Das Universum der LOL-Katzen

Katzen verkörpern die kürzeste Form eines Gottesbeweises. Nicht verwunderlich, dass sie sich dem Menschen beigesellten - just zu dem Zeitpunkt, als dieser den Monotheismus entdeckte.

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Freilich kann man sagen, dass gerade der gläubige Mensch, Katholik, Zeuge Jehovas, Muselmane, zur Bekräftigung seines Glaubens selten eines Gottesbeweises bedarf, und der Katzenliebhaber, der ihm ein kleines Kätzchen hinhält mit dem Spruch - „Da! Sehen Sie nur. Dieses süße Katzennäschen. Haben Sie je etwas Perfekteres auf dieser Erde erblickt? Hier erweist sich Gottes Handwerk in seiner größten Kunstfertigkeit!“ - kann leicht gewärtigen, wenn schon nicht gekreuzigt, geteert und gefedert, oder mit dem Morgenstern gekrönt zu werden, so doch - wenigstens - sehr scheele Blicke zu ernten.

Und dennoch manifestiert sich in der Katze das Prinzip des Göttlichen. Jeder, der einmal einer tiefen Depression erlegen ist, wird sich an die besänftigende Gegenwart kleiner Katzenkörper erinnern, und mir beipflichten - „Katzen sind die Handpuppen Gottes, durch die er uns seiner Gnade teilhaftig werden lässt.“ Wir spüren Gott buchstäblich durch eine Katzenpfote hindurch, seine besänftigende Milde durchdringt uns wie ein warmer Strahl.

Diese Strahlen - der göttlichen Gnade - dringen auch manchmal geradezu sichtbar aus der Katze heraus, und es gelingt dem Katzenfreund, gelegentlich, in einem kurzen Augenblick, mit der Digitalkamera dieses göttliche Licht - dieses Katzenlicht - auf einem Schnappschuss dingfest zu machen.

Katze strahlt göttliche Strahlen aus. Bild: Tom Appleton

Das Göttliche manifestiert sich in der Katze ganz anders als beim Hund, auch wenn man gerade in der englischen Sprache immer wieder auf die enge Beziehung der Wörter GOD und - in der Umkehrung - DOG verweist. Der Hund ist wirklich die Umkehrung des Göttlichen, was nicht bedeutet, die Inkarnation des Teuflischen, sondern einfach nur des Schmutzigen. Er näherte sich der menschlichen Welt über den Abfallhaufen. Das ist sein natürliches Zuhause. Selber ein Aasfresser, gesellte sich der Hund dem Aasfresser Mensch über dessen unverdauliche Überbleibsel. Knochen, Fleischreste, Ratten. Sogar die menschliche Kloake, in der die von den Darmbakterien und Enzymen des einstigen Baumbewohners Mensch nur unzureichend verarbeiteten Fleischmengen wieder ausgeschieden wurden, erschien dem Hund als appetitliches Schnabulatorium, in dem er die menschliche Kackwurst als eigens für ihn aufbereitetes Fleischpfanzerl, als kleine Delikatesse, als Bulette betrachtete. Gezähmt, diente der Hund als Jagdfreund, und bei den Frauen, als Hilfe bei der Kinderaufzucht, unter anderem als lebende Windel, der die Popos der Kleinen sauberleckte.

Kurzum, ein absolut widerwärtiger, schmutziger, feiger, hinterfotziger und zu allem Überfluss farbenblinder Geselle, der dem Menschen nur dadurch taugte, dass er nachtaktiv war und deshalb den Schlaf des Menschen bewachte, wenn andere, noch größere und noch scheußlichere Monster, durch die Dunkelheit stapften.

Die Katze, ebenfalls ein nächtlicher Jäger, bei Tag fast blind, näherte sich dem Menschen sehr viel später, und, anders als der Hund, von der Tafel her. Der Mensch hatte den Ackerbau erfunden, er hatte riesige Granarien errichtet, in denen sich die Mäuse ausbreiteten, er hatte Städte erbaut, in denen die Ratten und Insekten tobten, die Katze gesellte sich zum Menschen als hochverehrter Kammerjäger. Buchstäblich von Gott geschickt, ein „Godsent“, ein Gottesgeschenk, weil die Katze kein Getreide frisst, sondern Mäuse. Das tut sie bis heute. Nach wie vor jagt die Katze in der Nacht die Mäuse, und knabbert sie sauber, wie eine Olive, rund um den unverdaulichen Kern, den Dickdarm, herum ab, und legt seinem menschlichen Mitbewohner diese Trophäe als eine Art Abrechnung für geleistete Dienste auf die „Welcome Home“-Fußmatte.

Damals, als die Katze sich selber zähmen ließ, hatte der Mensch soeben die Grundzüge der Zahl und des Rechnens erlernt, er errichtete Pyramiden über denen der strahlende Luftraum doppelt so groß war wie der aus Steinen geformte Unterbau, das irdische Elemente ragte in das Göttliche, und der Mensch, der bisher jedes Tier unterwerfen, verstehen, und sich, dank seiner größeren Intelligenz, untertan machen konnte, blickte in die rätselhaft schrägen Augen und stand vor einem Mysterium. Einer wahren Sphinx. Selbst der kräftigste Nubier, mochte er mit einem großen Löwen oder Panther klar kommen, stand vor diesem kleinen Wesen, verwirrt, mit drei Fragezeichen auf der Stirn.

Die Ägypter betrachteten, mit ihrem klaren Verständnis für alles Übersinnliche, die Katze als Gottheit, und viele Menschen tun es heute noch. Die Irritation des Kätzischen hält unvermindert an, alle Beobachtung - etwa der verblüffenden Musikalität der Katze - lässt die Verwirrung nur umso größer erscheinen, und selbst der/die Verrückte, in May Swensons Gedicht, der/die seine/ihre Katze auseinandermontierte, um nachzusehen, was sie zum Ticken (bzw. Schnurren) brachte, war nachher um keinen Deut schlauer.

Kätzchen spielt Klavier. Eine Dreier Oktav in einem Takt? Ich bin eine Katze. Meine Spannweite beträgt 6 cm. Wie soll ich das denn schaffen? Bild: icanhascheezburger

Katzen erscheinen in fast jeder Schilderung unbemerkt am Bildrand, sie gehören zum fixen Repertoire unseres Unter- und Un-Bewussten, wie hier, als mir eine Bekannte vor kurzem aus Wien schrieb (der/das Monat Mai war völlig unfliedergemäß stürmisch gewesen):

Bei uns herrscht derzeit wettermäßig der Ausnahmezustand - gestern gab es in Wien und Umgebung mehrere "Mini-Tornados" (so richtig mit Windhose und in der Luft herumwirbelnden Katzen) und es regnet seit mittlerweile drei Wochen fast durchgängig.

Man muss es schon zweimal lesen, um die tangentielle Wahrnehmung der „in der Luft herumwirbelnden Katzen“ überhaupt zu registrieren.

Katzenliebhaber, wie der große Mark Twain, lassen in ihren Reiseschilderungen und anderswo in fast jedem Kapitel eine Katze durchs Buch gleiten - den meisten Lesern fällt es gar nicht auf, erst wenn man die Suchfunktion des Computers bemüht, bemerkt man die umherschwirrenden Katzen.

In Europa, wo ein langes katzenschänderisches Mittelalter die Menschen auf Katzen hat Jagd machen lassen - und ein ausgeprägt katzenfeindlicher „Humor“ hält sich weltweit bis heute - haben Katzen, obwohl sie „mit“ dem Menschen wohnen, sich ein kollektives Langzeitgedächtnis bewahrt und begegnen diesen Menschen nur mit größter Scheu. Gewöhnlich flieht eine Katze sofort, wenn ein Mensch sich ihr nähert, selbst in scheinbar freundlicher Absicht.

In Neuseeland, wo Katzen dieses kollektive Schicksal nicht kennen, ist fast jede Katze geradezu aufdringlich freundlich, und erwartet, wie selbstverständlich, von jedem Passanten gestreichelt zu werden.

Vieles am Verhalten der Katze ist unsichtbar, sie tänzelt, unter der Limbo-Schranke des menschlichen Bewusstseins hindurch, herein oder hinaus, teilt sich dem Menschen selbst bei intensiver Beobachtung nicht mit. Die Katze selbst, deren Ahnenreihe sich in geradezu alligatorischen Distanzen der erdgeschichtlichen Frühzeit verliert, kann mit ihrem knapp walnussgroßen Gehirn kaum die ganze Komplexität ihres eigenen Daseins erfassen.

Alligator Kätzchn. Bild: icanhascheezburger

Und auch der Mensch, mit seiner überdimensionalen Denkerkappe, steht dem Rätsel Katze unbeholfen gegenüber. Zwar erkennt der Katzenbesitzer, dass seine fünf Katzen, vom Moment der Geburt an, unterschiedliche Charaktere, Intelligenzpegel, Vorlieben haben.

Er sieht ihnen zu, wie ein irdischer Zeus aus seinen Wolken, wie sie ihr kleines Leben verbringen, und weiß doch nicht, wenn er sie schließlich in einer stillen Ecke seines Garten vergräbt, was nun das Eigentümliche und Benennbare gerade dieser Katze gewesen sei. Auch ihre oft beschworenen neun Leben erweisen sich als nichts weiter als eine kindische Knallfolie, wenn ein Auto über sie hinwegrast und alle neun mit einem Ratsch auslöscht.

Die alten Ägypter mumifizierten ihre Katzen, um ihnen vielleicht in einem späteren Anlauf des Lebens noch einmal zu begegnen. Doch letztendlich ist es das Wortfremde, dem Wort entrückte Sein der Katze das dem Menschen so unverständlich bleibt, weil vom Menschen, wenn schon nicht viel, so doch immerhin eine Art verbaler Schatten übrig bleibt, den andere Menschen durch Zitieren und Nachsprechen kurz wiederbeleben können. Von einer Katze bleibt buchstäblich Nichts.

Als T.S. Eliot in seinem berühmten „Old Possum’s Book of Practical Cats“ (was später als Libretto für das Musical „Cats“ verwendet - oder missbraucht - wurde) über die Schwierigkeit, Katzen überhaupt zu benennen, schrieb:

But above and beyond there's still one name left over,
And that is the name that you never will guess;
The name that no human research can discover-
But THE CAT HIMSELF KNOWS, and will never confess.
When you notice a cat in profound meditation,
The reason, I tell you, is always the same:
His mind is engaged in a rapt contemplationv Of the thought, of the thought, of the thought of his name:
His ineffable effable
Effanineffable
Deep and inscrutable singular Name.

reflektierte er, in relativ spaßiger Weise, über den Umstand, dass Katzen tatsächlich keinen Namen, der ihnen von einem Menschen umgehängt wird, als verbale Lautfolge registrieren oder sich merken können. Hat man fünf Katzen und ruft eine, kommen immer alle fünf. Das einzige Geräusch, das eine Katze aus 100 anderen auf größte Entfernung registriert, ist das Ansetzen des Dosenöffners an die Katzenfutterkonserve. (Wahlweise Kühlschranktüröffnen, oder das Geräusch des Trockenfutters, das in den Fressnapf klackert.)

Wenn Katzen vielfach als berechnend, selbstzentriert, egoistisch bezeichnet werden, als Wesen, die am Menschen nur insoweit interessiert sind, als er den Kühlschrank öffnen oder die Heizung andrehen kann, so gibt es doch auch viele gegenteilige Beispiele, die gerade die Empathiefähigkeit der Katze hervorheben.

"Meine Eltern hatten eine Katze, 1947“, erzählte mir ein Bekannter, „und das waren harte Zeiten damals in Süddeutschland. Die Katze hat dann immer beim Metzger Würste geklaut und sie meinen Eltern gebracht. Dort geklaut und bei ihnen abgelegt. Die gleiche Katze hat auch, als sie dann Junge gekriegt hat, die zu meiner Mutter gebracht und ihr auf die Brust gelegt."

Diese erstaunliche Affinität zwischen Katzen und Frauen - gerade um den Geburtsprozess herum - lässt sich oft beobachten. Eine ähnliche Beziehung zwischen Männern und Katern ist dagegen unbekannt. Das enge Verhältnis Katze/Frau wird von Männern oft mit verschiedenen Verdachtsmomenten religiöser und sexueller Art bedacht (Stichwort, „Hexenwahn“) - aber auch Frauen selbst neigen dazu, einen Mann, der mit Katzen in seinem Bett schläft, mit einem Homophobie-Malus abzustempeln.

Entsprechend häufig steht auch in allen Beschäftigungen mit der Katze/dem Kater, die von Männern ausgehen, stets der Sexualneid bzw die Kastration im Vordergrund der Aufmerksamkeit. Betrachten wir die berühmten Furry Freak Brothers, von Gilbert Sheldon, über die es glücklicherweise sogar eine Wikipedia-Seite gibt, dann kommen wir recht bald auch zur Seite über Fat Freddy’s Cat, wobei es diesem Kater einzig darum geht, seinem blöden Menschen eins überzuziehen, oder ihm in die Schuhe oder sonst eine sensible Stelle (Lampenschirm, Unterhosen, Mütze) zu scheißen. In der bekanntesten Fat Freddy’s Cat-Geschichte, Chariots of the Globs, deren Titel auf Erich von Däniken’s „Waren die Götter Astronauten?“ anspielt, erzählt der nun schon arg gealterte Kater seinen Enkeln, wie die Außerirdischen einst auf die Erde kamen, weil sie entdeckt hatten, dass Katzenscheiße den stärksten Raumschiff-Treibstoff im Universum abgibt. Die Enkel nehmen ihm das aber nicht ab und sagen nur: „Du hast nichts als Scheiße im Hirn.“ Wie liebenswürdig ist dagegen der Umgang, den Frauen mit Katzen pflegen.

Dass es Fat Freddy’s Cat jenseits aller gezeichneten Späßkens auch real gibt beweist dieses Foto meiner Freundin Shelley Brownson, das sie in Schottland aufnahm. Eine clowneske Katze, richtig, aber durch nichts in ihrer Würde zu erschüttern.

„Fat Freddy’s Cat“, aufgenommen in Schottland. Bild: Shelley Brownson

Und die neuseeländische Malerin Heather Busch, die für ihre wunderbaren großformatigen Landschaftsgemälde wohl an die 5.000 Dollar allein an Farben und Leinwand verbrauchte, und der neuseeländische Cartoon-Zeichner Burton Silver, der für seine Witzblätter über den Igel Bogor jahrzehntelang nur knapp 20 Dollar die Woche kassierte, sahen sich auf einmal einem echten Geldregen gegenüber, als sie die Bücher „Why Cats Paint“ und „Dancing With Cats“ veröffentlichten, zwei kaum ironische, mild humorvolle Fotobände im zartbitteren Katzenzungengeschmack, in denen man Katzen beim Malen von Gemälden oder beim Tanzen mit menschlichen Partnern zusehen konnte.

Den gelungensten Versuch indessen, der vermeintlichen Sprachlosigkeit der Katze auf die Spur zu kommen, gelang den Machern der LOL-Katzen Webseite - LOL bedeutet „laugh out loud“, also „in dröhnendes Gelächter ausbrechen“ - I CAN HAS CHEEZBURGER? die sich vor rund drei Jahren mit dem ersten Bild einer sehr rundlichen Katze etablierte. Das Kätzchen fragte in ungelenkem Baby-Englisch: „Ich kann hab Käsebörga?“

Link auf /tp/r4/bild/32/32784/32784_10x.html von icanhascheezburger

Das war der Urknall einer beispielslosen Erfolgsserie, wobei es bis heute keineswegs geklärt ist, ob Katzen überhaupt auf Cheeseburger stehen. Aber, da die Katzenwelt ihr eigenes Universum ausbauen musste, kam regelmäßig ein weiterer Witz zum Thema Cheeseburger dazu.

Der Geniestreich bestand aber darin, den Katzen eine Sprache, eine menschliche Stimme zu verleihen. Wie Kinder, die durch fragende Nachahmung, mit Zeitverzug oder mit eignen Komponenten im Alter von 2 bis 3 Jahren sich in der Sprache allmählich zurecht finden, so sagten nun auch die Katzen, beispielsweise, statt „Wenn du am Knopf drehst, kommt Feuer raus“, eher „Wenn Nopf drehen, Feuer raus“ (Informationen zum frühen Spracherwerb). Dazu kam natürlich die chaotische oder besser Chauceresque-Rechtschreibung, und voilà. Das Universum der LOL-Katzen expandierte. Heute verstehen 8 und 10jährige bereits jeden zweiten LOL-Katzen-Sager, auch die legasthenische Schreibweise macht Schule, denn beknatchil ist die feihenrogle red stuchbabne legal, nam zentiffert sie rotzhemd. Und es stellte sich heraus, trotz aller Schlichtheit des Ausdrucks bot sich die Katzenwelt als kosmisch-komisch-komplexes Drama dar, auf der gleichen Höhe mit der Welt eines Shakespeare, und so schreiben bereits Universitätsstudent mit schöner Regelmäßigkeit heute „Oh Noes!“ wo ein normalenglisches „Oh no!“ doch schon voll gereicht hätte.

Das Universum der LOL-Katzen (12 Bilder)

Kätzchen spielt Klavier. Eine Dreier Oktav in einem Takt? Ich bin eine Katze. Meine Spannweite beträgt 6 cm. Wie soll ich das denn schaffen? Bild: icanhascheezburger