Das Experiment Bauhaus ist noch nicht zu Ende

Bauhaus Dessau, 1925/26. Bild: Lelicron / CC-BY-SA-3.0

Das Bauhaus wagte vor 100 Jahren den Spagat zwischen Gesamtkunstwerk und sozialen Verbesserungen

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Zaha Hadid mochte den rechten Winkel nicht. Für die aus dem Irak stammende, 2016 verstorbene Architektin waren damit 359 andere Möglichkeiten ausgeschlossen. Stattdessen arbeitete sie mit scharfkantigen Schrägen, die sich mit Rundungen aller Art abwechseln. Die Linien fallen aus jeder Symmetrie. Flächen überlagern sich, Räume werden gegeneinander verschoben, verlieren ihre Begrenzungen, bis sich neue virtuelle Räume gebildet haben. Strömungen verdichten sich, und Atmosphären drängen ins Freie. Innen und Außen verschränken sich. Das Wichtigste ist für Zaha Hadid der Fluss der Dinge in einer nicht euklidischen Geometrie. Die Räume sind verzeitlicht, die Bauwerke scheinen zu schweben.

Zaha Hadid hat sich gegen die Diktatur des rechten Winkels ausgesprochen, die vom Bauhaus ausging. Zugleich hat sie vollendet, worum das Bauhaus von Anfang an rang und was Mies van der Rohe verfeinerte: den fließenden Raum. Sie hat praktisch die Frage beantwortet, unter der so viele Architekten stöhnen: Soll man, kann man heute noch wie das Bauhaus bauen? Man kann und man kann nicht. Die Werke des Bauhauses haben eine ideelle Geltung. Es gilt, den inneren Gedanken, die Substanz herauszulesen. Darin kann der Sinn des jetzt angebrochenen Jublläumsjahres liegen.

Alles andere wäre bloße Musealisierung, wäre unkritische Rekonstruktion, die den Imitatoren versunkener Altstädte und Stadtschlösser überlassen bleiben sollte. Das Bauhaus ging aus Zirkeln vorwärtsstürmender oder revolutionärer Künstler hervor, für die die Niederlage im Ersten Weltkrieg eine Erweckung war. Sie begriffen, dass es die Aufgabe der Architektur ist, sich dem sozialen Elend zu stellen. Sie bildeten den "Arbeitsrat für Kunst".

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Bauhaus Dessau. Bild: Sara Rogenhofer

"Ornament ist Verbrechen", lautete der Schlachtruf des Wieners Adolf Loos, denn es ist vergeudetes Kapital und damit vergeudete Arbeitskraft und Gesundheit. Er wandte sich gegen die gründerzeitliche historistische Architektur, die den Anspruch erhob, vergangene Bautraditionen beliebig rekonstruieren und reproduzieren zu können.

Wie alle großen Bewegungen hatte es unterschwellig schon vorher begonnen, mit der Gründung des "Werkbund" 1907. Das konstruktive Prinzip der Ingenieurbaukunst trat seine Herrschaft in der Architektur an. Das funktionalistische Bauen bezog seine Lehre aus den Eisenkonstruktionen des 19. Jahrhunderts. Gebaut wurde von innen nach außen, die Grundrisse waren frei. Voraussetzung war die Trennung von Stütze und Wand. Die maschinengestützte Produktion machte auch die Kunstwerke reproduzierbar, um das Wort von Walter Benjamin zu übernehmen. Der Rhythmus und die serielle Gleichmäßigkeit der Maschinenproduktion schlugen auf die Gestalt nicht nur der alltäglichen, sondern auch der außeralltäglichen künstlerischen Gegenstände zurück. Das Kunstwerk verlor die Aura der Einmaligkeit. Typisierung durchdrang nun die Welt.

All diese Impulse sog das 1919 in Weimar gegründete Bauhaus auf. "Maschine" wurde zum Präfix für alles, was artifiziell gestaltet werden konnte, von der Maschinenkunst über die Maschinenküche zu Maschinenmöbeln. Die Wortkombination zielt auf die Vorfertigung von Teilen und deren Zusammenstellung nach dem Baukastenprinzip. Häuser werden in Serie zusammengefügt, und wenn die linear aufgereihten Häuser die ganze Stadt überziehen, ist aus der Maschinenstadt die Stadt- oder Wohnmaschine geworden.

So lautete ein Vorwurf, aber so weit wollte es Walter Gropius, der erste Leiter des Bauhauses, in den Zwanziger Jahren nicht kommen lassen, selbst wenn die nach dem Zweiten Weltkrieg errichtete "Gropiusstadt" danach aussieht. Er wollte die serielle Typenproduktion abfedern durch Rückgriffe auf Handwerk und Kunst, ohne die Technik zur bloßen Funktionalität verkomme. Er verdammte die Arts-and-Crafts-Bewegung, die sich auf alte Handwerkstraditionen berief, nicht in Bausch und Bogen, sondern baute gleichsam deren antizivilisatorische Züge in die Moderne ein. Für sich genommen verdürbe - und verdarb Ende des 19. Jahrhunderts - das Handwerk zum vertändelten Kunstgewerbe.

Damit war der Rahmen zur Etablierung des Bauhauses abgesteckt. Die grundsätzliche Union von Kunst, Handwerk und Technik, ergänzt um kaufmännische Prinzipien der Auftragsakquise, fächert sich zu Ausbildungsgängen in allen Gewerken und Disziplinen auf, die zum Aufbau von Stadt, Haus, Fabrik und Inneneinrichtung beitragen. Photographie und Typographie, Stukkatieren und Töpfern standen auf dem Programm, und in den Vorkursen sollte das Studium möglichst vielseitig sein, um den "ganzen Menschen" zu bilden. "Primus inter pares" war jedoch die Architektur, und sie baute bis zu Mies van der Rohes Ägide ihre Vorherrschaft aus, zum Schaden der Gleichberechtigung.

Um die Einheit aller Künste und Gewerke unter den Fittichen der Baukunst zu demonstrieren, griff das frühe, noch mit expressionistischen Eierschalen behaftete Bauhaus auf die mittelalterliche Kathedrale zurück. Sie verkörpere die Einheit von Malerei, Bildhauerei und Architektur. Die Bauhütten wurden sogar zum Vorbild der inneren Struktur des Bauhauses. Ganz oben standen die Meister. Bruno Taut, der ebenfalls zum Umkreis des Neuen Bauens gehörte, spann die Kathedralen-Symbolik fort bis zur "Stadtkrone", die jede Stadt, jeder soziale Organismus zum Zusammenhalt benötige, und sei es ein Volkshaus für organisierte Arbeiter.

Ist die künstlerische Einheit allgemeingültig und dementsprechend als Ästhetik hergestellt, wäre darin auch die Gesellschaft eingeschlossen. Die Kunst ist im Leben angekommen. Profan gesprochen ist sie für den Alltag da. Aber in dieser Verschmelzung steckt auch ein Totalitätsanspruch. Utopien werden von der Realität übernommen, gehen in ihr auf. Nachdem ein epochaler Stil wie der des Bauhauses entwickelt worden ist, kann eigentlich nichts mehr nachkommen. Die Geschichte ist mit dem Gesamtkunstwerk zu Ende. Das ist das Dilemma der Moderne, die unentschieden ist, ob sie nun vollendet oder unvollendet sei.

Die mystisch anmutende Einheit von Kunst und Handwerk mit Leben und Gesellschaft wird jedoch ganz konkret durch die Architektur, voran die Industrie-Architektur, bewerkstelligt, die keine tragenden Wände mehr benötigt. Innen und Außen sind nicht mehr durch Fassaden getrennte Sphären, sondern beliebige Ausschnitte aus einem All-Raum. Das Innere, der umbaute Raum, greift auf das Äußere, den öffentlichen oder sozialen Raum über. Der Rhythmus der Maschinen gibt das Lebenstempo vor. Gropius: "Im Rhythmus findet der einzelne sich selbst und seinen Raum und tritt in Verbindung zur kosmischen Ganzheit."

Schon Bruno Taut hatte den All-Raum bis in den Kosmos verlängert. Glas und Licht erhebt er im Kristall zu einem kosmischen Urprinzip: "Vom Stall zum Stern ist eine feste Kette." Stall, Wohnhaus, Tisch, Kinderheim, Rathaus, Stadtkrone, Bergkrone, "es ist eine Kette, in der alles Kleine groß und alles Große klein wird",... wenn "der Zusammenhang in uns lebt." Ob groß oder klein, alles sollte auf ein einheitliches gestalterisches Konzept zurückgeführt werden. Der Arbeiter, der in der Gartenstadt oder Siedlung mit einer optimal designten 6m²-Küche wohnt und der Fabrikant, der zwischen einer freistehenden Wand aus Onyx und Verkleidungen aus Edelhölzern wohnt, sie sind unter eine universelle Idee subsumiert. Das war ein Wagnis.

Verlangt ist ein Rückzug der ganzen Gesellschaft auf einheitliche Formen, die je konkret variiert werden. Le Corbusiers Beschreibung trifft auf das Bauhaus zu: "Die Baukunst lebt im Telefonapparat wie im Parthenon." Im Mikrokosmos ist bereits das Ganze enthalten. Dass es einen bestimmten Bauhaus-Stil gegeben habe, wiesen die Bauhaus-Großmeister Gropius und Hannes Meyer zurück, Mies van der Rohe sowieso. Aber Gropius konstatiert, dass die Bauhaus-Erzeugnisse im Lauf der Zeit wie von selbst eine "gewisse Verwandtschaft" zeigten.