"Das Urheberrecht wird die Fragen der Digitalisierung nicht lösen"

Der niederländische Politikwissenschaftler Joost Smiers fordert das, was der Piratenpartei unterstellt wird

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Der Politikwissenschaftler Joost Smiers hat zusammen mit Marieke van Schijndel das Buch No Copyright - Vom Machtkampf der Kulturkonzerne um das Urherberrecht geschrieben. Darin zeigt er sich der Auffassung, das die Digitalisierung ein deutlich gründlicheres Aufräumen im Rechtssystem erfordert, als die Piratenparteien dies vorschlagen.

Herr Smiers, Sie plädieren in Ihrem Buch dafür, das Copyright komplett abzuschaffen. Was sind Ihre Argumente?

Joost Smiers: Es gibt vielerlei Argumente. Die Unternehmen, die generell vom Copyright profitieren, dominieren erstens gewöhnlich auch die Produktion und den Vertrieb. Dort könnte also sowieso das Wettbewerbsrecht gelten. Im Grunde würde hier die Abschaffung des Urheberrechts-Privilegs einen Schritt hin zu einer Normalisierung der Marktbeziehungen darstellen.

Ein weiteres Argument ist, dass die Unternehmen, um das Urheberrecht zu wahren, auf Hilfe von staatlichen Institutionen angewiesen wären, die mit einem riesigen logistischen Aufwand das Internet komplett überwachen müssten. Das ist erstens technisch nicht nur unmöglich, sondern würde zweitens auch auf einen Polizei-Staat hinauslaufen. Ich denke außerdem, dass die Bürger Polizei und Justiz für Dinge nutzen sollten, die wirklich gefährlich sind, wie zum Beispiel Waffenhandel.

Ein anderer Aspekt besteht darin, dass das Urheberrecht stark moralisch konnotiert ist und ein Persönlichkeitsrecht darstellt. Moral ändert sich mit der Zeit - und mit ihr die Regeln. In unserer Gesellschaft ist es leider auch weiterhin so, dass derjenige, welcher die Macht hat, auch die Regeln bestimmt - und so kann meistens die Industrie mit ihrer bornierten Profitorientierung die Dinge nach ihrem Belieben beeinflussen. Es wäre erst dann Demokratie, wenn alle darüber entscheiden.

Welche Rolle kommt der Begriff des "geistigen Eigentums" in dieser Diskussion zu?

Joost Smiers: Der Begriff des "geistigen Eigentums" ist sehr unklar. Die Bestimmung des "Eigentums" wiederum ist im Grunde recht eindeutig: Sie haben ein Haus und ich habe keines. In unserer Gesellschaft ist das sehr klar geregelt. "Geistiges Eigentum" allerdings nicht. Wenn Sie eine Melodie pfeifen und ich auch, nimmt man niemanden etwas weg und die Melodie bleibt trotzdem bestehen. Generell ist Eigentum ein klares Verhältnis zwischen zwei Personen. Mit einer Melodie oder einem Text ist das nicht so. Wir können beide einen Text lesen und mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass dieser durch den Konsum nicht weniger wird.

Außerdem greift Kreativität immer auf etwas anderes zurück. Diesen Konflikt nun im Sinne des Copyrights mit verschärfter Überwachung, erweiterter Rechtsanwaltstätigkeiten et cetera weiter eskalieren zu lassen, würde viele Milliarden Dollars verschlingen. Das ist dann zwar im Sinne des Neoliberalismus (nach dem alles seinen Preis hat) konsequent gedacht - aber bezahlen werden diese Dollars Sie und ich. Die Leute kommunizieren heutzutage digital und bezahlen analog. Das Urheberrecht wird die Fragen der Digitalisierung nicht lösen.

In welchen Bereichen reguliert das Copyright besonders fatal die Belange der Urheber und der Konsumenten?

Joost Smiers: Alle Marktverhältnisse werden durch das Copyright schlecht reguliert. Durch das Copyright werden die Unternehmen mit ihren großen Stars geschützt, die den Markt ohnehin schon kontrollieren.

Sie fordern im Interesse der Urheber, dass das Wettbewerbsrecht anstelle des Copyrights die Marktbeziehungen regelt. Können Sie das erläutern?

Joost Smiers: Das grundlegende Problem ist, dass man auf "geistiges Eigentum" nicht reagieren darf. Man darf nichts ändern und weiterentwickeln. Das "geistige Eigentum" zum Beispiel der Landwirtschafts- und Pharmakonzerne wurde von unseren Geldern entwickelt, denn wir finanzieren ja diese Giganten. Wir dürfen aber über deren Güter nicht so verfügen, wie wir wollen, sondern müssen uns an eine politisch herbeigeführte, künstliche Gesetzgebung richten.

Gleichzeitig koppeln Sie ihre Forderungen an die Entwicklungen in der Finanzkrise. Was sind hier Ihre Verknüpfungspunkte?

Joost Smiers: Der erste Anknüpfungspunkt ist der Neoliberalismus: Es soll alles marktkompatibel werden - und wo das nicht geht schafft man sich eben Konstrukte. Gleichzeitig wird postuliert, dass dies alles dann sehr effizient ist. Effizient ist aber das System nur für die an der Spitze. Und die verfügen über sehr viel Macht.

Das ist das große Problem. Nehmen wir die Banken. Die können machen was sie wollen. Es gibt für sie keine Regulierung. Wir haben aufgegeben, die Märkte zu regulieren und zu normalisieren. Wir haben die Kontrolle verloren. Dies gilt auch für geistige Rechte wie das Copyright. Im Moment haben die Spekulanten das sagen. Aber wir als Bevölkerung haben auch unsere Interessen, die wieder in die Debatte eingeführt werden müssen.

Ist generell der Zeitpunkt erreicht, an dem die Entfaltung der gesellschaftlichen Produktion durch das herkömmliche Recht ihre wesentliche Schranke findet?

Joost Smiers: Die Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse sind in der Tat in ein Spannungsverhältnis getreten. Mit der Digitalisierung ist es unmöglich geworden, die Verhältnisse noch einmal rückwärts zu drehen. Das könnte nur ein Polizeistaat bewerkstelligen und den brauchen wir nun wirklich nicht.

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