Das Universum - ein Automat?

Der Weg zur Weltformel

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Die Aufgabe, das Universum zu beschreiben und damit auch besser zu verstehen, ist im Laufe der Zeit von der Philosophie zur Naturwissenschaft übergegangen. Dabei kommt der Physik eine tragende Rolle zu, insbesondere wenn man von der Annahme ausgeht, dass alle Erscheinungen, und selbst die des Lebens, auf physikalische Prozesse zurückgehen. Für Fragen der Chemie, der Geologie, der Astronomie und dergleichen ist das unbestritten, und viele Wissenschaftler wenden diese Erkenntnis auch auf die Lebenserscheinungen an - von den ersten Regungen der Archäobionten bis hin zu Intelligenzleistungen und Gefühlseindrücken.

Herbert W. Franke, der Physiker, Computerkünstler, Science-Fiction-Autor und Höhlenforscher, feiert heute seinen 80. Geburtstag. Telepolis wünscht alles Gute und freut sich auf eine noch lange Zusammenarbeit!

Verfolgt man den Fortschritt der theoretischen Physik, dann stellt man fest, dass sich die Regeln und Gesetze, die für viele verschiedene Erscheinungen gelten, in vielfacher Hinsicht zusammenfassen und verallgemeinern lassen. Ein gutes Beispiel dafür liefert die Mechanik mit Ihren Bewegungsgleichungen, die nicht nur das Verhalten von Teilchen beschreiben, sondern auch jenes von mechanischen Schwingungen oder Strömungen von Gasen und Flüssigkeiten. Ein anderes Beispiel betrifft elektrische und magnetische Prozesse, die inzwischen als einander gegenseitig bedingende Erscheinungsformen erkannt wurden und mit Hilfe der so genannten Maxwellschen Gleichungen erfasst werden.

Einfacher zellularer Automat, der dem Aufbauprinzip des 'Pascalschen Dreiecks' folgt (oben). Der starke Trend zur Ordnung - in diesem Fall ein Dreieckmuster (unten) - zeigt sich auch im Fall zufälliger Anfangsbedingungen. (Die von zellularen Automaten gebildeten Strukturen erweisen sich als höchst aufschlussreich, wenn es um die Einschätzung ihrer Gestalt bildenden Fähigkeiten geht. Die ausgewählten Bilder beweisen die Vielfalt der Möglichkeiten, die schon in einfachsten Programmen stecken. Besonders deutlich wird auch der Einfluss des Zufalls, ob er nun in den Anfangsbedingungen auftritt oder als während der Abläufe eingestreute störende Einflüsse.)

Die gesamte Physik, soweit wir sie bisher kennen, lässt sich heute auf ein rundes Dutzend von Grundgleichungen zurückführen, was viele Physiker einfach hinnehmen. In Wirklichkeit ist das aber eine erstaunliche Feststellung, die im Übrigen naturwissenschaftlich nicht erklärbar ist. Sie gehört in die Metaphysik, berührt also Fragen, die Themen der Philosophie oder auch der Religionen sind - etwa jene nach der Urheberschaft unserer Welt. Und da ergibt sich schon ein Widerspruch: denn wie man sich diese Instanz auch vorstellt, von der diese Weltgesetze stammen, so ist doch nicht anzunehmen, dass sie darauf angewiesen ist, sich die Aufgabe der Schöpfung mathematisch leicht zu machen.

Jedenfalls legt die Tatsache der einfachen Beschreibbarkeit die Annahme nahe. dass sich die Zusammenfassung und Vereinfachung noch weitertreiben lässt, und daraus erwuchs die Erwartung, über Kurz oder Lang die gesamte Physik in eine allumfassenden Formel packen zu können.

Eine gute Ausgangsbasis für solche Überlegungen bietet die im Grunde recht einfache klassische Physik. Als der deutsche Nobelpreisträger für Physik Werner Heisenberg mit seiner Idee einer 'Weltformel' an die Öffentlichkeit trat, versuchten noch viele Theoretiker, die Quantenphysik als Erweiterung der klassischen Physik zu formulieren. Man hielt die Physik im Großen und Ganzen für abgeschlossen, aufregende Entdeckungen seien nicht mehr zu erwarten. Das war aber etwas zu pessimistisch gedacht, denn es kam ganz anders.

Zellularer Automat, der einer leichten, bald zum Abschluss führenden Rechenaufgabe entspricht; daran ändern auch die endlos nach unten laufenden Streifen nichts, die ja die Zeilenanordnung unverändert lässt. Selbst die Einflüsse zufälliger Anfangsbedingungen (oben) oder zusätzlich eingestreuten Zufalls (unten) werden rasch eliminiert

Denn inzwischen gelangen auf der Suche nach den elementaren Teilchen erstaunliche Entdeckungen, und je tiefer man in diese Materie eindrang, umso phantastischer wurden die Vorstellungen, die sich daraus ableiteten. Erstaunlicherweise wurden die Verhältnisse auf Grund der neuen Erkenntnisse nicht einfacher, sondern komplizierter: Versuche mit den Teilchenbeschleunigern führten nicht auf die Spur einer einfach gebauten Urmaterie, sondern brachten immer mehr neue Teilchenarten ans Licht.

Die Welt als Automat

Trotzdem hat man die Hoffnung auf eine einheitliche Beschreibung des Grundwissens über unsere physikalische Welt nicht aufgegeben. Dabei setzen viele theoretischen Physiker ihre Hoffnungen auf die Stringtheorie, in der sich alle Elementarteilchen in der Form schwingender Fäden repräsentieren. Aber diese Vereinheitlichung hat ihren Preis! Als Konsequenz muss man fünfte, sechste und weitere Dimensionen unseres Universums in Kauf nehmen, und selbst um die Annahme, dass in jedem Augenblick unzählige neue Universen entstehen, kommt man kaum herum. Das ist schwer vorstellbar, aber die Frage, ob man sich etwas vorstellen kann oder nicht, kann kein Kriterium für die Gültigkeit einer wissenschaftlichen Hypothese sein. Eher kommt es darauf an, ob sie bisher unbekannte Zusammenhänge aufdeckt.

Es bietet sich aber noch eine weitere Möglichkeit, den Gesetzen des Universums näher zu kommen, und zwar von einer Seite, wo man es nicht erwartet hätte. In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts hat die von Norbert Wiener definierte Kybernetik von sich reden gemacht, die sich mit analogen Prozessen in Natur und Technik befasst. Als Grundsatz dient dabei die Aussage, dass die besonderen Fähigkeiten von Automaten wie auch von Lebewesen, nicht dem Umsatz von Energie - also den physikalischen Eigenschaften - zu verdanken sind, sondern dem in ihnen auftretenden Umsatz von Information. Auch wenn man heute den Begriff 'Kybernetik' vermeidet (der missbräuchlich verwendet wurde und dadurch etwas in Verruf geraten ist), und stattdessen von Informations- oder Kommunikationstheorie spricht, so wird diese These doch allgemein anerkannt.

Eine gewisse Verblüffung erregte dagegen die Behauptung, dass kybernetische Prinzipien auch im Bereich der Physik Geltung haben. Ein Anzeichen dafür wurde allerdings schon früh aufgedeckt, und zwar durch den deutschen Physiker Rudolf Clausius, der 1865 den Begriff der Entropie prägte. Im Raum der Physik wirkte er eigentlich von Anfang an als Fremdkörper, und tatsächlich stellte sich später heraus, dass die Entropie mit dem Begriff der (nunmehr mathematisch-statistisch definierten) Information wesensgleich ist: Der Entropiesatz der Wärmelehre entspricht der Grundformel der Informationstheorie. Genau genommen ist sie ein Maß für die Komplexität einer Nachricht oder, allgemeiner, eines beliebigen Datenaggregats.

Diese Auffassung von Information erscheint recht abstrakt, doch gibt es eine Fülle von Anwendungen in der Physik, die durchaus anschaulich sind. Sie betreffen die Strukturbildung im Universum, von der Entstehung von Spiralnebeln zum Auftreten von Tieren und Pflanzen. Es geht dabei um Gestalt bildende Prozesse; um solche zu ermöglichen, muss es zwischen den beteiligten Bausteinen zu Wechselwirkungen kommen, die dem Austausch von Daten, also von Information, analog sind. Strukturen können einfach oder komplex aufgebaut sein, und es ist der neue Informationsbegriff, der das Maß dafür beistellt.

Zellularer Automat mit beachtlicher Strukturierungsfähigkeit, aber starkem Trend zum Abschluss (oben). Eingestreuter Zufall kann zu komplexeren zusammenhängenden Mustern führen. (Alle Programme und Bilder: Herbert W. Franke)

Aus diesen Grundsätzen heraus ergibt sich auch der Zusammenhang mit der im Titel gestellten Frage: Ist unser Universum programmiert? Das klingt ein wenig provokativ, und man kann es auch zurückhaltender und dafür präziser ausdrücken: So wie man die Welt bisher aus dem Augenwinkel der Physik betrachtet hat, ist das auch aus jenem der Datenverarbeitung heraus möglich. Man sieht sie dann als ein Wirkungsgefüge an, ein informationsverarbeitendes System, vergleichbar mit einem Automaten, der die Aufgabe hat, Gestaltprozesse zu vollziehen. Zu diesen gehören auch Organisations- und Wachstumsprozesse, wobei es natürlich auch um die Umkehrprozesse, um Abbau und Zerstörung, gehen kann. Somit lässt sich das, worum es geht, auch mit den Begriffen von Ordnung oder Unordnung erfassen, und damit kommen Erscheinungen ins Spiel, die Gegenstand der mathematischen Statistik sind.

Der damit erfolgte Sichtwechsel führt zu bemerkenswerten Konsequenzen. Vor allem wird man nun nicht mehr nach einer Weltformel suchen, sondern nach einem Programm. Ein solches bezieht sich auf ein System, das verschiedene Zustände einnehmen kann. Beim Computer, der diese Denkweise am besten verkörpert, sind diese durch Schalterstellungen ausgedrückt, es kann sich aber auch um Zustände von Zellen oder um Elementarteilchen handeln, zum Beispiel solche unserer Welt.

Ein Programm gibt eine umfassendere Beschreibung des Geschehens als ein Satz von Formeln. Natürlich sind auch diese ein wesentlicher Bestandteil des Programms, aber es enthält auch andere, die Abläufe des Systems charakterisierende Teile, die von der Physik unabhängig sind. Das zeigt sich auch in der Tatsache, dass zu einem Programm auch Anfangs- und Randbedingungen gehören, von denen die Abläufe entscheidend beeinflusst werden. Im Fall des Universums sind die Anfangsbedingungen vermutlich relativ einfach, beispielsweise ein sehr kleines Aggregat von besetzten Zellen oder auch ein unbegrenztes Chaos. Im ersten Fall sind zu Strukturbildung tendierende Programme nötig, wenn man ein dynamisches Universum erwartet. Im zweiten sind es zur Bildung von Ordnung neigende Programme, die dem Chaos entgegenwirken. Die Randbedingungen betreffen den verfügbaren Raum, der auch unendlich groß sein kann, oder auch eine endlich große, in der vierten Dimension gekrümmte dreidimensionale Kugel.

Der Rechnende Raum

Zu einem auf Automaten beruhenden Modell führten auch Überlegungen, die der deutsche Erfinder des Computers, Konrad Zuse, anstellte. Dazu angeregt wurde er von der Quantenphysik, die dazu zwang, in einigen Punkten von den Anschauungen der klassischen Physik abzuweichen. Das betrifft vor allem physikalische Größen, die man bisher für kontinuierlich veränderlich gehalten hatte und die man nun in kleinste Portionen, die Quanten, unterteilen musste, wenn man mit neueren Messergebnissen in Einklang bleiben wollte. Da sich eine solche Quantisierung in immer mehr Bereichen der Physik als nötig erwies, lag der Gedanke nahe, auch Raum und Zeit in kleinste Einheiten zu unterteilen, und die Theoretiker versuchten, solche Ideen in ihren Gleichungen zu berücksichtigen und zu prüfen, ob sie dadurch zu einer genaueren Beschreibung der Vorgänge gelangen.

Konrad Zuse ging noch einen Schritt weiter und fragte sich, wie man sich die bekannten physikalischen Abläufe in einem in Zellen unterteilten Raum vorstellen könnte. Seine Idee war es, jede dieser Zellen als Computer aufzufassen, der mit seinen Nachbarn in Wechselwirkung steht, so dass sich die Zustände der Nachbarzellen nach einem vorgegebenen und für alle elementaren Computer gültigen Programm verändern. Wenn man bei diesem Bild noch dem Beispiel des in stetem Takt arbeitenden Computers folgen wollte, dann war auch der zweite Teil der Idee, nämlich die quantisierte Zeit, eine nahe liegende Konsequenz.

Zuse nannte sein Weltmodell 'Rechnenden Raum', und in seinem 1969 erschienenem, gleichnamigen Buch zeigte er mit einigen Beispielen, wie seine Elementarcomputer programmiert sein müssten, um verschiedene physikalische Erscheinungen hervorzubringen, beispielsweise die Ausbreitung von Impulsen im Raum. Die Ergebnisse waren viel versprechend, aber es fragte sich letztlich doch, ob es Sinn machte, so weit ins Konkrete zu gehen, solange die Frage der echten Elementarteilchen und ihres Verhalten noch nicht geklärt ist - denn gerade das muss ja in den postulierten Computerzellen berücksichtigt werden.

Immerhin führt auch Zuses Rechnender Raum zur Auffassung unseres Universums als Computer: denn die Kombination vieler kleiner Computer ergibt eben auch nichts anderes als einen großen Computer. Das bedeutet aber, dass allgemeine Aussagen über die Eigenschaften des das Universum verkörpernden Automaten auch für den Rechnenden Raum gültig sein müssen.

Zellulare Automaten

Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit, die Idee eines nach dem Vorbild des Automaten funktionierenden Universums modellhaft nachzubilden, nämlich die so genannten 'Zellularen Automaten', die nicht nur besonders einfach, sondern auch besonders anschaulich sind. Sie eignen sich zum Experimentieren mit Strukturierungsprozessen auf visueller Grundlage.

Ein Beispiel dafür ist das 'Lebensspiel' des britischen Mathematikers John Horton Conway. Es vollzieht sich auf einem gerasterten Untergrund, vergleichbar einem Schachbrett, auf dem Spielsteine verteilt sind. Als Regeln für die Spielzüge hatte sich Conway ein Programm ausgedacht, und zwar derart, dass die Veränderungen der Positionen eines jeden Steins von jenen der in unmittelbarer Nachbarschaft befindlichen Steine abhängen. Bei jedem Schritt entsteht eine neue Verteilung, die wiederum Ausgangsbasis für den nächsten Schritt ist. Dabei können sich sehr verschiedene Verhaltensweisen ergeben: Die Steine können veränderliche Ornamente aufbauen, sie können sich in Gruppen fortbewegen, sie können die ganze Bildfläche bedecken oder auch von der Bildfläche verschwinden.

Auch Forscher in den USA hatten sich mit solchen Brettspielen beschäftigt, allerdings aus Fragestellungen der Automatentheorie heraus. Es war der aus Ungarn stammende Mathematiker John von Neumann, der unter anderem der Frage nachging, welche Voraussetzungen dafür bestehen müssten, wenn sich ein selbst nachbilden, sich also gewissermaßen vermehren kann. Ein Kollege, Stanislaw Ulam, riet ihm, zur Veranschaulichung der abstrakten Gedankengänge das von Conway genutzte Brettspiel zu verwenden, wobei die Zustände der Elemente durch Farben gekennzeichnet werden. Seither verbindet man mit dem Begriff der zellularen Automaten jene einprägsamen bunten Verteilungen von Elementen auf einem quadratischen Raster.

Es ist verblüffend, dass man mit einem so einfachen Modell, wie es die zellularen Automaten sind, allgemeine Eigenschaften von Automaten nachbilden kann. In der Tat konnte nachgewiesen werden, dass sich mit ihnen sogar die so genannten 'universalen Automaten' erfassen lassen, die sich dadurch auszeichnen, dass es mit ihnen möglich ist, jeden anderen Automaten zu simulieren.

Einige Zeit nahmen die Automatentheoretiker an, dass das auf einer Rasterfläche ablaufende Brettspiel die einfachste Möglichkeit der modellhaften Darstellung von Automaten sei, doch der in den USA lebende britische Mathematiker und Informatiker Stephen Wolfram belehrte sie eines Besseren - von ihm stammt die Idee des eindimensionalen zellularen Automaten. Er konnte nachweisen, dass sich jeder auf der Fläche ablaufende Rechenprozess auch in einer Zeile vollziehen lässt. War bei der Conwayschen Konfiguration die Rasterfläche als Schauplatz für die visualisierten Rechenprozesse ansehen, so genügt nun dafür eine einzelne lineare Reihe von Zellen. Das bringt den Vorteil mit sich, dass man die einzelnen Zustandsverteilungen nach ihrer Zeitfolge geordnet überblicken kann. So lassen sich im laufenden Programm Wachstum und Strukturbildung verfolgen.

Dabei ergibt sich eine beachtliche Vielfalt von Konfigurationen, die sich auch in ihrer Komplexität stark unterscheiden. Oft führen schon geringfügige Änderungen der Programme zu völlig andersartigen Verteilungen. Auch die Anfangsverteilungen haben entscheidenden Einfluss. Je nach der Fähigkeit, komplexe Muster zu bilden, unterscheidet man vier Klassen von zellularen Automaten.

  1. 1. Klasse - Das Verhalten ist leicht vorherzusehen; nach kurzer Zeit kommt es zur Beendigung des Prozesses.
  2. 2. Klasse - Ähnliches Verhalten; nur etwas komplizierter; auffällig ist die Entstehung kurzer Zyklen.
  3. 3. Klasse - Unregelmäßige Muster, Auftreten von wechselnden Formen
  4. 4. Klasse - Instabile Abläufe, nicht voraussagbar, immer wieder treten neue Konfigurationen auf. Zu diesen gehören auch jene, die unlösbaren mathematischen Problemen entsprechen - obwohl das im Einzelfall nicht nachweisbar ist. Überdies ist anzunehmen, dass die universalen Automaten in dieser Klasse vorkommen.

Eine etwas genauere Art der Einteilung hat der Amerikaner Christopher G. Langton vorgeschlagen, wobei er sich auf mathematisch-statistische Gesichtpunkte stützte: Als Kriterium gilt die Wahrscheinlichkeit des Überlebens einer Zelle beim Übergang zur nächsten Generation.

Ein kreatives Universum

Die Äquivalenz zwischen Rechenprozessen und Strukturbildungsprozessen erlaubt es, Erfahrungen aus der Mathematik auf Strukturen zu übertragen. Die Äquivalenzkette, die hier nur kurz angedeutet werden kann, ist folgende:

  1. Vom österreichischen Philosophen und Mathematiker Kurt Gödel wurde in einem recht komplizierten Verfahren nachgewiesen, dass es in der Mathematik prinzipiell unlösbare Probleme gibt.
  2. Die von Alan Turing erdachte, lediglich aus Papierstreifen, Bleistift und Radiergummi bestehende Rechenmaschine ist ein universaler Automat. Das bedeutet, dass sich mit ihm prinzipiell alle möglichen Rechenprozesse nachvollziehen lassen, darunter sogar jene, die sich als unlösbar erweisen. In solchen Fällen rechnet die Maschine endlos weiter, während sie sonst nach der Lösung stehen bleibt oder, etwa bei Endlosbrüchen, unablässig dasselbe Ergebnis wiederholt.
  3. Da man mit zellularen Automaten, speziell auch mit eindimensionalen, jeden Automaten, also auch die Turingsche Rechenmaschine, simulieren kann, sind auch diese zur Durchführung aller Arten von Rechenprozessen befähigt. Somit gelten Regeln für Rechenprozesse ebenso für zellulare Automaten.

Daraus folgt ein Schluss: Unser Universum kann kein Automat der ersten drei Klassen sein, sonst wäre seine Vielfalt nicht erklärlich. Die Strukturen würden sich bald auflösen oder in kristalliner Ordnung erstarren.

Somit bleibt nur die vierte Klasse, doch auch hier gibt es einen Vorbehalt. Wenn der Strukurbildungsprozess ohne Ende weiterlaufen soll, dann muss der Automat mit einem unlösbaren Rechenprozess assoziiert sein, denn alle lösbaren Rechnungen gehen irgendwann einmal zu Ende. Nun sind aber gerade solche Probleme prinzipiell nicht zu identifizieren, denn zur Probe müsste man die Rechnung durchführen, und das ist bei unlösbaren Problemen eben nicht möglich. So scheint nichts anderes übrig zu bleiben, als sich mit einem möglichst kompliziert scheinenden Programm behelfen, es kann sich aber jederzeit herausstellen, dass es doch ein lösbares ist und eines Tages anhält. Und damit fiele das Univerum in den Zustand der Erstarrung.

Die gestellte Aufgabe scheint also selbst zu den unlösbaren Problemen zu gehören. Es gibt allerdings doch eine Möglichkeit, den möglichen Stillstand zu verhindern, und es sind die Erfahrungen aus unserer Welt, die uns den Hinweis für die Lösung liefern. Denn wie die Quantenphysik zeigt, sind in das Weltgeschehen Zufallsprozesse integriert, und mit deren Hilfe lassen sich die von deterministisch arbeitenden Automaten erzeugten Ordnungen durchbrechen. Nur ein mit Zufall behaftetes Universum ist imstande, seine Komplexität zu erhöhen oder, anders ausgedrückt, prinzipiell neue Strukturen hervorzubringen. Wenn die Vorgaben für das gewünschte Universum erfüllt sein sollen, dann braucht man dazu nichtklassische Automaten - also solche, bei denen der Zufall in die Abläufe eingreift.

Da in den meisten Programmiersprachen ein Zufallsgenerator zur Verfügung steht, ist es möglich, diesen Fall zu simulieren und damit zu experimentieren. Dabei könnte es etwa um das günstigste Maß für den eingestreuten Zufall gehen. Bleiben die mit seiner Hilfe erreichten Störungen gering, dann kommt es zwar stellenweise zu unvorhersehbaren Formenbildungen, die aber bald wieder verschwinden. Doch auch wenn der Zufallseinfluss zu groß ist, besteht die Gefahr, dass entwicklungsträchtige Strukturen rasch wieder zerstört werden. Es kommt also in hohem Maß auf ein zweckdienliches Gleichgewicht zwischen Ordnung und Chaos an. Erstrebt man die Bildung abwechslungsreicher Strukturen, dann eignen sich Programme vierter Klasse sicher am besten.

Natürlich ist das Ergebnis auch davon abhängig, in welcher Weise man den Zufall ins Programm einbaut. Es wird sich empfehlen, nur punktuelle Zufallseinflüsse zuzulassen (z.B. im Mikrobereich), weil auf diese Weise größere und komplexere Strukturen eine bessere Chance haben sich zu behaupten. Andernfalls könnte sich eine Welt ergeben, in der immer wieder unerklärliche Erscheinungen auftreten würden - indem sich beispielsweise größere Gebilde plötzlich umwandeln, verschwinden oder ihre Orte wechseln. Eine Welt, in der Wunder möglich sind.

Ausblick

Eine Frage, die den Zufall betrifft, ist allerdings noch nicht geklärt: Handelt es sich bei dem, was wir in der physikalischen Welt beobachten, wirklich um echte Zufall ist, also um etwas, was sich unvorhersehbar erweist. Es wäre ja auch möglich, dass es zwar sehr komplexe Verteilungen sind, die wir für Zufall halten, aber letztlich doch etwas, was regelhaft abläuft, wenngleich wir die Regeln noch nicht kennen. Diese Entscheidung ist bisher nicht getroffen - sie bleibt so lange offen, bis jemand einen hinter den Quantenprozessen verborgenen Algorithmus aufdeckt.

Es gibt allerdings Gründe dafür, die für echten Zufall sprechen. Einer davon geht auf die schon erwähnte Erfahrung zurück, dass Naturgesetze offenbar höchst einfach formulierbar sind. Und der echte Zufall ist zweifellos die einfachste Methode, um Strukturierungsfähigkeit im Universum zu erreichen und zu erhalten. Alles andere, beispielsweise die angedeutete Ableitung vermeintlicher Zufallsprozesse aus einem Algorithmus heraus, wäre weitaus komplizierter - er müsste dann ja die ganze Entwicklung der Welt in sich tragen, und überdies in die Naturgesetze mit einbezogen sein.

Es gibt noch weitere Überlegungen, die für echten Zufall sprechen, aber sie sind nicht rational begründbar, sondern haben eher weltanschaulich bedingte Gründe. Sie stehen nämlich im Zusammenhang mit der Frage des Determinismus: Ist das Schicksal des Menschen und der Welt vorausbestimmt oder nicht? Diese Frage hängt bekanntlich mit jener der so genannten Willensfreiheit zusammen und ist immer noch umstritten.

Auch das Problem der Kreativität ist involviert: Sieht man Kreativität als die Fähigkeit an, Innovation zu erzeugen, dann ist das nur in einer nicht deterministischen Welt möglich. Wie aber soll man unterscheiden, ob eine Idee - etwa für eine Erfindung oder ein Kunstwerk -prinzipiell neu ist oder etwas, was in irgendeinem verborgenen für die Welt längst vorgezeichnet ist?

Damit kommen wir zu einer Schlussfolgerung, die uns zum eingangs gestellten, das Universum betreffende Problem zurückführt. Die Basis dieser Überlegung ist die schon mehrfach angeschnittene, rechnerisch beweisbare Tatsache, dass ein System, in dem es keine Zufälle gibt, nicht komplexer werden kann; seine Komplexität kann bestenfalls gleich bleiben, wird aber in der Regel immer geringer. Das liegt in der Tatsache, dass mathematische Operationen ordnungserzeugende, also komplexitätsvernichtende Operationen sind. Würden wir in einem Universum leben, das zufallsfreien mathematisch formulierten Gesetzen folgt, dann würde sein Aufbau immer einfacher werden.

Die Vorstellung eines solchen Universums betrifft nicht nur physikalische Fragen, sondern rührt an der menschlichen Existenz. Eine solche Welt ist nicht das, was unserer Vorstellung von Freiheit, Kreativität und Verantwortung entspricht. Wenn diese Werte ihre Gültigkeit behalten sollen, dann brauchen wir - so weit hergeholt dieser Schluss auch scheint - eine Welt, in der unvorhersehbaren Einflüsse möglich sind. Diese Welt ist dann zwar programmiert, aber in einer anderen Art als das zur Lösung technischer Aufgaben nötig ist. Das Programm wird dann jenen sehr ähnlich, die man für Gestaltungsaufgaben für künstlerische Zwecke einsetzt.