Datenhandel zur Verfolgung von reichen Steuerhinterziehern im Tiefsteuerland

Medien und Politiker entdecken, wenn es um ihre steuerumgehende Klientel geht, plötzlich die absolute Rechtstreue und den Rechtsstaat

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In der Schweiz herrscht große Aufregung, weil die deutsche Regierung trotz interner Uneinigkeit vermutlich die Daten von 1.500 Kunden von Schweizer Banken für 2.5 Millionen kaufen will. Zwar gibt es vernünftige Stimmen, die darauf verweisen, dass die Schweiz das Spiel mit dem Unterschied zwischen Steuerhinterziehern und –betrügern aufgeben und endlich für klare Verhältnisse sorgen müsse, aber die Sorge scheint doch sehr groß zu sein, dass die Schweiz für Steuerflüchtlinge an Attraktivität verliert. Schweizer Politiker fordern, dass auf jeden Fall bei "gestohlenen" Daten keine Amtshilfe gewährt werden soll.

Die Kritik offenbart die ganze Scheinheiligkeit des Tiefsteuerlandes, das aufgrund des Bankgeheimnisses, der Steuerflucht und teils auch der Geldwäsche bislang gut gefahren ist. Hunderte von Milliarden Euro von deutschen Staatsbürgern werden auf Schweizer Bankkonten vermutet, für die trotz Doppelsteuerabkommen nichts abgeführt wird. Der deutschen Regierung wird aber nun vorgeworfen, zum Hehler, "der im Schwarzmarkt Diebesgut kauft und hofft, einen guten Schnitt zu machen". Dass die heimlich in der Schweiz geparkten Gelder auch Diebesgut sind und für Steuerhinterzieher sowie die Schweizer Banken und die Schweiz einen "guten Schnitt" bedeuten, ist bei so viel Ehrlichkeit, wie derzeit inszeniert wird, natürlich außen vor.

Die Ehrlichkeit wird auch von deutschen Politikern und Medien eingefordert, die sich gegen den Kauf aussprechen (Marktwirtschaftliches Handeln oder Hehlerei?). "Wer Rechtstreue von seinen Bürgern verlangt, muss peinlichst darauf bedacht sein, sein eigenes Handeln nicht nach anderen Maßstäben zu bewerten", heißt es forsch in der FAZ. "Wer den Handel mit Diebesgut als Hehlerei bestraft, darf mit kriminellen Datenhändlern keine Geschäfte machen – so bitter dies im Einzelfall auch sein mag." Das müsste dann natürlich auch bei der Bekämpfung der Kriminalität, gleich ob es sich um Drogen oder Terrorismus handelt, gelten. Aber da, so darf man vermuten, sitzt nicht die millionenschwere Klientel, die zur Steuervermeidung die Gesetze bricht. Da wird dann empfohlen, die Steuern für die Reichen und Superreichen zu senken, um den Rechtsbruch nicht notwendig zu machen. So könnte man sicherlich auch jede andere Kriminalität "bekämpfen".

Besonders entblöden sich die Autoren der NZZ, die mit allen, allerdings wenig ausgeklügelten, dafür aber an den Haaren herbeigezogenen Mitteln und Vergleichen die Schweizer Praxis retten und die Aufklärung über Steuerhinterziehung diskriminieren wollen. Hier nur ein besonders schönes Beispiel:

Zum finanziellen Anreiz, von einer Verletzung des Bankgeheimnisses zu profitieren, sei der folgende Vergleich herangezogen: Für die Aufklärung eines Tötungsdelikts werden in der Schweiz von staatlicher Seite einige tausend, in Ausnahmefällen wenige zehntausend Franken Belohnung ausgesetzt. Demgegenüber werden im benachbarten Ausland für die Aufklärung von mutmasslichem Steuerbetrug offenbar Beträge von mehreren Millionen Franken geboten. Zudem droht beim Auffliegen des Diebstahls von Kundendaten wegen Verletzung des Bankgeheimnisses maximal eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten. Anderen Geheimnisträgern hingegen, die das Berufsgeheimnis verletzen – vom Pfarrer über die Hebamme bis zum Rechtsanwalt – werden bis zu 3 Jahren Freiheitsstrafe angedroht. Der Diebstahl von Bankdaten kann also ein einträgliches Geschäft sein, das ein vergleichsweise geringes Risiko birgt.

NZZ

Aber schon der Ausdruck der Hehlerei, der in so vielen Mündern derjenigen, die nun auf einmal mit solcher puristischen Entschiedenheit den Rechtsstaat sichern wollen, der ihnen bei Überwachung, Datenschutz und nicht-bürgerlicher Kriminalität kaum etwas gilt, erweckt bewusst den falschen Eindruck. Es handelt sich ja wohl um aus Gründen der Strafvereitlung geschützte Daten von rechtswidrigen Steuerhinterziehern und -betrügern, also nicht von rechtschaffenen Bürgern. Wird man zum Hehler, wenn man Informationen über Rechtsverstöße kauft? Wird hier der Datenschutz verletzt? Da fragt man sich dann doch, wo die Verhältnismäßigkeit etwa im Hinblick auf die Vorratsdatenspeicherung oder die Übermittlung von Finanzdaten aller Bürger in die USA bleibt.

Kein Wunder freilich, dass sich nicht nur Politiker aus CDU und CSU vor die reichen Steuerhinterzieher stellen, sondern dass man dort auch die FDP-Politiker findet, die offenbar unbedingt ihren Ruf als Klientelpartei bestätigen müssen. So will auch FDP-Haushaltsexpertin Claudia Winterstein den Kauf der Daten verhindern. "Sollte ein rechtlich einwandfreier Erwerb nicht möglich sein, muss der Staat darauf verzichten. In einem Rechtsstaat heiligt der Zweck nicht die Mittel, sonst öffnet man Erpressern und Hehlern Tür und Tor", sagte sie der "Neuen Presse". Die Schweizer FDP erklärt: "Gewisse Staaten kennen offenbar keine rechtsstaatlichen Grenzen mehr." Als ob der Rechtsstaat nicht auch auf der Strecke bleibt, wenn Steuerbetrügern Schutz gewährt wird.

Interessant ist auch, wie sich Schweizer Politiker winden, um die Rechtmäßigkeit der Deckung der Steuerhinterziehung bzw. -betrugs aufrechtzuerhalten. Der Schweizer Nationalrat Pirmin Bischof hat im Deutschlandradio heute ein schönes Exempel statuiert. Er spricht von einem Banküberfall, wenn die deutsche Regierung die Daten kaufen sollte:

Früher musste man sich auf die Bank begeben und sich dort Geld behändigen mittels einer Waffe; heute kann man das elektronisch tun, indem man Daten klaut. Das darf ein Rechtsstaat nicht schützen, was immer damit für ein Mittel verfolgt wird. Sonst begibt er sich selber in den Verdacht, ein Hehler zu sein. Das erwarten wir von Rechtsstaaten nicht.

Bischof

Auf die Frage, ob die Schweiz nicht Steuerbetrug deckt, sagte der Nationalrat:

Die Schweiz hat ein ganz anderes Steuer- und Finanzsystem als andere Nachbarstaaten. Wir bauen eigentlich auf ein Tiefsteuersystem auf. In der Schweiz werden die Steuern durch das Volk festgelegt. Selbst die Steuersätze werden in Volksabstimmungen bestimmt. Zwischen den Kantonen herrscht ein starker Steuerwettbewerb und das führt insgesamt zu tiefen Steuern. … Das hat natürlich dann zur Folge, dass die Schweiz attraktiv wird auch für viele Deutsche. … Deutschland hat eine Tradition von eher hohen Steuern und hohen Staatsausgaben und da kann sich ein Arbeitnehmer, der gut verdient, oder auch ein Unternehmer zum Teil übervorteilt fühlen..

Bischof

Das hieße nichts anderes, dass die anderen Staaten sich dem "Tiefsteuersystem" der Schweiz anpassen oder eben damit leben müssen, dass die Reichen ihre Gelder in die Schweiz bringen, um sie nicht versteuern zu müssen.