Das neue Kabul

In Afghanistan träumt man davon, neben dem überfüllten, angeblich nicht sanierbaren Kabul eine neue, am Reißbrett entworfene Hauptstadt zu bauen, um sich in die Zukunft zu katapultieren

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In Paris findet am Donnerstag wieder eine Afghanistan-Konferenz zur Unterstützung des Landes statt. Erwartet wird, dass der seit sechs Jahren mit tatkräftiger Unterstützung von Washington regierende Präsident Hamid Karsai die Geberländer um 15 Milliarden US-Dollar zum Wiederaufbau und Entwicklung im Rahmen der Afghanistan National Development Strategy (ANDS) bitten wird. Zu den Plänen gehört auch eine Verlegung der Hauptstadt Kabul.

Die neue Hauptstadt

Bei den Treffen sind die Länder immer freigebig. Man will sich nicht lumpen lassen. Wenn es dann um die Einlösung der versprechen geht, ist man schon zögerlicher. Von den zugesagten 25 Milliarden Dollar wurden erst 15 Milliarden an Hilfsgeldern für Afghanistan bezahlt. Das fällt auch schwer, weil nur ein Teil des Geldes dort ankommt, wo tatsächlich geholfen wird. Die Regierung von Karsai wird denn auch beschuldigt, dass ein großer Teil der Milliarden verschwendet wurde, wodurch sich die Korruption verstärkt hat, was auch wieder den Taliban und nicht zuletzt den Warlords dient.

Ashraf Ghani, von 2002 bis 2005 Finanzminister unter Karsai sowie ehemaliger Kanzler der Universität Kabul, ist Vorsitzender des Institute of State Effectiveness und kritisiert in seinem neuen Buch die wachsende Korruption, die von der politischen Klasse verursacht wird, die ihren eigenen Interessen folgt. Allerdings sieht er die Ursache für den weiterhin "gescheiterten Staat" Afghanistan auch in den veralteten Konzepten und der mangelnden Transparenz der Geberländer und der UN-Institutionen. US-Firmen würden Ausländer 1.500 US-Dollar am Tag für die Finanzkontrolle zahlen, was Einheimische genauso gut für einen Bruchteil des Gehalts machen könnten.

Auch Nichtregierungsorganisationen haben ihren Teil am Problem. Sie hätten beispielsweise das Land praktisch von staatlichen Angestellten befreit, weil sie ihnen höhere Gehälter zahlen. So würde ein Fahrer 400 US-Dollar Lohn erhalten, während ein Professor an der Uni gerade einmal 50 Dollar verdient. Bestätigt wird Ghani durch einen Bericht von Integrity Watch Afghanistan (IWA) zur Geberkonferenz. Danach kommen von 100 Dollar Hilfsgeldern gerade einmal 20 bei den Menschen an. Viel Geld geht in Sicherheit und in die Bezahlung von teuren ausländischen Experten im Rahmen der so genannten technischen Assistenz. USAID zahlt etwa manchen Mitarbeitern monatlich 22.000 US-Dollar, mehr als 360 Mal so viel wie ein afghanischer Lehrer erhält.

Auch die Weltbank hat bereits kritisiert, dass die Regierung zu wenig gegen die Korruption vorgeht. Ähnlich Kritik äußern Menschenrechtsorganisationen.

Mit der Aussicht auf einen Geldsegen sind auch die Stadtplaner ins Überlegen geraten und haben die Vision entwickelt, zumindest was die Hauptstadt Kabul betrifft, das Reformieren und den Wiederaufbau aufzugeben und gleich neue von der tabula rasa zu beginnen. Die 2006 geschaffene Dehsabz City Development Authority (DCDA) hat den Plan entwickelt, das neue Kabul in der Region Dehsabz zu errichten, das in der der Nähe der alten Haupstadt liegt. Nächstes Jahr soll bereits der mit europäischen Firmen entwickelte Masterplan vorgelegt werden.

Die Vision. ist ehrgeizig, vor allem für Afghanistan, eines der ärmsten Länder der Erde, trotz steigender Opiumumsätze angewiesen auf Hilfe von außen, mit einer Regierung, die ohne die Hilfe von ausländischen Truppen nicht lange überleben würde. Und dennoch träumt man hier groß, will die für ein derart armes Land ansonsten unwahrscheinliche Gelegenheit nutzen, mit den Hilfsgeldern ein neues Kabul zu errichten, weil das alte, von Zerstörungen der langen Kriegszeit gezeichnete mit seinen über vier Millionen Einwohnern aus allen Nähten platzt und kaum sanierbar erscheint. Gleichzeitig soll mit dem neuen Kabul auch ein neuer Anfang für den wirtschaftlichen Aufschwung gesetzt werden, die neue Stadt soll als "Motor für die Zukunft Afghanistans" fungieren, der das gesamte Land aus der Vergangenheit und verfahrenen Gegenwart katapultiert.

Originally capable of accommodating less than half a million inhabitants, Kabul Metropolitan Area now supports a population of over four million in a rapidly expanding economy. Together with improving economic opportunities, this sharp increase in population density brings with it the associated problems of inadequate infrastructure, increasing pollution, and growing unemployment. Afghans are determined to shake off the burdens of the past and embrace a promising future; one in which Afghan enterprises based in Kabul compete on the world stage; but they need a place to do it. While existing Kabul City served the needs of the past, it does not provide for the needs of a sustainable future.

Eine halbe Milliarde Dollar würde man gerne in die neue Stadt – eine "islamische Hauptsadt der Weltklasse" - investieren, die modernste Techniken mit traditionellen Methoden verbinden soll, um zudem die derzeit politisch korrekte Absicht zu erfüllen, "die erste CO2-neutrale Hauptstadt" zu werden, die mit Wasser, Wind und Sonne ihre Energie erzeugt. Neben der neuen Stadt soll in der nördlich an sie anschließenden Region Barikab eine landwirtschaftliche Zone entstehen, in der mit neuester Technik Lebensmittel produziert und Arbeitsplätze geschaffen werden. Dazu kommen Industriezonen und ein neuer internationaler Flughafen. Das alte Kabul soll nicht verschwinden, sondern zu einer Art Museum für die lange afghanische Geschichte werden. Mit- und nebeneinander sollen das alte und neue Kabul auch das Beste der Vergangenheit und der Zukunft vereinen.

Angeblich soll das neue Kabul nicht nur mit Hilfsgeldern finanziert werden, sondern vor allem von der Privatwirtschaft. Den Geberländern wurde das Projekt noch nicht vorgelegt, sagt Mahmoud Saikal, der Leiter der Dehsabz City Development Authority, allerdings werde es bereits von Japan unterstützt. Zunächst für eine Million Einwohner geplant, soll es die alte, überfüllte Hauptstadt entlasten, für größere Sicherheit sorgen, Arbeitsplätze schaffen und damit auch Geld erwirtschaften, um weniger von anderen Ländern abhängig zu sein und die weitere Stadtentwicklung der alten Stadt zu ermöglichen.

"If" we considered the accommodation of 1m people in the city, it would automatically translate into 200,000 blocks of land, each of roughly 1,000 square metres with an estimated price of $30 per sq m, generating about $6bn over probably 10 years.

Mahmoud Saikal

Ob seine Rechnung mit den geringen Kosten und den großen Gewinnen allerdings auf große Überzeugung stoßen wird, darf ebenso bezweifelt werden wie der Glaube, dass ein Umzug in eine neue Stadt alleine einen Schlussstrich unter die Korruption ziehen und alles besser machen wird.