieben. Die für Hasankeyf groß angekündigten "Umsiedlungen", die eh nur einen kleinen Teil der Bevölkerung betreffen, haben erst rudimentär begonnen. Viele Familien können für ihre Häuser und ihre Agrarflächen keine Papiere vorweisen, weil sie traditionellerweise seit Generationen mündlich vererbt wurden. Damit haben sie keinen Anspruch auf Ersatzwohnraum oder Agrar-Land.

Nicht zuletzt könnte das Staudammprojekt die regionalen Konflikte um das Wasser noch weiter anheizen, meinen internationale Experten. Sie fordern von der Türkei klare Abkommen mit Syrien und dem Irak, dass deren nachgelagerte Flüsse ausreichend mit Wasser versorgt werden, damit die Landwirtschaft und die Ökosysteme nicht gefährdet sind.

Dass die Türkei daran kein Interesse hat, zeigen verschiedene Ereignisse der jüngsten Zeit: Als Masud Barzani 2017 sein Referendum für einen unabhängigen kurdischen Staat im Nordirak trotz internationaler Warnungen durchführte, drohte ihm die Türkei mit einem Embargo vom Wasser bis zu Lebensmitteln. Ende Juli öffnete die Türkei ohne Vorwarnung die Schleusen eines gestauten Flusses Richtung Syrien, der die nach den Brandstiftungen von Feldern in Tall Abyad (kurdisch: Gire Spi) noch verbliebenen Felder in Nordsyrien überflutete.

Aktuell leitet die türkische Regierung die Abwässer aus der Provinz Urfa in die Flüsse, die durch das syrische Tall Abyad fließen: "Die Flüsse al-Jalab und Seluh haben sich in stinkende Krankheitsherde verwandelt. Auch die landwirtschaftliche Produktion ist betroffen und die Landwirtschaft leidet großen Schaden. In manchen Orten ist die Trinkwasserversorgung von der Verschmutzung betroffen. Um die Gewässer herum hat sich eine Ungezieferplage entwickelt."

Weltweite Proteste könnten eine Flutung noch verhindern

Noch immer hoffen die Menschen im Tigristal, dass die türkische Regierung die Flutung der Felsenstadt stoppt. Eine Umweltinitiative zur Rettung von Hasankeyf informiert unermüdlich die internationale Öffentlichkeit. Mit öffentlichen Kunst- und Protestaktionen machen Aktivisten weltweit auf Hasankeyf aufmerksam. Künstler der Gruppe Compagnie bien à vous Armanc Kerborani machte mit verschiedenen Performances auf die Zerstörung der historischen Stadt aufmerksam: in Paris im Louvre Museum, in Berlin im Pergamon Museum vor dem Ishtar-Tor und in Rom im Vatikan.

Zahlreiche Kundgebungen fanden in verschiedenen europäischen Städten wie z.B. Sarajevo, Valparaiso/Chile, Berlin, Hamburg, Mainz, London, Kopenhagen, Zürich, Manlleu/Catalonia, Rio de Janeiro/Brasilien und Rom statt. 24 zivilgesellschaftliche Initiativen aus dem Irak forderten die Türkei auf, das Staudammprojekt zu stoppen. Die europäische Initiative Nostra veröffentlichte Ende Juni ein Statement, dass es noch nicht zu spät sei für eine Rettung von Hasankeyf.

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