Das Internet als globale "Beziehungsmaschine"

Wie die Virtualität die sozialen Handlungsansprüche verändert

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Dass sich so mancher Geschäftsplan der New Economy als heiße Luft entpuppt hat und (virtuelle) Milliarden im Börsenloch verschwunden sind, sollte nicht zu der falschen Schlussfolgerung führen, dass es sich beim Internet nur um einen "Hype" handelt und die alte Ökonomie sogleich wieder das Zepter übernimmt. Wir wollen aber gar nicht im engeren Sinne auf die ökonomische Bedeutung des Internet eingehen, sondern seine sozial-technologischen Bedingungen und Konsequenzen unter die Lupe nehmen - eine Perspektive, die unseres Erachtens in der öffentlichen Diskussion vernachlässigt wird. Das Netz wird zu einem Medium, das umfassend in die gesellschaftlichen Beziehungen eingreift. Ein globaler virtueller Kulturraum entsteht, für den wir leider noch eine wenig entwickelte Wahrnehmung besitzen, geschweige denn Handlungskompetenz. Das Internet ist als solches geschaffen, das vorherrschende Medium der Globalisierung zu sein und die dazu notwendigen neuen Denk- und Verhaltensweisen einzuspielen.

In den Industrieländern werden die Konturen einer "Informationsgesellschaft" sichtbar, einer Gesellschaft, in der der Produktion und Verteilung von Informationen eine zentrale Bedeutung zukommt. "Vernetztes Handeln erfordert neue Strategien" suggeriert uns heute die Werbung. Das "vernetzte Denken" hat endgültig Eingang in Politikerreden gefunden.

Wer aber Internet und Existenzweise zusammendenken möchte, wird nach wie vor in der Literatur vor allem auf den "Nerdism" verwiesen, die spezielle Welt der Hacker und Otakus. Ob sich ein "Evernet" herausbilden und über welche Internet-Technologien es verfügen wird, werden wir nicht diskutieren. Unsere Aufmerksamkeit gilt den neuen Qualifikationsanforderungen, die durch den Umgang mit den Netzen gegeben sind. Wir haben nämlich den Eindruck, als wären die grundlegenden Veränderungen, die das Internet zeitigen wird, noch nicht im allgemeinen Bewusstsein angekommen. Das individuelle Subjekt wird mit neuen Möglichkeiten von Arbeits- und Konsumweisen konfrontiert, die es aktiv bewältigen muss. Symptomatisch ist dafür das Angebot der vielen Kurse zu Kreativitätstraining und Selbstmanagement. Das Internet allein mit Begriffspaaren wie Chancengleichheit/Ausschluss, Privatheit/Öffentlichkeit, Copyright/freie Information u.a. zu thematisieren, verstellt unter Umständen den Blick auf die neuartige subjektive Vermittlungsrelation, die das Netz darstellt.

Eine neuartige Qualifizierung liegt dabei in der Fähigkeit, virtuelle Beziehungen denken zu können - und das ist, wie die praktische Erfahrung aus Internetkursen zeigt, keine Trivialität. Die Leute müssen heute eine Verdopplung der Welt denken können, eine zweite "virtuelle" Welt, die gleichzeitig existiert und bedient, ferngesteuert werden kann, zum Beispiel als Austausch zwischen lokalen Arbeitsumgebungen und Servern. Die Teamarbeit in sich ändernden virtuellen Beziehungsgefügen, die weiter unten in einem Telelearning-Szenario beschrieben werden, verlangt von den beteiligten Subjekten eine weitere hohe Abstraktionsleistung, die zu den schon ausentwickelten Denk- und Handlungsweisen hinzukommt. Das Netz macht einen virtuellen Interaktionspartner zu einem realen, obwohl er sinnlich-konkret nicht mehr direkt erfahrbar ist.

Das "Chaos" der Informationsgesellschaft

Die Leute suchen nach Orientierung, Werten, Antworten in einer Zeit, in der alles immer mehr in Bewegung gerät. Wie soll man zum Beispiel mit der Tatsache umgehen, dass das "Wissen" immer schneller fortschreitet, dass die Wissensmengen sich in kurzen Zeiträumen verdoppeln, und man damit rechnen kann, dass das Wissen, das man gelernt hat, veraltet und zudem noch falsch sein kann. Aktuell entbrennt - als Reaktion darauf - wieder die Diskussion, ob man das klassische Bildungsgut wissen oder nur noch wissen soll, wo das, was gefragt ist, als Wissen zu finden ist.

Entscheidend im Zeitalter der Information ist unter anderem das Vermögen, den nötigen Zugang zum "Archiv" zu erreichen. Dass mit der Globalisierung auch eine Beschleunigung von Informationsprozessen einhergeht, ist unbestreitbar. Die infolgedessen eintretende neue Komplexität gesellschaftlicher Problemlagen macht es notwendig, nach komplexeren Erkenntnis- und Informationswerkzeugen zu suchen, die diesen gerecht werden. Telefon, Mobilfunk, Computer u.v.m. sind "Medien", über die historisch Versuche unternommen worden sind, Vorgänge der Information und Kommunikation zu optimieren - die logische Schlussfolgerung ist ein (Super)Medium, das diese Vielzahl an Funktionen ohne Zeitverlust und mit hohem Informationsdurchsatz erfüllt: das Internet.

Das Netz tritt jetzt als Vermittlungsinstanz von Wissen auf. Ein Großteil der weltweiten Informations- und Wissensverarbeitung wird über die Netze abgewickelt werden. Dass eine Vielzahl von Informationsangeboten online geht, lässt die Netzwelt für einige aber eher chaotisch und sinnlos erscheinen; Geschichten werden erzählt von Surfern, die sich nach monatelangem ziellosem Herumstochern im Netz enttäuscht wieder abwenden. Man muss lernen, das Netz richtig für die eigenen Informationsbedürfnisse einzusetzen, auch, um dieser Unübersichtlichkeit des Wissens zu begegnen und der oft beschworenen "Informationslawine" Herr zu werden.

Die Kulturgeschichte lässt sich in einer kurzen Stufenfolge auch als Geschichte der Virtualität interpretieren. In den frühen Gemeinschaften von verstreut lebenden Menschen gibt es erste Zeugnisse einer visuellen Abstraktion: die Höhlenmalerei. Mit der Entstehung von Kultur, die wir in eins setzen mit den Entstehung von Staatsgesellschaften, beginnt die Organisation der Wahrnehmung und Erkenntnis in kanonisierten Formen von Schrift, Ton oder der bildlichen Darstellung. Im alten Griechenland kommt noch ein spezifische Abstraktion hinzu: die Operationalisierung des Denkens in den "leeren" abstrakten Denkformen der Logik. In den weiteren Jahrhunderten entfaltet sich eine vielfältige Mediengeschichte: die technische Aufzeichnung und Manipulation von Schriftzeichen, Tönen und Bildern in vielen konkreten Formen. Ende der vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts entsteht der Computer, das erste Meta-Medium, mit dem sich andere Medien simulieren lassen. Mit dem Internet findet jetzt eine noch stärkere Ablösung, Veräußerlichung von Prozessen der Wahrnehmung und Erkenntnis statt bis hin zu einer medialen "Selbstorganisation".

Es sei am Rande darauf hingewiesen, dass sich Komplexität erkenntnismäßig nicht allein in Rationalität "auflösen" lässt. Im Umgang mit althergebrachten Medien entwickelt man im allgemeinen ein intuitives Verständnis, ohne die technischen Details verstanden zu haben. In der Vergesellschaftung des einzelnen findet in dieser Hinsicht auch eine emotionale Bindung an Rationalitäts- und Strukturmuster statt, wie sie durch die Institutionen und technische Medien vorgegeben sind. Beim Netz ist diese Identifikation schwieriger, da es noch stärker veräußerlicht ist als andere Medien, die man aus dem Alltagsgebrauch kennt. Vorher fanden emotionale Bindung und Rationalität gewissermaßen im gleichen "Bereich" statt. Das Netz stellt eine neue Abstraktionsstufe dar. Vorläufer des Internet sind natürlich das (ebenso globale) Telefonmedium oder international verschickte Briefe. Der Unterschied ist der, dass beim Internet der Kommunikationspartner noch abstrakter repräsentiert wird, weder als Stimme noch als Ansprechpartner an einem realen Ort (Postadresse). Das Netz umfasst allerdings verschiedene Mediendarstellungen. Für die allgemeine Qualifikationsdiskussion ist hier nur zu berücksichtigen, dass viele noch kein emotionales Verhältnis zum Netz haben. Das Verständnis ist bisher nur intellektuell, es bleibt "äußerlich", ist eines der bloßen Anschauung. Es fehlt ein "Rahmen", der das Internet als Teil der Lebenswelt erschließt.

Die globale "Logistik" des Internet

Die Globalisierung umfasst ein ganzes Bündel an gesellschaftlichen Prozessen. Unter Globalisierung verstehen wir Prozesse, die nationale Grenzen überwinden und bislang regionale Gemeinschaften und Organisationen miteinander in Beziehung bringen. Heute vollziehen sich solche Prozesse verstärkt über die virtuellen Beziehungen des Netzes. Die Dialektik des Prozesses besteht darin, dass zwar eine größere Unabhängigkeit von geografischen Gegebenheiten eintritt, zugleich aber auch die Abhängigkeit von der Netz-Infrastruktur steigt. Die Globalisierung mag in unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilsystemen eine andere Dynamik haben, nichtsdestotrotz stehen diese in Rückkopplung zueinander, so dass nach längerer Zeit alle unter ihrem Einfluss stehen.

Wir hatten in Das Bewusstsein der Netze auf die "logistischen Hindernisse" hingewiesen, auf die die Individuen im Zuge ihrer Vergesellschaftung unter veränderten Bedingungen stoßen. Es handelt sich dabei um ganz praktische Hindernisse in Handlungen: der fehlende Internetzugang, das fehlende Computerwissen, fehlende Sprachkenntnisse. Das Internet ist zugleich Bedingung und Resultat des Prozesses der Globalisierung. Um den existenzbedrohenden Widerspruch zwischen Individualisierung - eine andere Folge der Entwicklung - und Vergesellschaftung zu lösen, wird von den Gesellschaftsmitgliedern (unbewusst) ein neues gesellschaftlich-historisches Projekt realisiert: das technologische Projekt des "Netzes der Netze".

Von jeher waren die individualisierten Marktteilnehmer gezwungen, den Warentausch in abstrakten Denkformen zu begleiten und ihn vor- und nachzubereiten (Kaufverträge, Rechnungen usw.). Eine "logistische Behinderung" liegt dann vor, wenn die Ansprüche an ein neues interaktives-diskursives Aushandeln zur notwendigen Bedingung der Vergesellschaftung und der Marktteilnahme wird, andererseits aber von dem Einzelnen noch nicht geleistet werden kann. Als Hinweis mag hier genügen, dass, wenn starke Marktteilnehmer auf B2B-Plattformen im Netz setzen, andere dazu gezwungen sind, diese Entwicklungen zu übernehmen. Das Netz beseitigt einige solcher logistischen Interaktionshindernisse für die, die die mit dem Netz verbundenen abstrakten Denkweisen nachvollziehen und in ihr Arbeits- und Sozialleben integrieren können.

Allgemein lässt sich sagen, dass die gleichzeitige Entfaltung von Individualität und globaler Vergesellschaftung auf einem neuen Niveau möglich und damit der Widerspruch erneut temporär gelöst wird. Dadurch werden nur solche Gesellschaftsmitglieder auf längere Sicht sozial überlebensfähig, die in der Lage sind, parallel zur individuellen eine globale Existenzperspektive einzunehmen. Das Projekt "des Netzes der Netze" macht es möglich, dass global verteilte Individuen raum-zeitlich unabhängig voneinander jederzeit ein Ganzes bilden; das Netz ist geronnene Vergesellschaftung. Durch die Computer-Intelligenz des Netzes sind die Gesellschaftsmitglieder in der Lage, den gesamten "Aushandlungs-Overhead" für die Kommunikationsvoraussetzungen dem Netz zu überlassen, etwa solche Tätigkeiten, die bisher von Sekretärinnen geleistet wurden. Das Netz ist daher nicht mehr nur passives Werkzeug, sondern "weiß" (z.B. in Form komplexer Datenbanken) den Zustand der Vergesellschaftung.

Die Verdopplung der Subjektivität

Das Projekt der Moderne zeichnet sich dadurch aus, dass mit Traditionen und Konventionen der Kultur gebrochen wurde, um neue gesellschaftliche Verkehrsverhältnisse durchzusetzen. In der fortschreitenden Geschichte wurde es immer wieder notwendig, dass neue Verhaltensweisen eingespielt werden. Heute, unter den Bedingungen der Globalisierung, wird diese Leistung zum Teil durch das Netz übernommen. Alte kulturelle Selbstverständlichkeiten werden dabei über Bord geworfen. Überspitzt formuliert könnte man sagen, dass die alte philosophische Problematik "Erkenne dich selbst" eine neue Dramatik bekommt und zu einer Forderung wird, die sich verallgemeinert. Das Subjekt ist im Zuge dieser Modernisierung gezwungen, eine Beziehung zum Netz zu finden (wir formulieren damit natürlich eine ideale Beschreibung, da sich solche Prozesse eher über längere Zeiträume "hinter dem Rücken" der beteiligten Gesellschaftsmitglieder vollziehen).

Die Vielgestaltigkeit des Lebens, wie wir es tagtäglich in unseren Außenbeziehungen erleben, entzieht sich von jeher einer vollständigen Sinnbeschreibung. Die Philosophiegeschichte weist buchstäblich Hunderte von Denkschulen auf, die uns den Sinn der Welt, wie wir sie kennen, erklären wollen. Jetzt kommt aber etwas Neues hinzu: Die subjektive Innenperspektive "Erkenne dich selbst" wird durch das Netz verdoppelt. Jeder Netzteilnehmer muss damit klar kommen, dass er/sie selbst im Netz "erkannt" wird, dass alle als Subjekt in ihren Äußerungen "verfolgt" werden können. Die "Tele-Aktion" ist tatsächlich eine neue Praxisdimension für das Subjekt: es kann über das Netz (und andere Medien) nicht nur seine Stimme an einem anderen Ort "erscheinen" lassen (Telefon), sondern komplexe "Fernhandlungen" ausführen (Telerobotik u.a.). Das Netz wird insofern "von selbst" Teil der Lebenswelt; als solches ist es unseren Handlungen und Bewusstseinsinhalten nicht nur äußerlich, nicht nur ein objektives Medium, sondern es muss "verinnerlicht" werden. Vorher war die Gesellschaft relativ stabil in ihren Alltagsbezügen; jetzt wird zugemutet, selbst das in der Globalisierung aufzulösen.

In der theoretischen Literatur wird seit längerem die neuartige "Dezentrierung" des Subjekts diskutiert. Die Formel lautet: Wissen sei heute verteilt auf menschliche Subjekte, auf Netzwerke und auf Maschinen. Leider wird damit nicht deutlich, was da auf welche Weise geteilt ist, da genaugenommen diejenigen, die diese Aussagen machen, eigentlich die einzige Instanz sind, die darüber Aussagen machen kann. Wir wissen so gesehen nicht, wie diese Teilung erfolgt, wir wissen nur, dass sie da ist.

In der analytischen Betrachtung sollte verhindert werden, entweder die "reine" Subjektivität zu betonen (das Subjekt als autonomes Zentrum) oder aber sie "aufzulösen" und die "reine" Objektivität der Netze (ohne Subjekt, ohne Zentrum) an ihre Stelle zu setzen. Das Internet ist zugleich Träger subjektiver UND objektiver Aspekte; es ist überindividuell und stellt in gewissem Sinne eine eigene "Bewusstseinseinheit" da (siehe zu diesem Themenkomplex ausführlicher unseren Aufsatz Das Bewusstsein der Netze). Die Idee vielfältiger Beziehungen im Netz korrespondiert zudem mit der Vielgestaltigkeit der Beziehungen, die wir als Subjekte in unseren Lebenswelten unterhalten. Es ist naheliegend, dass das Medium Internet dasjenige sein wird, das am ehesten diesen gesellschaftlichen "Polylog" repräsentieren kann. Und nicht nur das: es hebt diese Vielfältigkeit durch seine spezifischen Vermittlungsrelationen auf eine neue Ebene.

"Flüssige" Technologie

Erschwerend kommt für das Verstehen hinzu, dass das Netz eine sinnlich kaum fassbare Einheit ist. Es ist als Technologie "flüssig", es durchdringt alle Bereiche der Gesellschaft; es handelt sich dabei um einen Zustand, den man nicht einfach abbilden kann. Das Internet als "Netz der Netze" ist kein starres "System" - eine neue Prozesshaftigkeit ist im Denken gefragt, um sich ihm erkenntnismäßig anzunähern. Es kann also nicht um eine rein statische Wissensadaption gehen. Man muss gewissermaßen "drinnen" sein, um die Bewegung dieser Technologie nachzuvollziehen.

Technische Lösungen, die einhergehen mit Lösungen diesen Anforderungen an unser Vorstellungsvermögen, werden mehrere Komplexe miteinander verbinden und auch weiterhin nach aufwändigen Technologien verlangen. Neben der allgemeinen Erhöhung der Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung (leistungsfähigere Hardware) und der Ausweitung der Kommunikation zwischen Informationsproduzenten und -konsumenten (Netzwerke) sei noch die rationelle Speicherung großer Informationsmengen bei vielfältigen Zugriffsmöglichkeiten und kurzen Zugriffszeiten ("Archive", u.U. als Datenbanken) genannt. Ein Beleg für diese Abstraktionsproblematik ist der weitverbreitete Irrtum, dass die Suchmaschinen im Internet suchen würden; sie suchen in einer Datenbank des Suchmaschinen-Anbieters, die insofern auch ein "Modell" des Internet darstellt, soweit sie es abzudecken vermag. Gerade in dieser Koexistenz, bzw. Kombination von Netz- und Datenbanktechnologien liegt die Durchschlagskraft des Internet.

Das Internet unterscheidet sich von seinen Vorgängern (Telefonnetz, Post, audiovisuelle Medien, Satellitentechnik) dadurch, dass es von vornherein global, multimedial, interaktiv und a/synchron ansetzt. Die bisherigen globalen Medien wie Telefon, Post, Fax, Telex erfüllen jeweils nur einzelne Aspekte. Entscheidend ist neben der Möglichkeit zur unmittelbaren Rückmeldung und der Reichweite der Umstand, inwieweit der Kommunikationsakt zwischen den Teilnehmern räumlich/zeitlich koordiniert, synchronisiert sein muss. Beim Internet ist es möglich, zwischen den Modi "umzuschalten"; man muss teilweise synchron sein, aber nicht immer.

Auf der anderen Seite ist das Netz aber in dem Sinne zugänglich, da es in seiner Benutzung "transparent" wirkt, d.h., jedem User erscheint es so, als ob er direkt mit dem Kommunikationspartner verbunden ist. Das Internet ist ein neues "Modell" sozialer Beziehungen, das Beziehungen zwischen Kooperationspartnern im Arbeitsprozess, Verkäufern/Käufern oder auch Dozenten/Lernenden vermittelt. Dass ein Gegenstand oder eine Fähigkeit am Ende der "Vermittlungskette" steht, ist zwar im Bewusstsein der Beteiligten, ist aber nicht länger sinnlich unmittelbar nachvollziehbarer Bestandteil der Kommunikation. Insofern sind sowohl der Warentausch als auch der Arbeits- und Lernprozess im Zuge von Telearbeit und Telelearning abstrakter geworden.

Telelearning und Telekommunikation

Das serverbasierte Arbeiten in Netzwerken erfordert neben der Bedienungskompetenz der jeweiligen Clients (z.B. einem Browser) und einem Grundlagenwissen über die Abläufe in globalen Netzwerken vor allem aber Handlungskompetenz in virtuellen Räumen. Die durch das Internet geschaffenen Kulturräume machen die Bereitschaft notwendig, dass die dortigen Sozialbeziehungen von den Beteiligten "nachempfunden" werden, obwohl sie sinnlich-konkret nicht mehr wahrgenommen werden können, mein Gegenüber nur noch symbolisch (Text auf dem Monitor, Avatar o.ä.) erfahrbar ist.

Dieser Prozess der Bindung von Emotionen an Wissen ist nicht neu, er findet in jeder Kultur als Vergesellschaftungsprozess/Erziehung statt. Erst wenn Emotionen an Wissen gebunden wurden, scheint die Erziehung - aus Sicht der Veranstalter - temporär gelungen. In Bezug auf das Internet ist dies noch nicht erfolgt. Das Internet ist für die Mehrzahl der in der Arbeitswelt Betroffenen eine äußerliche Angelegenheit; bestenfalls hat man sich die Bedienungskompetenz und ein wenig Grundlagenwissen über Netzwerke angeeignet. Wir sind jedoch noch weit davon entfernt, "im Netz zu leben", unabhängig davon, ob dies wünschenswert sei oder nicht. Durch das Netz wird der Zusammenhang von Wissensvermittlung - Lernen - Persönlichkeitsentwicklung neu gesetzt. Kurz, so wie es zum praktischen Umgang mit dem Internet neue Fähigkeiten braucht, bedarf es zur Aneignung entsprechender Fähigkeiten neuer Vergesellschaftungsräume und -bühnen.

Seit einiger Zeit gibt es Versuche, in der praktischen Aus- und Weiterbildung das Telelearning-Modell einzusetzen. Folgendes beispielhafte Szenario soll für Kurse stehen, die zur Zeit in Deutschland von verschiedenen Anbietern realisiert werden (z.B. www.evolearning.de).

Walter aus Köln und Susi aus Berlin sind arbeitslos, Anfang bis Mitte vierzig und haben vom Arbeitsamt eine Jahresfortbildung "Mediendesign" genehmigt bekommen. Sie haben sich für einen vom Arbeitsamt anerkannten Bildungsträger entschieden, der den Kurs als Telelearning anbietet. Jeden Vormittag haben sie eine Pflichtvorlesung zu besuchen, jeden Nachmittag einen Workshop und ein Seminar zu verschiedenen Themen. In der Regel wechselt ein Thema alle zwei bis sechs Wochen. Soweit ist alles wie gehabt und bekannt. Walter und Susi besuchen (rein interessenbedingt) immer die gleichen Vorlesungen, Seminare und Workshops.

Die Vermittlung der Kursinhalte erfolgt jedoch virtuell. Von Angesicht zu Angesicht haben sie sich noch nie gesehen, die Dozenten kennen sie nur per Audio/Video (die Vorlesung wird über Satellit übertragen). Bei den Workshops und Seminaren dominieren Audio und Chat als Kommunikationsbasis der Teilnehmer mit dem Dozenten und untereinander. Die Schnittstelle zum virtuellen Sozialraum bildet eine Lernstation aus PC, Satellitenantenne, Astra-Karte und Internetanschluss. Die spezielle Lernsoftware erlaubt es, den Demonstrationen des Dozenten auf dem eigenen Monitor zu verfolgen und parallel dazu zu üben. Wissensvermittlung und die Aneignung virtueller Handlungskompetenz gehen hier Hand in Hand und werden im Laufe der Kursmonate nach dem Konzept "learning by doing" systematisch geübt.

Um den Kurs durchzuhalten, bedarf es zunächst eines hohen Maßes an Selbstdisziplin und Selbstorganisation, die das Leben in zwei Welten ermöglichen. Der Teilnehmer ist real allein, aber virtuell in einer Gruppe vergesellschaftet. Der unmittelbar disziplinierende Zwang der Face-to-face-Gruppe entfällt. Gleichzeitig ergeben sich neue Freiheiten, der Kurs lässt sich auch aus der Badewanne heraus verfolgen.

Auf der Kommunikationsebene entfallen die nonverbalen Botschaften und Füllsel (z.B. der Gesichtsausdruck "war nicht so gemeint"). Im Seminar-Chat legt sich jeder fest, schließlich ist das Geschriebene dokumentiert, relativieren ist schwieriger. Kurz, die Kommunikation ist präziser und eindeutiger. Andererseits kann ich nur sinnvoll auf den für mich virtuellen Partner eingehen, wenn ich Empathie für ihn aufbringe, mir z.B. vorstellen kann, wie er ärgerlich auf meine blöden Chatstatements in der Arbeitsgruppe reagiert. Die Präsenz körperlicher Wahrnehmung fehlt zwar, andererseits muss ich sie in gewisser Weise rekonstruieren. Die Devise heißt "to be and not to be", nicht "to be or not to be".

Jedem Kursteilnehmer wird schnell klar, dass jede seiner virtuellen Aktionen Spuren hinterlässt, z.B. in den Log-Files des Bildungsträgers. Auch nach Monaten könnte - prinzipiell - noch rekonstruiert werden, wer wie an welcher Aufgabe gearbeitet hat. Hier wird deutlich, was wir oben mit der Verdopplung der Subjektivität meinten. Der Teilnehmer verdoppelt sich quasi, ist virtuell noch einmal vorhanden.

Dies als altbekanntes Sicherheitsproblem abzutun, greift zu kurz. Die Teilnehmer müssen ein neues Selbstbewusstsein ausbilden, das diese virtuelle Verdopplung als Teil ihrer selbst annimmt, um kollektiv und solidarisch miteinander virtuell zusammenzuarbeiten. Die Virtualität muss als eigene Existenzebene begriffen und erlebt werden, um sich wirklich über alle Handlungskonsequenzen im Klaren zu sein. Weiterhin posten beispielsweise täglich Millionen ihre Mails, obwohl sie wissen, dass ihre Adressen zu Marketingzwecken gesammelt und verkauft werden.

Wir haben hier nur wenige Aspekte virtueller Handlungskompetenz für das Szenario des Telelearning schildern können. Dieses Szenario lässt sich auch auf die Situation international operierender Unternehmen ausdehnen. Die unter den oben geschilderten Umständen Sozialisierten können dann problemlos z.B. in einem global operierenden Konzern arbeiten. Stellen wir uns einen mehrtägigen Kurs für neue Produktionstechniken eines Autokonzerns in Japan, Amerika und Deutschland vor: ein teurer Teamer kann global viele Teilnehmer bedienen. Oder den Moderator einer internationalen Projektgruppe, die weltweit verstreut arbeitet usw.

Wer dort aus Unerfahrenheit oder aus Angst vor seinem "virtuellen Doppelgänger" nicht mitmachen kann, ist out im doppelten Sinne - raus aus dem realen UND dem virtuellen Handlungsraum. Wir haben das Beispiel des Telelearning gewählt, um deutlich zu machen, wie das Internet als "Beziehungsmaschine" funktioniert und in dieser Funktion an Bedeutung gewinnen wird.

Die neue Qualität dieser Sozial- und Arbeitsbeziehungen ist die Virtualität. Virtuell sind Beziehungen, wenn die gegenseitige sinnlich-konkrete Wahrnehmung (als sozialer und subjektiver "Kitt") nicht mehr notwendig für die Beziehung ist; die Beziehung existiert unabhängig von den Kommunikationspartnern und ist zeitlich-räumlich nicht synchronisiert. Zwar werden auch sinnliche Eindrücke über Medienkanäle vermittelt, aber die machen die Beziehung nicht allein aus. Zu überlegen ist, wie sich hier neue virtuelle Rollenmuster herausbilden, die neue Handlungskompetenzen verdichten und über die Fähigkeit verfügen, Sozialräume auch dann als Realität "nachzuempfinden", wenn sie nicht unmittelbar sinnlich-konkret vorhanden sind. Alles, was Walter und Susi in das Telelearning-System hineintippen, einscannen, hineinsprechen oder als Video-Sequenzen einspielen, ist in diesem Moment unabhängig von Ihnen und kann, wie schon gesagt, noch Jahre danach ermittelt werden. Das Netz als "Beziehungsmaschine" verkörpert diese neue Vermittlungsrelation.

Perspektiven

Der eigentliche Entwicklungssprung steht dem Internet noch bevor. Die kommende Automatisierung läuft nicht allein über die Roboter in der Automobilindustrie, sie ist auch dort anzutreffen, wo Leistungen der gesellschaftlichen Integration "technisiert" werden. Informationstechnologien entfalten da ihre Produktivität, wo Informationen hin- und hergeschickt werden: bei Vergesellschaftungsleistungen der Information und Kommunikation. Die, die das informatorische Räderwerk in Betrieben, Organisationen und Ämtern "in Gang halten", werden überflüssig, die Wege werden digitalisiert.

Optimal wären weitere Medien, die den Informationsnotwendigkeiten ihrer Anwender auf verschiedene Weise angepasst sind. Zu nennen wäre dabei das Konzept der "Software-Agenten". Das sind Programme, die - einfach gesagt - eine Art Informationsprofil von ihren Anwendern bekommen und autonom in den Netzen nach Informationen suchen. Funktionen wie "Agent", aber auch andere wie "Archiv" oder "sprachliche Übersetzung" werden über das Netz verstärkt und in immer differenzierteren Angeboten zur Verfügung stehen. Die bisher angedeutete Struktur des Internet bedeutet, dass das, was auf der Bewusstseins-Ebene entschieden wird, durch neue technische Medien sich ausweitet, so dass man sich auf kreative Denkfunktionen im engeren konzentrieren kann und Zusatzfunktionen wie die Informationssuche an Maschinen auslagert. Vernetzte Maschinen werden zu "intelligenten Assistenten", die Informationen unterschiedlichster Art bereithalten.

Möglicherweise beginnt hier die Geschichte der Künstlichen Intelligenz. Wenn es irgendwann intelligente Maschinen geben sollte, werden sie in den Netzen ein ideales Umfeld vorfinden. Die Virtualität, die für die menschliche Wahrnehmung immer eine Herausforderung bleiben wird, wird für intelligente Maschinen ein selbstverständlicher Raum ihrer realen Existenz sein. Insofern bereitet das Internet die nächste Stufe der technischen Evolution vor. Was immer auch die Zukunft bringen mag, das Internet ist jedenfalls schon jetzt in seinen verschiedenen Formen eine grundlegende Bedingung, um an dem Abenteuer der globalen kulturellen Wissensproduktion teilzunehmen.