"Das kann ich doch auch!"

Der Musiker Markus Pop aka Oval hat eine neue CD veröffentlicht, die er einer für ihn geschriebenen Software eingespielt hat

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Marcus Popp braucht man keine Fragen zu stellen. Kaum steht man ihm gegenüber, beginnt er zu reden, und man kann froh sein, wenn man ab und zu eine Bemerkung einschieben kann, um seinen Redefluss in die gewünschte Richtung zu lenken.

Unter dem Namen Oval hat er zuerst als Trio, inzwischen allein eine Reihe von CDs eingespielt, die ihn nicht nur in der Elektronik-Independent-Szene bekannt gemacht hat, sondern auch einen sehr eigenen Sound mit hohem Wiedererkennungswert hervorgebracht haben.

Für seine frühen Platten zerkratze er dafür CDs, und begann, mit den Geräuschen zu arbeiten, die diese von sich geben, wenn sie im Abspielgerät hängen bleiben. Inzwischen entwickelt er in Zusammenarbeit mit dem Londoner Programmierer Richard Ross ein eigenes Programm namens "Ovalprocess".

Unter diesem Titel erschien seine letzte CD, der nun mit "Ovalcommers" eine zweite Lieferung folgt, die zeigt, wie Popp und Ross das Programm seither weiterentwickelt haben. Das Programm wird auch in einer Installation in Galerien, Plattenläden und Museen gezeigt.

In seinem Studio in Berlin sprach er über die neue Produktion in einer Situation, die weniger Interview als ein Monolog mit kleinen Unterbrechungen (=Fragen) war. Letztere wurden für diese Veröffentlichungen gestrichen. Ein Transkript von Tilman Baumgärtel.

Markus Popp: Die Software "Ovalprozess" operiert im blinden Fleck von anderen Musikprogrammen. Das Programm hat keine alphanumerischen Keyboardeingaben, kein Metrum, keinen Takt, kein Beats Per Minute und mit Tonalität wird eigentlich auch nicht gearbeitet. Es ist ein Statement wie man Sounds benutzt oder wie wichtig man Sounds finden soll und wie man Sounds zueinander in der Zeit strukturieren kann. Die Oberfläche ist sehr reduziert, aber letzten Endes intuitiv erfassbar.

Man schaut sich zwangsläufig Programme an, die man für seine Arbeit verwendet, aber es ist nicht so, dass man sich dazu oder dagegen positioniert. Die Idee war, das Statement oder den Diskurs über elektronische Musik, den ich als recht defizitär erlebe, auf eine andere Ebene zu verlagern. Die elektronische Musik, wie ich sie heute beobachte, ist eine kriterienfreie Sphäre. Mit Ovalprocess ist es mir wichtig, Kriterien vorzuschlagen, um die man jetzt diese elektronische Musikbetrachtung oder diesen Diskurs erweitern kann.

Oval-Process möchte ich nicht im Vergleich zu kommerziell erhältlichen Kompositionsprogrammen sehen, weil es ja letzten Endes nur dazu führen würde, diese Programme zu optimieren. Oval Process möchte zeigen, dass das musikalische Resultat ganz unhintergehbar an die Features oder Möglichkeiten und auch an die Fehler von so einem Programm angebunden ist. Elektronische Musik ist in ihrem musikalischen Resultat immer schon an die Software gekoppelt, mit der sie gemacht ist. Sie muss sich in Fragen von Interface-Design, Arbeitsergonomie, Look and Feel und Benutzerfreundlichkeit oder Benutzerführung definieren lassen, was in dieser elektronischen Musik so drin ist.

Eine Software zu gestalten ist natürlich ein völlig anderer Vorgang als eine Audio-CD zu produzieren. Es ist eine ganz andere Verantwortung, mit der ich das betreibe. Es ist jetzt nicht mehr nur diese Sache, dass man sich zwischen den Features und den Bugs der kommerziell verfügbaren und auch für mich persönlich bezahlbaren Technologien, Software oder Hardware bewegt und da irgendwo seinen Weg findet, sondern es geht darüber hinaus, weil man eine Semantik erzeugt, die über den Bugs und den Features steht. Es erschöpft sich nicht mehr in dieser Zweckentfremdung von Technologie oder dass man, so wie Techno, nur ausbuchstabiert, was in diesen Roland-303-Geräten einprogrammiert ist, bei denen der japanische Ingenieur Anfang der Achtzigerjahre schon genau wusste, was man damit machen können würde.

Ich will eine Software definieren, an der auch andere Leute etwas Sinnvolles oder Interessantes finden und dass das denen sogar noch vorkommt wie Möglichkeiten, mit denen sie etwas machen können, während das natürlich de facto nur Grenzen sind, die man den Usern zieht. So eine Software kann per Definition auch nicht alles können, sonst wird sie ja nie fertig.

Die Software und das, was auf meinen Platten ist, das sind zwei völlig getrennte Bereiche. Meine CD ist eine Read-Only-Audio-CD, die nicht interaktiv veränderbar ist, weil sie gnadenlos für die nächsten zehn oder fünf Jahre in dem Verkaufskanal zirkuliert. Da hat man natürlich eine ganz andere Verantwortung, wenn man so ein Album macht.

Bei dem neuen Album ist es ja tatsächlich so, dass da eine Musik drauf ist, die an Musik, die eigentlich mal so existiert hat, erinnert, aber sie kommt ganz woanders her und ist nicht auf diese ganz einfache Art gemacht, also entweder zusammengesampelt oder von Musikern eingespielt. Ovalcommers arbeitet mit ganz konkreten musikalischen Wiedererkennbarkeiten, die oft fast wie Instrumente klingen. Das war für mich diesmal die Designvorgabe während der Produktion des Albums. Man hört eine Posaune oder eine Trompete oder Geigen, die man aber eigentlich so weder spielen noch sampeln kann.

Oval versucht Tracks zu machen, die in sich so komplex sind, dass es mich selbst auch interessiert. Ich versuche, ein Angebot zu machen, dass eine Art Intervention in diese Simulation von Software ist, dass man versucht, sich eine kritische Option offen zu halten und nicht nur, wie bei Techno, zu sagen: Ich mache jetzt hier mit einem Musikprogramm meinen persönlichen Beta-Test, und das bringe ich raus, wenn der Steuerberater mal wieder sagt: "Wir brauchen eine neue CD, machen Sie was." Das ist mir zu langweilig.

Vieles von dieser elektronischen Musik, die man außerhalb beobachtet, stützt sich auf dieses Paradigma, das sagt, Musik ist quasi in so einer Definition von Frequenz so aufgehoben. Das sind diese Frequenzen und die Manipulierung der Frequenzen, und das ist quasi die Arbeit an der Musik. Ich gehe weiter, weil ich glaube, dass elektronische Musik unhintergehbar an Softwaredesign angebunden ist, und dementsprechend muss ich das Statement auf diese Ebene verlagern. Man muss den Leuten etwas anbieten kann, was sie wirklich sehen können, was sie wirklich beurteilen können. Oval-Process ist also jetzt einerseits diese CD, aber andererseits eben auch dieses Interface mit Software, und das kann dann sofort gezeigt und angeschaut werden.

Das ist ein gewisses Risiko, das ich aber gerne eingehe. Die Zuhörer sind dazu eingeladen auszuchecken, was Oval-Process jetzt wirklich ist. Ich will nicht immer nur sagen: "Ja, meine neue CD, die ist jetzt auch wieder ganz interessant und furchtbar komplex." Ich finde es interessanter, so eine reale kommunikative Situation zwischen realen Leuten zu schaffen, in der sie sich wirklich etwas erklären und schauen und vielleicht sagen: "Das kann ich doch auch."