Das Parlament darf palavern

Am 1. September wird im Reichstag über Waffenlieferung in den Irak geredet

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Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages müssen ihre Ferien unterbrechen, am 1. September findet eine Sondersitzung des Parlaments statt, die Bundeskanzlerin gibt eine Regierungserklärung zur Lage im Nahen Osten ab, anschließend haben die Volksvertreter Gelegenheit, sich über deutsches militärisches Engagement im irakischen Krisengebiet auszutauschen.

Angela Merkel hat nach einigem Zögern ihre Absichten kund getan: Die Bundesrepublik soll militärische Ausrüstung an kurdische Gegner des "Islamischen Staates" (IS) liefern, eventuell militärische Berater stellen, an einen direkten Einsatz der Bundeswehr sei nicht gedacht. Die SPD-Führung hat (mit Ausnahme eines Vizevorsitzenden) ihre Zustimmung für dieses Konzept erklärt. Es handele sich dabei nicht um einen "Paradigmenwechsel" sozialdemokratischer "Sicherheits"-Politik, erläutert Sigmar Gabriel. Dies betrifft den bisherigen Grundsatz, deutsche Waffen nicht in Kampfzonen zu transferieren.

Man darf gespannt sein, wie die SPD sich verhalten wird, wenn möglicherweise demnächst dann doch deutsche Soldaten im Irak mitkämpfen sollen. Die für das Militär zuständige Bundesministerin neigt offenbar zu einem solchen Schritt, auch einige Unions-Politiker befürworten ihn bereits.

Für die militärische Lage im Irak haben die geplanten deutschen Waffenlieferungen an kurdische Einheiten nur sehr randständige Bedeutung, die Kräfteverhältnisse insgesamt sind so nicht beeinflussbar. Beliefert werden sollen Peschmerga-Einheiten, nicht die PKK-Truppe; es handelt sich demnach um Unterstützung für eine der konkurrierenden kurdischen Kräfte.

Auch die deutsche Bundesregierung wird nicht ernsthaft annehmen, dass damit eine Wende zugunsten der bedrängten und geschundenen Jesiden herbeigeführt oder gar der "Islamische Staat" in die Defensive gebracht werden könnte. Es geht vielmehr um Symbolpolitik - um ein Zeichen für "militärische Bereitschaft" der Bundesrepublik an andere NATO-Staaten und vor allem um die Gewöhnung der deutschen Bevölkerung an Militäreinsätze in aller Welt. Die Gelegenheit ist günstig: Der "IS" steht dar als Verkörperung von Barbarismus.

Die Bundeswehr, sagen deutsche Politiker gern, sei eine "Parlamentsarmee", bei den Volksvertretern liege die Entscheidung über ihr Agieren out of area. Seit längerem bemühen sich aber Strategen der Militärpolitik, diesen "Parlamentsvorbehalt" aufzuweichen oder abzuschaffen. Das geht am besten auf schleichende Weise: Erst einmal militärisches Gerät liefern und dabei den Volksvertretern die Möglichkeit einräumen, darüber zu palavern, das wirkt beruhigend. Praktisch ist diese "Hilfe" bereits durch die großkoalitionäre Regierung angebahnt. Und wenn die Ausrüstungsgegenstände selbst einer Hilfe durch deutsche Soldaten bei ihrer Verwendung bedürfen, wird die Kritik oder Opposition hierzulande sich in Grenzen halten, beherrschbar sein.

Ein Paradigmenwechsel im Verhältnis von Parlamentarismus und Regierungsmacht, die Militärpolitik betreffend, geschieht so ganz "organisch", ohne Aufregung hervorzurufen. Zumal die grüne Partei, als jetzige parlamentarische Opposition im Wartestand für das Mitregieren auch im Bund, alles andere als pazifistisch ist.

Am 1. September übrigens findet in der Bundesrepublik der traditionelle "Antikriegstag" statt, eingeführt wurde er vor Jahrzehnten durch eine Initiative der Gewerkschaften. Beteiligung von Massen hat er nicht mehr, obwohl das Unbehagen an militärischem Engagement zu geopolitischen Zwecken in der deutschen Bevölkerung stark ist. Eine wirksame außerparlamentarische Opposition müssen die deutschen Militärpolitiker nicht befürchten, wenn sie am 1. September dem Parlament eine "Aussprache" gönnen; und die reißt nichts um.