Das falsche Versprechen der New Economy

Thomas Franks One Market Under God ist auf deutsch erschienen

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Franks Dissertation The Conquest of Cool1 ist eines dieser Bücher, die in Universitätsbibliotheken ständig ausgeliehen sind - kein Wunder, war ihm doch darin das Kunststück gelungen, eine ganze Dekade in einem relativ neuen und originellen Licht darzustellen: Frank betrachtete die 1960er nicht als verklärten Kampf zwischen der Counter Culture und Corporate America, sondern als einheitliche Umwälzung, als eine Kulturrevolution in der Wirtschaft und Jugendbewegung gegenseitige Anleihen bei einander machten und eigentlich auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiteten. Sein neues Buch One Market Under God bzw. Das falsche Versprechen der New Economy ist in gewisser Weise eine Fortsetzung seines ersten Buches.

Frank bringt darin ebenfalls viele Beispiele für die Verwendung von "Revolution" in der Werbung - nur diesmal nicht für Herrenmode, sondern für Online-Broker. Ebenso untersucht er die Verwendung von Revolutionschic in der Managementtheorie, die der Cultural Studies in der Werbewirtschaft und das Auftreten ähnlicher ideologischer Kombinationen in zahlreichen anderen Gebieten. Unter anderem macht Frank dabei zeitlich auch dort weiter, wo David Hudsons Rewired2 aufhörte: mit der Zeitschrift Wired ab 1997 und mit Fast Company. Er erwischt dabei in seinem Rundumschlag gegen die kritiklose Marktgläubigkeit auch Unschuldige wie Po Bronson oder Jon Katz, der letztes Jahr in Slashdot explizit auf die Probleme das Korporatismus hinwies (vgl. The Corporate Republic. )

Der zentrale Begriff, den Frank zur Analyse benutzt, ist "Marktpopulismus" ("market populism"). Seine Begriffswahl ist ungewöhnlich und doch passend: "Populismus" wurde in den 1990er Jahren hauptsächlich auf Pat Buchanan und die Befürworter ökonomischer Abschottung angewendet. Frank verfolgt jedoch die Geschichte des Begriffs, der in Amerika seit dem 19. Jahrhundert mehrere politische Bewegungen begleitete und zeigt auf, dass die den Bewegungen zentrale Befreiungsideologie auch im Mittelpunkt der Rhetorik der New Economy stand. Dabei macht er nicht den naheliegenden Fehler, bei der Untersuchung der Ideologie tatsächliche wirtschaftliche Veränderungen zu leugnen. Er zeigt jedoch auf, dass die New Economy weniger mit wirtschaftlichen Veränderungen direkt zu tun hatte, als vielmehr damit, wie über Wirtschaft gedacht und geschrieben wird 3.

Ein zentraler Punkt der von Frank aufgezeigten ideologischen Muster ist, dass Märkte den Volkswillen wiedergeben 4. Frank zeigt, wie der Marktpopulismus die Rhetorik älterer populistischer Bewegungen vereinnahmte, bis schließlich der ehemalige Citibank-Chef Walter Wriston den Slogan "Power to the People" zur Untermalung seiner Anlagetips verwenden konnte 5.

Neben der hierzulande unbekannten Public Journalism-Bewegung untersucht Frank auch die akademische Disziplin der Cultural Studies und ihre Konzentration auf "agency" ("Wirkung") 6 als dankbares Objekt für ideologische Vereinnahmung. Mit dieser "Wirkung" beschrieben die Cultural Studies den Spielraum des Konsumenten zur nicht von den Medienkonzernen geplanten und damit "subversiven" Verwendung von Medienangeboten, z.B. in Fan Fiction (Vgl. Constance Penley, NASA/TREK. Popular Science and Sex in America. New York 1997). Diese Ermächtigung des Konsumenten wurde von Marktpopulisten wie Nick Gillespie gerne als Beweis für die Ermächtigung des Konsumenten durch den Markt herangezogen (Vgl. View Masters 7). Worauf Frank leider nicht eingeht, ist die Selbstzerstörung dieses Arguments durch exzessiv eingesetzte Copyrightansprüche gegen Fanprojekte (Vgl. Hase und Igel).

Die theoretischen Instrumente aus den Cultural Studies (aber auch aus den Kulturwissenschaften allgemein) die in den 1990er Jahren in die Werbewirtschaft Eingang fanden, eigneten sich in besonderer Weise für den Marktpopulismus. Werbetreibende waren plötzlich nicht mehr die sinistren Verführer, als die sie in den 1950er Jahren entlarvt worden waren, sondern sensible Streiter für Konsumentenermächtigung. Frank zeigt die ideologischen Vorteile der Anwendung des Theorieinstrumentariums der Kulturwissenschaften durch die Marktpopulisten auf:

[Durch] das Verstehen der Beziehung zwischen Produktion und Konsum als 'Ritual' [...] löst man sie [...] vollständig aus dem Horizont der Geschichte und der Aufklärung heraus und macht sie damit für Kritik unerreichbar. Wenn man demographische Gruppen als Stämme auffasst und die Werbeleute als mitfühlende Beobachter, dann erhält nicht nur die Beziehung zwischen beiden etwas Nobles, sondern gleichzeitig wird der plutokratische Populismus gestärkt [...] Die Menschen in den Büroblocks sind Profis; wir anderen sind einfach nur Untertanen. Sie werden uns studieren, uns füttern und sich um uns kümmern so gut sie können [...]." .

Bestandteil des von Frank festgestellten Marktpopulismus der Wirtschaftsvordenker ist neben der Befreiungsideologie auch ein Determinismus: Der Markt ist und bestimmt die Zukunft, sein Sieg über alles andere ist nicht nur demokratisch, sondern ebenso unausweichlich. Begründet wird diese Unausweichlichkeit entweder mit technologischem Determinismus (wie etwa von George Gilder) oder damit, dass die Globalisierung "so überwältigend unfassbar gebieterisch global" sei 8. Frank zeigt, dass solch ein geradezu marktkalvinistischer Determinismus dem Versprechen der Chancenfreiheit - und damit der Befreiungsideologie - widerspricht, was jedoch einer rhetorischen Verknüpfung der beiden Elemente im Marktpopulismus nicht entgegensteht. Als Beispiel für diesen Determinismus beschreibt Frank unter anderem einen Werbespot der Firma Oracle. Das Unternehmen hatte während des Super Bowl 1998 einen Clip geschaltet, in dem es mit Bildern der Roten Khmer arbeitete, die Menschen in eine "neue Zeit" treiben:

Während die Werbung wenig tat, um über das, was Oracle herstellt oder verkauft, zu informieren, ließ sie keinen Zweifel am Sieg des Marktes über alle anderen menschlichen Organisationsformen. Es war die Stunde null der Wirtschaftsrevolution: Pol Pot saß im Aufsichtsrat und so etwas profanes wie die Geschichte wurde endgültig ausradiert." .

Als neues Symbol dieses Marktpopulismus für das Gestrige erkennt Frank sehr richtig Europa im Allgemeinen und Frankreich im Besonderen. Der "Chor gallophober Schmähungen" wurde, so Frank, in der zweiten Hälfte der 1990er derart leidenschaftlich, "dass es fast schon schien, als habe ein hochrangiges Komitee Frankreich die Rolle der ehemaligen Sowjetunion als Atavar wirtschaftlicher und kultureller Irrtümer zugewiesen [...]" 9.

Frank erkennt außerdem, dass am Ende des 20. Jahrhunderts nicht mehr ein Gott, sondern der Glaube an den Markt das grundlegende Axiom der amerikanischen Gesellschaft ist 10. Und er nennt zahlreiche Zeichen der religiösen Verehrung des Marktes - auch wenn sie nicht immer so offensichtlich sind wie beim Managementtheoretiker Tom Peters, der in Liberation Management11 "Market" teilweise (wie im Englischen sonst nur "God") groß schreibt 12. Unter anderem stellt Frank dabei fest, dass Kevin Kelly in Out of Control 13 fordert, die Menschheit müsse das laissez-faire-Prinzip "wie eine Religion" annehmen 14. Treffend beschreibt er auch den sich aus der Verbindung von Determinismus und Glauben ergebenden Markt-Fatalismus:

Wir lernten, dass die Entwicklung der Vergangenheit niemals eine Garantie für irgend etwas in der Zukunft ist; dass, wenn der Markt darauf bestand, es sei an der Zeit, unsere Fabriken zu verbrennen und Mikrochips in unsere Kragen einzunähen, wir das einfach tun müssten. Wir lernten, den Markt als Richter über alles zu akzeptieren: uns vor dem zu verbeugen, was er mit unseren Städten, unseren Industrien, unserem Leben tat [...]." .

Wo Religion solchermaßen zelebriert wird, da ist auch der Irrsinn nicht mehr weit. Und den findet Frank in der Managementliteratur, z.B. bei Tom Peters. Er zitiert Anita Roddick, die verkündete, dass es nur "ein schmaler Grat zwischen dem kriminellen Geist eines Unternehmers und dem eines Verrückten" sei und meint selbst:

Vielleicht sollten wir Peters und Roddick endlich beim Wort nehmen. Vielleicht hat die Wirtschaftsrevolution nicht die Demokratie auf den Thron gehoben, sondern den Wahnsinn. Schauen Sie sich das Buch Der Innovationskreis an, mit seiner 84-Punkt-Schrift, dem ständigen Gebrauch der kommandierenden Blockschrift, den zwanghaften Einschüben in Klammern, den bombastischen Ausrufen ('Sagen [SCHREIEN!] Sie JA zur MARKE!'), den unverständlichen Schaubildern - und seinem Beharren darauf, dass die Lektionen des Buches nicht auf ein oder zwei Unternehmen, sondern auf alle Unternehmen, auf die gesamte Welt zutreffen. Als Beschreibung des gemarterten inneren Zustands der Angestelltenklasse hat das Werk sicher seinen Wert. Aber als Rezept für das Allgemeinwohl grenzt es ans Obszöne." .

Höchst interessant ist Franks Schilderung der Geschichte der Public Relations, wobei er leider auf die Möglichkeit, dass der Konsument tatsächlich das "divide et impera des kleinen Mannes" (Vgl. Die Resozialisierung des Giganten) praktizieren und Unternehmen gegeneinander oder Regierungen gegen Unternehmen ausspielen könnte, überhaupt nicht eingeht.

Dafür ist sein Aufzeigen der geradezu unheimlichen Parallelen des Börsenbooms der späten 1990er zu dem der 1920er in den USA 15 sogar noch aufschlussreicher. Frank zeigt hier strukturelle Ähnlichkeiten auf, über die anderswo bisher noch wenig zu lesen war. Dem deutschen Fernsehzuschauer wurde vor zwei Jahren der Kauf von Aktien sogar von einem bizarrerweise durch die Depressionshymne We're in the Money begleiteten Werbespot einer Bank nahegelegt. Wie schnell sich das in der Begleitmusik versteckte historische Versprechen erfüllen sollte, ahnten wohl nur wenige der von den Banken geprellten Anleger. Was Frank an dieser Stelle nicht ausdrücklich sagt, was aber aus seinen Ausführungen hervorgeht: Börsenzyklen begünstigen - entgegen der von ihm untersuchten Ideologie - etablierte Kapitaleigner. Das einfache Volk braucht erst einen Boom, um durch Lohnarbeit das Kapital für einen Einstieg zu erwirtschaften. Reiche dagegen können antizyklisch spekulieren und so Kapital abschöpfen.

Auch auf die Produktion geht Frank ein. Er zeigt, dass die veränderten Verhältnisse entgegen der Ideologie des Marktpopulismus oftmals nicht eine Befreiung von, sondern nur einen verschärften Taylorismus brachten. Hierfür zitiert er aus dem Handbuch für - offiziell selbständige - Auslieferungsmitarbeiter von UPS:

[...] der Stift wird in der linken Hemdtasche aufbewahrt (bei Rechtshändern) und niemals auf dem Klemmbrett oder in einer anderen Tasche gelassen ... Stellen Sie mit einer Hand den Motor ab und ziehen Sie den Schlüssel ab, mit der anderen ziehen Sie die Handbremse an. Lösen Sie den Sicherheitsgurt mit einer Hand und nehmen Sie das Klemmbrett auf, wenn Sie von Ihrem Sitz aufstehen. Gehen Sie mit raschen Schritten (ein rasches Gehen verlangt Aufmerksamkeit). .

Vor allem im Zusammenhang mit den Arbeitsverhältnissen überspannt Frank der Bogen der Kritik jedoch etwas. Hier tendiert er dazu, sämtliche ideologischen wie ökonomischen Neuerungen in Bausch und Bogen zu verdammen. An mancher Stelle schlüpft Frank fast in das Gewand eines Kulturpessimisten von Adornoschen Ausmaßen, wenn er von "hyperscheußlichen Jugendkulturen" und "gesponserte[n] Obszönitäten" spricht 16.

Dabei berücksichtigt Frank möglicherweise die Dialektik von Ideologie und Veränderung nicht ausreichend: Können Tele-Heimarbeit und Entbürokratisierung - die seit den 1970ern als Befreiung propagiert werden aber oft als Vorwand zur Verschlechterung von Arbeitsverhältnissen dienten - nicht irgendwann auch Versprechen werden, die als zivilisatorische Errungenschaften eingefordert werden? Obwohl (oder vielleicht gerade weil?) er selbst freiberuflicher Akademiker ist, kann sich Frank offenbar nur schwer vorstellen, dass die von ihm gescholtene Honorararbeit von zu Hause aus um Längen angenehmer sein kann als ein sicherer Job in einer streng hierarchisch organisierten Bürokratie. Das Problem ist nicht die Freiberuflerei, sondern das Fehlen der gesellschaftlichen Voraussetzungen für sie (arbeitsunabhängige Absicherung von Gesundheit, Wohnung, Bildung und Ernährung) vor allem in den USA.

Frank liefert in seinem Buch viele Anregungen, in denen das Erkenntnispotenzial der Beispiele noch nicht zu Ende gedacht ist - z.B. bezüglich Managementliteratur aus den 1990ern und literarischer Nationalstaatsverherrlichung aus dem 19. Jahrhundert. Zwei bemerkenswert ähnliche Gattungen, mit dem Unterschied, dass in der Managementliteratur nicht das konkrete Unternehmen, sondern das Unternehmen allgemein panegyrisch überhöht wird. Was sich daraus erklären lässt, dass das Unternehmen Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts im Gegensatz zum Nationalstaat des 19. auch regelmäßig gewechselt werden kann bzw. muss.

Meist ist Frank ein treffender Beobachter von Personen und Ereignissen jenseits verbreiteter, aber falscher Bilder. Geradezu selten richtig für einen außerösterreichischen Beobachter ist beispielsweise seine Einstufung Haiders als "alpiner Thatcherist" 17. Ein bisschen fällt Frank allerdings auf die Ideologie um die Globalisierung und ihre Gegner herein: er verkennt - wie die meisten - dass es sich weniger um die Schaffung eines globalen Freihandels, als um eine "Globürokratisierung" handelt. Die WTO etwa ist keine Freihandelsorganisation, sondern eine Handelsbarriere, die über ihren Kern, das TRIPS-Abkommen Monopole überstaatlich garantiert (Vgl. WTO and WIPO.)

Ebenso scheint es Frank etwas an der Erkenntnis zu mangeln, dass gewählte Regierungen durchaus dazu neigen, Sonderinteressen zu vertreten und deshalb nicht so ohne weiteres für eine Lösung der von Frank angesprochenen Probleme - viel leichter jedoch für fragwürdige Eingriffe wie Umverteilung von unten nach oben (Vgl. Urheberrechtsausgleich oder Subventionssteuer?), Krieg (Vgl. Der Kosovo, die UCK und Psychedelia à la Rudolf Scharping) oder Kommunikationsüberwachung (Vgl. Wirtschaftsministerium gibt Gas bei der Lauschverordnung) - herangezogen werden können.

Auch Gewerkschaften kommen in Franks Buch gut weg - allerdings nennt er explizit nur die IWW und den CIO der 1930er Jahre aus der Geschichte der nicht ganz unbefleckten amerikanischen Gewerkschaftsbewegung. Wie in vielen anderen amerikanischen Büchern der letzten Jahre 18 merkt man Franks One Market Under God eine Sehnsucht nach den (vormals als kulturelle Wüste wahrgenommenen) 1930er Jahren an, die er durchaus verklärt.

Damit wäre fast alles über Franks neues Buch gesagt - wenn es nicht auch noch um eine Übersetzung gehen würde. Wie gerne würde ich einmal in einer Rezension nichts über die Qualität der Übersetzung schreiben. Doch die Mängel sind immer wieder so gravierend, dass mir nichts anderes bleibt. Dabei hat sich die Übersetzerin Ruth Niel - die sonst Beiträge aus dem Bereich der von Frank angegriffenen Managementbücher wie Das MBA- Buch - Mastering Management19, Mastering Global Business 20 oder Kenneth Adelmans Folgt Eurem Mut und stürmt: Shakespeare für Manager 21 mit übersetzt - manchmal sichtlich Mühe gegeben, doch reichten ihre Kenntnisse letztendlich trotzdem nicht zur Anfertigung einer brauchbaren Übersetzung eines Buches aus, das mit Management-Ideologien nicht affirmativ, sondern kritisch umgeht.

Die Wiedergabe der Band Mötley Crüe ohne Umlaute ist dabei jedoch kein Fehler der Übersetzerin, sondern schon im Original geschehen 22 (und irgendwie auch verzeihbar, wenn selbst Hal Faber ihn macht. Auch dass sie den Namen der Literaturtheoretikerin bell hooks groß schreibt 23 ist noch ein eher minderer Makel. Ebenso ihre nicht auf den ersten Blick erratbare Wiedergabe des auch im Deutschen verwendeten "account planning" als "Beziehungsmarketing" 24, sowie dass der von Niel als "tu was du willst" 25 übersetzte Hippie-Slogan eher an Crowleys Gebot "do what thou wilt" erinnert, als an "do your own thing" 26. Dass sie aber "partisan" mehrmals entgegen des Zusammenhangs nicht mit "Parteigänger", sondern mit "Partisan" übersetzt 27, dass sie Kevin Kellys zentralen Begriff einer Gruppenintelligenz ("hive mind") mit dem an die deutsche Romantik gemahnenden "Schwarmgeist" wiedergibt 28, dass sie "open shops" (wiederum entgegen des Kontextes) nicht für gewerkschaftsfreie Unternehmen, sondern für "geöffnete Geschäfte" und einen "Avatar" für einen "Übervater" 29 hält, ist sinnentstellend.

An manchen Stellen, wenn sie etwa "robotic louts of the countercultural legend" 30 mit einem Verweis auf Ekel Alfred erklärt 31, wird deutlich, dass bei entsprechender Kenntnis beider Kulturgeschichten eine Übersetzung eigentlich kein Ding der Unmöglichkeit sein sollte. Oft sind es jedoch gerade die kulturgeschichtlichen Kenntnisse, die der Übersetzerin fehlen: Wenn etwa der Autor den Regisseur Frank Capra als Beispiel heranzieht 32 und aus dem Kontext ersichtlich klar auf dessen Film Meet John Doe anspielt 33, nennt Niel den nur bedingt passenden It's a Wonderful Life (deutsch: "Ist das Leben nicht schön?") als Beispiel und bezeichnet ihn zu allem Unpass noch fälschlicherweise als Screwball Comedy 34.

Auch die Einleitung "A Deadhead in Davos" bezieht sich auf den ehemaligen Grateful-Dead-Songschreiber John Perry Barlow (Deadhead = Grateful-Dead-Anhänger) und ist mit "Nieten in Davos" nur in etwas Unverständlich-Polemisches übersetzt. Und ein "confirmed counterculturalist" ist ein anerkannter Vertreter der Gegenkultur, kein "eingefleischter Kulturkritiker" 35. "Libertarian" übersetzt Niel einmal mit "freiheitlich" 36, dann wieder mit "liberalistisch" 37 und schließlich sogar mit "liberal" 38 - wobei keiner der Versuche wirklich trifft (Vgl. Es klingt wie eine Mischung aus "liberal" und "pubertär")

Standard in deutschen Übersetzungen ist scheinbar der Fehler, "Anthropology" (Ethnologie) mit "Anthropologie" (Humangenetik) zu übersetzen 39 (Vgl. Aus dem Schwarzbuch der deutschen Übersetzungen). Die "Moscow-based comrades" der amerikanischen Befürworter staatlicher Eingriffe in die Wirtschaft nicht mit "Genossen", sondern mit "Kameraden in Moskau" zu übersetzen ist dagegen eine "Innovation" von Ruth Niel. Unverzeihlich (und möglicherweise nicht die Schuld der Übersetzerin, sondern die des Verlages) ist weiterhin, dass das Buch offenbar gleich seitenweise gekürzt wurde. 40

Aufgrund dieser Fehler in der Übersetzung ist der fast zeitgleich erschienenen englischen Taschenbuchausgabe mit neuem Nachwort (in dem Frank genüsslich und höchst detailliert auf die von ihm prophezeiten und mittlerweile eingetretenen Folgen des Platzens der Börsenblase eingeht) eindeutig der Vorzug zu geben.

Das falsche Versprechen der New Economy. Wider die neoliberale Schönfärberei. Frankfurt: Campus 2001. 420 S., DM 49, 80.

One Market Under God: Extreme Capitalism, Market Populism, and the End of Economic Democracy. New York: Anchor Books 2001, 436 S. U.S. $ 14,95.