Das ist kein Statement!

Ob Bart- und Haupthaar, Ernährung, Kleidung oder Musikgeschmack - alles wird zum Statement erhoben. Das schafft neue Zielgruppen und Gräben. Und nervt.

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Schubladen sind praktisch, sie sorgen für Ordnung im Chaos. Doch während es bei Kleidungsstücken meistens relativ einfach ist, zwischen Hemd und Hose, Socken und Bluse zu unterscheiden, sind Menschen sehr komplex - was jedoch nicht davon abhält, sie ebenfalls in Schubladen zu stecken.

Stetig werden hierfür neue Schubladen entwickelt, die für die Werbeindustrie neue Zielgruppen bedeuten. Dann arbeiten sich Kolumnisten und Wissenschaftler an den neuen Bezeichnungen ab, versuchen herauszufinden, wie sie entstanden, was diejenigen ausmacht, die in ihnen gelandet sind und was dies über den Zustand der Welt aussagt.

Für die Menschen gibt es wahlweise die Möglichkeit, sich von anderen abzugrenzen und sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen - oder andere schon wegen bestimmter Merkmale als zugehörig anzusehen und daher abzulehnen. Auf diese Weise werden künstliche Gräben gezogen.

Hierzu gehört auch, dass alles und jedes zum Statement erhoben wird. Egal ob der Mann Bart trägt, die Frau sich die Beine rasiert (oder eben nicht), künstlicher Pelz getragen wird, ein Salat statt des Fleischgerichtes auf den Teller kommt oder die Haare in schrillen Farben leuchten. Alles ist irgendwie ein Statement und macht es somit leichter, den Menschen in Schubladen zu stecken.

Dabei ist die gesamte "Statementisierung" absurd, denn während z.B. Jeans und Turnschuhe einerseits für eine Ablehnung von Markenkleidung und Stylingwahn stehen sollen, werden sie andererseits schon wieder als teure Version eine Ablehnung, die bemerkenswert dem ähnelt, was eigentlich abgelehnt wird. Die Markenturnschuhe als Statement gegen den Markenwahn eben.

Nichtsdestotrotz hat das Statementdenken, das oftmals an Küchenpsychologie und Spökenkiekerei erinnert, seinen festen Platz in der Gesellschaft gefunden.

Foto: Dr. Marcus Gossler. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

So werden häufig Begegnung und Miteinander verhindert, weil angenommen wird, der andere sei auf Grund von Kleidung, Essen et cetera quasi "auf der anderen Seite" - was oftmals mit "der falschen Seite" übersetzt werden kann. Hier wird dann auch klar, dass von vielen nur noch Begegnung mit Gleichgesinnten gewollt wird. Die Fähigkeit, auch Menschen mit anderen Meinungen in einen Dialog einzubeziehen, geht dabei verloren.

Für die so bewerteten Menschen ergibt sich zudem das Problem, dass sie nicht einmal mehr wissen, weshalb sie in eine Schublade gesteckt und abgelehnt werden. Oder sie müssen erleben, dass für sie völlig Banales zum Statement erklärt wird, weshalb sie dann als gruppenzugehörig angesehen werden. Beides ist gleichermaßen anstrengend.

Nicht selten möchten die Menschen einfach nur ihren Salat essen, ohne dafür gleich der "ich lehne Tiermast ab und lebe vegan weil ich ein Mensch bin, dem Tiere nicht egal sind"-Gruppierung zugefügt zu werden. Die rosafarbenen Haare der älteren Frau sind gegebenenfalls kein "Statement gegen die altersangemessene Bekleidung und Haarpracht", sondern gefallen ihr einfach. Und der künstliche Nerz war vielleicht einfach günstiger ...

Kurz vor Weihnachten begann in den Medien wieder die kurzfristige Versöhnungsphase: Während das gesamte Jahr über Gräben geschaffen, gehetzt und gegeneinander aufgewiegelt wird, gibt in der Phase zwischen dem 20. und dem 31. Dezember die Friedfertigkeitsmanie, die stimmungsvoll dazu aufruft, sich für mehr Miteinander zu engagieren, die Gräben zwischen den Menschen zu überwinden und aufeinander zuzugehen.

Doch bereit kurze Zeit später wird es die neuen Schubladen und Kategorien geben - und neue "Statements" werden definiert. Dabei sollte eines viel wichtiger sein als die Frage ob der Mann mit dem Bart nun auf irgendeine Weise irgendetwas über diesen Bart aussagen will oder die Frau mit dem Übergewicht und dem kurzen Kleid damit ein "Statement" abgeben will: Sie sind beide Menschen. Denn die Schubladen Veganer, Hipster, Gruftie, Rocker, Hacker, Intellektueller, Sozialschmarotzer, Unterschichtler und was es da noch so alles gibt, lassen diese Tatsache oft genug an den Rand rücken. Leider.

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