Das Neutrum von New York

Die Wiederwahl von Michael Bloomberg zum Bürgermeister von New York steht so gut wie fest

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In den Häuserschluchten von New York verliert sich der Wind vom Atlantik, aber am Ground Zero weht er auch an diesem regnerischen Tag wieder scharf. Die Szenerie ist gespenstisch: Touristen fotografieren die abgesperrte Baugrube, im Hintergrund predigen ein paar religiöse Eiferer. "Nur Gott wird uns retten", schallt es durch ein Megaphon, dazu spielt Dudelsackmusik. Hier, wo bis zum Terror-Anschlag im September 2001 die Zwillingstürme des World Trade Centers standen, soll in den nächsten Jahren etwas Neues entstehen.

Ground Zero

Wer diese Tage durch die Straßen des "Big Apple" läuft, trifft auf eine weitgehend entspannte Stadt. Zwar staut sich wie üblich der Autoverkehr, während es auf den Fußwegen nicht schnell genug gehen kann, von den bevorstehenden Bürgermeisterwahlen aber ist kaum etwas zu bemerken. Wahlplakate beherrschen hier eh nie das Stadtbild, das Bekleben von Häuserwänden mit Papier ist illegal. Aber die Kandidaten sind trotz hoher Wahlkampfausgaben auch selten im TV zu sehen, kein Wunder, bei allein hundert kostenlos zu empfangenden Programmen. Das Radio spielt Tanzmusik. Am 8. November sind Wahlen, der Sieger indes steht schon heute fest.

Der nepalesische Taxifahrer lotst schnittig an einen Radfahrer vorbei, tätschelt seinen Buddha auf dem Armaturenbrett und weiß, warum der Wahlkampf so müde verläuft: "Bloomberg hat eh schon gewonnen", sagt er und fährt fort: "Das Programm der Kandidaten interessiert hier niemanden. Wichtig ist die Sicherheit in der Stadt und das es wirtschaftlich aufwärts geht."

Für beide Punkte steht der amtierenden Bürgermeister Michael Bloomberg, 63. Vor drei Jahren kam er mit einem kräftigen Griff in seine gut gefüllte Privatschatulle und dem Protégé seines Vorgängers, Rudy Giuliani, 61, ins Amt. Der legendäre "Law and Order"-Mann steht noch heute in dem Ruf, aus dem einstigen Moloch eine sichere Stadt gemacht zu haben. Dieses Erbe verwaltet Bloomberg seither erfolgreich. In Brooklyn wohnen Familien, Künstler und Angestellte, selbst die Bronx ist weitgehend befriedet. Der Taxifahrer ist ebenso begeistert wie viele andere Einwohner auch: "Schau es dir an, Mann, New York ist heute einer der sichersten Plätze in der Welt. Und das ist nicht erst seit 9/11 der Fall!"

Michael Bloomberg

Sicherheit hat ihren Preis und die meisten New Yorker sind bereit ihn zu bezahlen. In den U-Bahnen gibt es immer wieder Ausweiskontrollen, im Financial District überwachen über 2.000, meist private Kameras das Geschehen, Rucksackträger werden gerne aufgefordert, den Inhalt ihres Beutels auszupacken.

Es ist aber auch Bloombergs privater wirtschaftlicher Erfolg, den die Wähler honorieren. Der Mann ist Milliardär, Politik ist für ihn nur eine weitere Spielwiese. Zunächst wollte er 2001 nur 20 Millionen Dollar in den Wahlkampf stecken, später sind es dann über 70 Millionen geworden - egal. Mit seinen Finanznachrichten-Service "Bloomberg L.P." und seinem eigenen Fernsehkanal "Bloomberg TV", der auch in Deutschland zu empfangen ist, gehört er zu den einflussreichsten Männern der USA. Sein Unternehmen beliefert über 350 Zeitungen mit Finanznachrichten. Aus diesem Holz sind Helden geschnitzt, die verwundete New Yorker Seele erhofft sich Balsam von solchen Männern.

Obwohl offiziell als Republikaner kandidierend ist die parteiliche Ausrichtung für Bloomberg Nebensache. Lange war er Mitglied der Demokraten, sein Wechsel zur Bush-Partei vollzog sich erst kurz vor seiner Wahl im Jahre 2001, angeblich auch, um die überfüllte Liste der Demokraten zu umgehen. In New York, das weiß der 108. Bürgermeister, wird zurzeit nur der gewählt, der die Arbeitsplätze im Financial District und zugleich die sozialen Programme erhält.

Dazu kommt, dass er im Gegensatz zu vielen Parteifreunden ein Gegner der Todesstrafe ist und sich öffentlich gegen ein Abtreibungsverbot und für mehr Rechte für Homosexuelle ausgesprochen hat. Die Brisanz dieser Fragen ist über Parteigrenzen hinweg entscheidend, wer sie progressiv beantwortet, ist selten Bush-Anhänger. Douglas Muzzio, Politikwissenschaftler am Baruch College, nennt Bloomberg ein RINO, einen "Republic in name only".

Dem in New York so beliebten "Bush-Bashing" kann sich Bloomberg zwar nicht anschließen, Fotos von ihm und dem Präsidenten sind aber selten. Er vermeidet es stets, zu Fragen der nationalen oder gar internationalen Politik der USA Stellung zu nehmen. Auf die Frage nach dem Krieg im Irak antwortete er jüngst: "Das ist keine Frage von lokalem Interesse, ich habe nichts dazu zu sagen."

Sein demokratischer Herausforderer, Freddy Ferrer, 1950 in der Bronx geboren, liegt den letzten Umfragen nach 30 Prozentpunkte hinter Bloomberg. Der ehemalige Bezirkschef der Bronx hat gerade einmal 4,5 Millionen Dollar an Spendengeldern für den Wahlkampf sammeln können. Bloomberg soll das Zehnfache ausgegeben haben - wiederum aus seiner eigenen Tasche. Der Wahlkampf verläuft trotzdem müde, die größte und wichtigste Stadt der USA muss mal wieder ohne politische Streitkultur auskommen. Schon bei den Präsidentschaftswahlen im letzten Jahr war von der nationalen und internationalen Aufregung um eine zweite Amtszeit von George W. Bush in New York wenig zu spüren: Die Stadt ist eine Hochburg der Demokraten, die Republikaner steckten keinen Cent in den Wahlkampf vor Ort, ihr Parteitag war Zielpunkt wütender Demonstrationen.

Bloomberg wird für die New Yorker auch nach seiner voraussichtlichen Wiederwahl ein schwer einzuschätzender Faktor bleiben, reine Anbiederung wirft ihm aber niemand vor. Kurz nach der Wahl zum Bürgermeister im Jahre 2001 erhöhte er die Einkommenssteuer, zwei Jahre später setzte er ein Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden und Restaurants durch. Seine größte Aufgabe steht ihm vielleicht noch bevor: Über die Bebauung des "Ground Zero" ist neuer Streit entbrannt, die Interessengruppen sind sich um die angemessene Würdigung der Toten uneins, selbst der "Freedom-Tower" Entwurf von Daniel Libeskind steht wieder zur Disposition. In das Hickhack schaltet sich immer wieder auch der Bürgermeister ein. Es müsste hier, so seine letzte Meinung dazu, neben Geschäfts- auch mehr Wohnraum geschaffen werden.

Da er schon seit Monaten wie der Gewinner der Wahl aussieht, schlagen sich Intellektuelle, Gewerkschafter und andere Interessengruppen vorsorglich auf seine Seite. Ein Gewinner, so wissen sie, kann ihnen später helfen, ein Verlierer nicht. Bloomberg macht es ihnen zudem einfach. Weder sein Auftreten noch seine Politik polarisieren, da stört es selbst nicht, dass er in der falschen Partei ist. Oder, wie der Mann vom Donut-Stand in Manhattan es ausdrückt: "Das Geheimnis von Bloomberg ist ganz einfach, dass er niemanden auf die Nerven geht."