Das Phantom al-Sarkawi

Angeblich soll der berüchtigte Mastermind von al-Qaida im Irak einen Nachfolger bestimmt haben, aber wie immer gibt es nur Gerüchte; US-Verteidigungsminister Rumsfeld beklagt sich über die harte mediale Konkurrenz der Terroristen

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Gerüchte zirkulieren derzeit über den Mann, der im Irak zum personalisierten Bösen wurde. Allerdings blieb der Jordanier al-Sarkawi trotz aller Prominenz ein Phantom, von dem nicht einmal klar war, ob er tatsächlich noch lebt und nicht womöglich schon zu Beginn der Invasion umgekommen ist. Nun soll er, je nach Gerücht, aus dem Irak geflohen und/oder schwer verletzt (Lungenschuss) sein. Es geht auch das Gerücht um, dass es bereits einen Nachfolger für ihn gibt, der die Terrorgeschäfte von al-Qaida im Irak leiten soll. Über das Internet werden die Informationen oder die strategische Kommunikation verbreitet und gelangen so zu den Massenmedien, die sie weiter verbreiten, auch wenn sie nicht beurteilen können, ob die Informationen wahr sind oder nicht.

Die Menschen wollen Geschichten über Gut und Böse, und sie wollen, dass es Hauptrollen gibt, die mit entsprechenden Charakteren besetzt sind. Diese dramatische Personalisierung ist nichts Neues, da sie einen komplizierten Prozess mit vielen Akteuren und unterschiedlichen Interessen überschaubar macht. Egal, auf welcher Seite man steht, so ragen die Hauptdarsteller aus dem Chaos heraus und geben den Zuschauern die Möglichkeit, eine Position einzunehmen.

Solche Geschichten und Hauptdarsteller sind das Thema von Literatur, Schauspiel oder Kino, aber auch der Nachrichtenmedien. Das wurde besonders nach dem 11.9. deutlich, als es zunächst einen Kampf der Giganten Bush und bin Laden gab, der sukzessive aufgrund der schon vor dem Afghanistan-Krieg beabsichtigten Lösung des Irak-Problems, aber auch durch das Untertauchen des großen Gegenspielers in der unübersichtlichen Wildnis der Berge Afghanistans und Pakistans durch Saddam Hussein ersetzt wurde. Anders als der Terrorfürst aus der Höhle hatte der Diktator ein ganzes Land unter sich und eine angeblich große Streitkraft mit den gefährlichen, für die ganze Welt bedrohlichen Massenvernichtungswaffen, die man bei al-Qaida in den Bergen nicht gefunden hatte.

Nach der schnellen Eroberung des Irak schien sich dann die Geschichte zu wiederholen: der böse Gegenspieler war spurlos verschwunden. Dafür begann nach und nach der Widerstand im Irak zu wachsen. Man nahm an, dass der Diktatur aus dem Untergrund mit seinem vielem Geld dabei die Fäden zog. Als man Hussein mit einem Köfferchen Geld dann buchstäblich aus einem Loch im Untergrund fand, änderte sich nichts am Widerstand. Die Anschläge nahmen zu, es tauchten immer mehr Gruppen auf, die Lage wurde so unübersichtlich, wie sie jetzt noch immer ist.

Das war die Geburtsstunde von al-Sarkawi. Der soll schon vor der Invasion eine Terrorzelle im Irak aufgebaut haben, nachdem er sich angeblich mit bin Laden überworfen und aus Afghanistan in den Irak gezogen ist. Al-Sarkawi war für die US-Regierung das Bindeglied, das die Beziehungen zwischen al-Qaida und dem Hussein-Regime belegen sollte. Erklärt wurde, dass der angebliche al-Qaida-Vertreter sich in Bagdad aufgehalten und dort in einem Krankenhaus behandelt worden sei. Zumindest hieß es, dass der spätere Terrorfürst dort operiert wurde und nur noch ein Bein habe. Als dann die US-Luftwaffe im April 2003 die Stellung der kurdischen Terrorgruppe Ansar al-Islam bombardierte, die angeblich mit al-Qaida verbunden war und bei der sich al-Sarkawi aufgehalten hat, soll er dabei zusammen mit vielen anderen getötet worden sein. Bilder wie von bin Laden, der hin und wieder mal in einem Video auftauchte und Botschaften verkündete, gibt es seitdem von ihm nicht mehr. Es sollen einige Tonbandaufzeichnungen von ihm stammen, aber niemand kann sagen, ob hier wirklich al-Sarkawi gesprochen hat.

Dann aber galt der Krieg als der nunmehr wichtigste Schauplatz des Kriegs gegen den Terror, während die Welle der Anschläge im Irak zunahm. Nachdem auch Husseins Gefangennahme das nicht änderte, wurde angeblich auf einer CD ein, angeblich von Sarkawi verfasstes Strategiedokument gefunden, in dem dieser zum Kampf auch gegen die Schiiten aufrief, um einen Bürgerkrieg auszulösen. Als dann Anfang März während der Ashura-Feierlichkeiten in Kerbala ein Selbstmordanschlag Hunderte von Menschen tötete, wurde der Text auf der CD zum Beleg dafür, dass al-Sarkawi als Mastermind mit der Terrorgruppe Tawhid wal jihad (nicht mehr Ansar al-Islam) hinter den Anschlägen steckt. Nach und nach wurde er als große und geheimnisvolle Gestalt, als Fürst der Finsternis, hinter dem Widerstand aufgebaut, auch wenn es zahllose andere Terror- und Widerstandsgruppen gab, die miteinander in Konkurrenz um Macht, Geld und Medienaufmerksamkeit lagen und wohl noch immer liegen. Auch bin Laden sprach dem ehemaligen Konkurrenten sein Vertrauen aus, so dass er nun endgültig zum al-Qaida-Führer der Region aufstieg. Die US-Regierung erhöhte das Kopfgeld von 10 Millionen auf 25 Millionen US-Dollar und stellte ihn auch damit auf dieselbe Ebene wie bin Laden und Hussein.

Seitdem zirkulieren immer wieder Gerüchte um ihn. So hat die US-Regierung al-Sarkawi als Führer der Aufständischen in der Widerstandshochburg Falludscha ausgemacht, aus der er dann allerdings wie bin Laden aus Tora Bora entkommen sein soll. Er wurde immer mal wieder gesichtet, manchmal gab es Meldungen, er sei festgenommen worden. Auch Gerüchte über Verletzungen gab es schon öfter. Dann wurde auf Webseiten berichtet, dass al-Sarkawi letztes Wochenende in der Nähe von Ramadi von einer Kugel im Bauch oder in der Lunge verletzt wurde. Der schwer Verletzte habe dann mit vier Kandidaten – drei Arabern und einem Iraki – über seine Nachfolge gesprochen. Dann sei er außer Landes gebracht worden.

Und jetzt heißt es auf einer Webseite, dass offenbar weißer Rauch aufgestiegen und ein Nachfolger von al-Sarkawi gefunden worden sei, der ihn bis zu seiner Genesung vertreten soll. Ob an dieser Information etwas dran ist, ist ebensowenig feststellbar wie bei den Gerüchten über al-Sarkawi. Gut möglich ist auch, dass die Medienstrategen bei der Terrorgruppe, die in ihrem Sinn gekonnt mit Anschlägen, Geiselnahmen, Köpfungen und Videos für Aufmerksamkeit gesorgt haben, nur ihre Strategie verändern und al-Sarkawi dabei loswerden wollen, unabhängig davon, ob er ein inszeniertes Phantom ist, tatsächlich lebt oder in letzter Zeit gestorben ist. Vielleicht gab es auch internes Gerangel in der Gruppe um die Führerschaft und die weitere Ausrichtung der Terrorstrategie, nachdem die verstärkten Operationen der irakischen und amerikanischen Truppen den Druck erhöht haben. Angeblich soll Sheikh Abu Hafs al-Qarni (Abu Hafs al-Kurani) der Nachfolger sein. Der soll die härtesten Operationen ausgeführt haben, ist aber bislang nicht in Erscheinung getreten. Ebenso wenig übrigens wie der Autor der Botschaft, der sich Abu Doujanah al-Tunisi nennt und der Medienabteilung der al-Qaida-Sektion im Irak angehört. Und um die Lage noch komplizierter zu machen, gab es inzwischen auch ein Dementi von der angeblich "offiziellen" al-Qaida-Nachrichtenabteilung.

Rumsfeld wünscht sich eine bessere strategische Kommunikation

Im Pentagon jedenfalls ist man nicht glücklich, dass man im Zeitalter des Internet und des Satellitenfernsehens die Nachrichten nicht mehr gemäß der eigenen "strategischen Kommunikation" kontrollieren kann. Verteidigungsminister Rumsfeld beklagte sich gestern, dass die globalen Medien weltweit Informationen zirkulieren lassen, die falsch sind oder den Interessen Amerikas schaden.

Ein Beispiel ist die Newsweek-Story über Guantanamo. Angeblich wurden hier Koranausgaben in die Toilette gesteckt, um die Gefangenen zu demütigen. Das führte zu Unruhen, in Afghanistan gab es Tote. Während das Pentagon diese Information als falsch zurückwies, konnte man dieselbe Strategie nicht fahren, als kurz darauf bekannt wurde, wie Gefangene in Afghanistan misshandelt wurden. Hier handelte es sich um Informationen, die aus Pentagon-Berichten stammten. In seiner gestrigen Rede stellte er wieder einmal den Sender al-Dschasira in den Mittelpunkt seiner Kritik und beschuldigte ihn, mit den Aufständischen zusammen zu arbeiten.

Das ist wirklich der erste Krieg in der Geschichte, der im Zeitalter von vielen globalen Netzwerken von Satellitensendern, mit 24 Stunden am Tag sendenden Nachrichtenmedien, mit Digitalkameras, Emails, Blogger und einem Kongress, der die meiste Zeit im Jahr arbeitet ... Unterschiedliche Kommunikationsmittel. Das Internet. Terroranschläge im Fernsehen.

Donald Rumsfeld

Und dabei seien dem Pentagon die Hände gebunden:

Es sind die ungewöhnlichsten Zeiten. Und wenn auf der anderen Seite der Feind gut die Presse manipulieren kann und nicht immer die Wahrheit sagen und dabei bleiben muss, wir aber die Wahrheit sagen müssen und langsam, groß, bürokratisch und demokratisch sind, dann ist es hart. Es ist eine harte Konkurrenz.

Rumsfeld forderte jedenfalls, dass die USA besser gerüstet sein müssten, um den Medienkrieg zu gewinnen. Man müsste schneller und geschickter handeln, um im Kampf mit den Islamisten erfolgreich zu sein: "Wir müssen erheblich bessere Möglichkeiten entwickeln, diese neuen Kommunikationsmittel zu nutzen, die wir jetzt zur Verfügung haben, um die vielen und unterschiedlichen Rezipienten zu erreichen."