Das Merkel in der Uckermark

Bunte TV - Die Promiseuche im öffentlich-rechtlichen Fernsehen hat einen neuen Höhepunkt erreicht

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Darauf hat die Fernsehnation gewartet: Die Königin der deutschen Klatschpresse hat angebandelt mit dem Ersten Deutschen Fernsehen und geht heute Abend in Gestalt von Bunte TV erstmals auf Sendung - präsentiert von Bunte-Chefredeakteurin Patricia Riekel höchstselbst. Weil Prominente nicht mit Hinz und Kunz reden und sie erst recht nicht in ihre Privaträume reinlassen. Dass Hinz und Kunz die Aufzeichnung von Riekels Promi-Besuchen auf dem heimischen Bildschirm sehen könnten, tut nichts zur Sache.

In der ersten Sendung besucht Patricia Riekel die CDU-Chefin. Das Merkel in der Uckermark! In seinem Biotop sozusagen! Da wird sich die Titanic-Redaktion aber freuen. Apropos Satire: Erinnert sich noch jemand an Ruby Wax und ihre Talk-Show Ruby Wax Meets? In einer Episode besucht sie Imelda Marcos im Exil, lässt sich von der Diktatoren-Gattin a.D. durch alle Räume führen und nimmt hinter Imeldas Rücken mal eben Platz auf dem Klo. Brennend vor Neugier und etwas verschämt zugleich. In den Gesprächen selbst führt diese Mischung zu unverschämt erhellenden Situationen. Weil Ruby Wax im Plauderton hoch brisante Fragen stellt - und ihre Gesprächspartner auf diese Weise aus der Reserve lockt.

Bei Bunte TV ist mit solchen Szenen und Situationen nicht zu rechnen. Patricia Riekel wird sich garantiert nicht auf die Toilette von Angela Merkel setzen und schnell mal runterspülen. Weil sie sich - zumindest teilweise - zu ihrem Vorbild Margret Dünser und deren 'VIP-Schaukel' bekennt; einer Promi-Show der Siebziger Jahre, die auch unter Spätgeborenen Kultstatus genießt - und in der nächtlichen ZDF-Sendereihe "Vor 30 Jahren" vereinzelt wiederholt wird. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung erklärte Patricia Riekel: "Zum Teil ist Frau Dünser tatsächlich ein Vorbild: Sie hat das sehr elegant gemacht und ist bei aller Nähe diskret geblieben."

Ob es bei Merkels wenigstens was zu essen gibt? Vermutlich nicht. Riekel macht ja keine Kochshow und bekleckern will sie sich auch nicht. Sie weiß, dass es im Fernsehen "vor allem um die Optik" geht. Was alles schief gehen kann, verrät sie in einem Interview

Die Haare sitzen nicht, sind am Hinterkopf flach wie bei Amelie Fried, die Hosen rutschen wie bei Frau Christiansen. Stottere ich oder habe ich einen zu romantischen Augenaufschlag wie Frau Maischberger? Man weiß es nicht. Sie werden verstehen, dass es mir als Journalistin, die sich stets darüber definiert, was sie schreibt, etwas schwerer fällt, mich als Fernsehdame auf das zu konzentrieren, was ich optisch präsentiere. Das ist auch ein Experiment.

SZ

Aha, ein Experiment. Vielleicht für Patricia Riekel, aber leider nicht für den Zuschauer. Der hat schon jetzt die Qual der Wahl, wenn es um Promis geht. Die tauchen schließlich nicht nur bei Kerner, Maischberger, Beckmann und Co. auf, sondern auch in Kochstudios, im Boxring, in Quizsendungen und in Homestories sowieso. Wer braucht das Merkel in der Uckermark, wenn er regelmäßig bei den Osbournes abhängen darf? Wer braucht überhaupt Promis?

Vermutlich gab es sie schon immer. Diese Prominenten, vulgo: Promis. Früher hießen sie bloß anders. Kein Wunder. Schließlich setzt sich der Begriff prominent mit all seinen Ablegern und Auswüchsen (Prominenz, Prominente/r, Promi) erst im 20. Jahrhundert durch. Entsprechend kurz fällt denn auch der Eintrag im Etymologischen Wörterbuch von Kluge aus:

prominent Adj. (< 20. Jh.). Unter Einfluß von e. [englisch] prominent entlehnt aus l. [lateinisch] prominens (-entis), dem PPräs. von l. prominere 'hervorragen, hervortreten', zu l. minere 'ragen' und l. pro-. Abstraktum: Prominenz.

Tatsächlich: egal wo man hinschaut, überall ragen die Fratzen von Becker, Feldbusch & Co. hervor. Sogar jenseits des Bildschirms machen sie sich breit. Trotzdem ergeben die Suchbegriffe 'Promiseuche' und 'Promiplage' bei Google bislang jeweils 0 (in Worten: Null) Treffer. Merkwürdig. Findet niemand Worte für die Omnipräsenz von Dieter Bohlen? Man kann ja nicht mal mehr Joghurt kaufen, ohne visuell belästigt zu werden vom grienenden Bohlenschädel. Dabei ist Halloween längst vorbei. Naja, wird sich schon wieder legen. Beckenbauer hat ja auch ausgeblubbert bei O2. Und nicht nur dort. Auffällig still ist es geworden um den Kaiser. Nur schade, dass er von einem noch unerträglicheren Werbeträger abgelöst wurde.

Schon seltsam, dass diese PR-Leute nicht begreifen wollen, dass die beworbenen Produkte nicht wegen, sondern trotz der plärrenden Promis gekauft werden. Oder gibt es auch nur einen vernünftigen Menschen, der nur deshalb zu Gummibärchen greift, weil ein aufdringlicher Kerl mit Locken nach allem grapscht, wo Haribo draufsteht? Wer glaubt schon an die Zukunft der Post, wenn den Verantwortlichen nichts besseres einfällt, als die Gebrüder Gottschalk unter Vertrag zu nehmen? Und was ist eigentlich ins ZDF-Personal gefahren, als man Gottschalk zur Stimmung in Kalifornien befragte, nachdem Schwarzenegger zum Gouverneur gewählt worden war? Gibt es nicht genügend Korrespondenten vor Ort? Muss man ausgerechnet eine selbstverliebte Plaudertasche befragen, die noch nicht mal der Intendant des ZDF witzig findet?

Diese klitzekleine 'Schalte' zu Gottschalk war der letzte Beweis dafür, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen endgültig auf den Promi gekommen ist: egal worum es geht, erst mal einen Promi fragen. Man kann nur hoffen, dass Gottschalk kein Honorar bekommen hat für seine Plattitüden. Schließlich gehört Herr Gottschalk via Wetten dass...? quasi zum Haus.

Doch zurück zur ARD und Bunte TV. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen einen Pakt eingeht mit einem Klatschblatt. Schon die Überlegung, wer da eigentlich von wem profitiert, beziehungsweise wer wem Geld gibt, sollte man sich verkneifen. Ein Anruf in der Redaktion von Bunte TV beim Hessischen Rundfunk macht deutlich: Allein die Frage, ob Bunte TV durch GEZ-Gebühren finanziert wird, ruft Empörung hervor. Selbstverständlich werde Bunte TV über einen Mix aus GEZ, Werbeeinnahmen und Sponsoring finanziert. Wie jede andere Sendung des ARD auch. Das sei schon immer so gewesen und sei auch so üblich. Die GEZ alleine reiche ja leider nicht aus. So eine der Redakteurinnen von Bunte TV gegenüber Telepolis.

Und was ist mit dem so genannten 'Bildungsauftrag' des öffentlich-rechtlichen Fernsehens? Was spricht eigentlich dagegen, dass der Hessische Rundfunk verstärkt Dokumentarfilme produziert? Muss ja nicht teuer sein. Für den Anfang wäre eine Homestory über den Hausschwamm vollkommen ausreichend. Der harmlos klingende Untermieter kann immerhin Häuser zum Einsturz bringen und wurde nicht zuletzt deshalb von der deutschen Gesellschaft für Mykologie zum Pilz des Jahres 2004 gekürt. Irgendwer muss ja auf die heimliche Gefahr des Pilzgeflechts aufmerksam machen. Aber solange das öffentlich-rechtliche Fernsehen zu den Opfern der Promiseuche gehört, wird man solche aufklärerischen Beiträge mit der Lupe suchen müssen.