Das Universum als Computersimulation

Nur diesmal wurde sie nicht von Mäusen gestartet

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Wie wurden Galaxien geboren? Ein internationales Team von Wissenschaftlern hat diese Frage jetzt mithilfe einer Computersimulation geklärt. Niemals zuvor wurde eine so detaillierte Modellrechnung zur Evolution des Universums durchgeführt. Die Ergebnisse der so genannten „Millennium-Simulation“ zeigen erstaunlich realistisch, wie die kosmischer Strukturen entstanden, wie sich Galaxien, Quasare und Schwarze Löcher bildeten.

In der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsjournals Nature ist der Artikel des Virgo-Konsortiums, einer internationale Gruppe von Astrophysikern aus Deutschland, England, Kanada, Japan und den USA der Aufmacher. Hauptautor ist Volker Springel vom Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching, Leibnitz-Preisträger 2004 und Schöpfer des Computerprogramm mit Namen Gadget, einem Simulationsverfahren zur Berechnung der Entstehung von Galaxien. Die weiter entwickelte Form Gadget 2 verwendeten die Forscher für die Millenniums-Simulation.

Galaxienverteilung auf großen Skalen in der Simulation, sichtbar wird die großräumige Verteilung des Lichts im Universum. Bild: Max-Planck-Institut für Astrophysik)

Detaillierte Computersimulationen sind ein wichtiges Werkzeug, um eine der größten Herausforderungen der theoretischen Kosmologie zu studieren: Wie sind die Galaxien, die wir heute im Universum sehen, aus den kleinen Fluktuationen nach dem Urknall entstanden? Das Wissenschaftler-Team um Springel verwendete zehn Milliarden fiktive Teilchen, die jeweils eine Masse von etwa einer Milliarde Sonnen repräsentierten, um die Entwicklung der Materieverteilung in einer würfelförmigen Region des Universums mit einer Kantenlänge von mehr als zwei Milliarden Lichtjahren zu berechnen. Mit dieser Aufgabe war der leistungsfähigste Supercomputer der Max-Planck-Gesellschaft in Garching für mehr als einen Monat beschäftigt.

Die Geburt der Galaxien

Volker Springel erläutert: „Der Zustand der Materie im Universum kurz nach dem Urknall ist inzwischen recht genau bekannt, vor allem durch detaillierte Analysen der beobachteten kosmischen Hintergrundstrahlung. Etwa 300.000 Jahre nach dem Urknall waren die Baryonen (Wasserstoff und Helium) und die dunkle Materie (noch unbekannte, schwach wechselwirkende Elementarteilchen) weitestgehend gleichmäßig verteilt. Zur heutigen Zeit sehen wir nichtlineare Strukturen auf fast allen Skalen, von kleinen Zwerggalaxien über große elliptische Galaxien bis hin zu gewaltigen Galaxienhaufen, die tausende von Sternsystemen enthalten“. Der Ausgangspunkt der Millenniums-Simulation ist ein besseres theoretisches Verständnis der Entstehung und Entwicklung der Galaxien.

Galaxienverteilung in der Simulation für einen schweren Galaxienhaufen, in welchem man sie individuell erkennen kann. (Bild: Max-Planck-Institut für Astrophysik)

Eine wichtige Rolle dabei spielt die „Dunkle Energie“, die 70 Prozent des Universums ausmacht. Sie ist verantwortlich für die Expansion des Weltraums, aber in ihrer Natur noch immer rätselhaft (Dark energy matters!). Nur etwas fünf Prozent des Kosmos besteht aus normaler Materie, also dem Stoff, aus dem die Erde, die Menschen und alles andere besteht, was unsere Alltagsrealität ausmacht (Erhellende Messung zur Dunklen Materie).

Die Kosmologen haben durch neue Instrumente zur Messung der Mikrowellen-Hintergrundstrahlung heute eine Vorstellung vom Zustand des frühen Universums, 400.000 Jahre nach dem Urknall. Sie konnten die theoretischen Vorstellungen bestätigen, dass sich zu dieser Zeit eine Ursuppe aus Materie und Strahlung schwach zu kräuseln begann, die ersten Strukturen entstanden (Kosmische zähe Ur-Suppe und prägalaktische Samenkörner). Dann kam die Schwerkraft ins Spiel und verwandelte die sozusagen auf dem kosmischen Urmeer schwimmenden Wellen zunehmend in Sterne und Galaxien. Dank dem Weltraumteleskop Hubble gibt es inzwischen sogar eine Aufnahme des ganz jungen Weltalls (Nur noch einen Steinwurf vom Urknall entfernt).

Die Verteilung der dunklen Materie in der Simulation auf großen Skalen. (Bild: Max-Planck-Institut für Astrophysik)

Die Millenniums-Simulation setzte es sich zum Ziel, die komplexen physikalischen Prozesse der Entstehung von Galaxien und Schwarzen Löchern mithilfe der riesigen Datenmenge am Computer nachzuvollziehen, um die gängigen Theorien ebenso zu überprüfen wie die jüngsten Erkenntnisse durch Beobachtungen, über die in der Kosmologie lebhaft diskutiert wird. Dazu gehört die Rolle, die Schwarze Löcher für die Strukturbildung im All gespielt haben (Galaktische Blähungen).

Das internationale Projekt zur Kartografierung des Himmels, Sloan Digital Sky Survey (SDSS), entdeckte sehr weit entfernte und damit sehr alte Quasare, die riesige supermassive Schwarze Löcher mit mindestens einer Milliarde Sonnenmassen beherbergen (Hinterhältige Quasare). In der Frühphase des Universums besaßen verschiedene Galaxien extrem leuchtkräftige Kerne, so genannte Quasare (quasi-stellare Radioquellen), die durch gigantische Schwarze Löcher mit Energie versorgt werden (Geburtsschrei früher Sterne und Schwarze Löcher als Geburtshelfer der Quasare). Die neue Computersimulation konnte dieses Modell bestätigen. Volker Springel erklärt:

Viele Astronomen bezweifelten, ob es möglich sei, dies mit dem allmählichen Wachstum der kosmischen Strukturen im Standardmodell zu vereinbaren. Als wir aber unser Modell für die Entstehung von Galaxien und Quasaren anwandten, fanden wir, dass sich einige wenige schwere Schwarze Löcher tatsächlich früh genug bildeten, um diese seltenen SDSS-Quasare erklären zu können. Ihre Wirtsgalaxien treten in der Millennium-Simulation bereits auf, als das Universum nur ein paar hundert Millionen Jahre alt war. Heute sind sie zu den massereichsten Galaxien im Zentrum von großen Galaxienhaufen geworden.


Die Verteilung der dunklen Materie in der Simulation für einen schweren Galaxienhaufen (Bild: Max-Planck-Institut für Astrophysik)

Den Astrophysikern vom Virgo-Konsortium ist es mit ihren Computerberechnungen gelungen, die Entwicklungsgeschichte von etwa 20 Millionen Galaxien sehr realistisch zu rekonstruieren (Dreidimensionale Visualisierung der Millennium-Simulation in Filmform).

In seinem begleitenden News&Views-Artikel in Nature stellt Nickolay Y. Gnedin von der University of Colorado fest, dass die Übereinstimmung der errechneten Daten mit der beobachteten kosmischen Realität erstaunlich ist. Er kommt zu dem Schluss:

Die Millennium-Simulation ist natürlich nicht darauf beschränkt, Modelle weit entfernter Quasare zu schaffen. Als ein umfassendes und realistisches Modell des Universums kann sie dazu dienen, eine Reihe von Fragen über die individuellen Eigenschaften von Galaxien und ihre Entwicklung in früheren Stadien der kosmischen Evolution, aber auch heute, zu beantworten. Die Millennium-Simulation ist ein adäquates theoretisches Instrument, um einen gründlichen Vergleich mit den besten verfügbaren Observationsdaten, wie denen des Sloan Digital Sky Survey, durchzuführen.

Vor dem Virgo-Konsortium liegt also noch eine Menge Arbeit der vergleichenden Datenanalyse. Co-Autor Simon White, Leiter von Virgo in Deutschland, ist sich sicher:

Neue Beobachtungsprogramme geben uns Informationen von noch nie gekannter Genauigkeit über die Eigenschaften von Galaxien, Schwarzen Löchern und der Großraumstruktur des Universums. Unsere Fähigkeit, die Konsequenzen unserer Theorien vorauszusagen, muss eine vergleichbare Präzision erreichen, wenn wir die Beobachtungen voll ausnutzen wollen, um etwas über den Ursprung und die Natur unserer Welt zu lernen. Die Millennium-Simulation ist hierfür ein einzigartiges Werkzeug. Es ist nun unsere größte Herausforderung, diese Mächtigkeit auch anderen Astronomen zugänglich zu machen, sodass sie ihre eigenen Theorien zur Entstehung von Galaxien und Quasaren darauf anwenden können, um damit ihre Beobachtungen zu interpretieren.