David oder Goliath, Napster oder die Musikindustrie?

Heute findet eine Anhörung vor dem Berufungsgericht statt, bei der es um einen der wichtigsten Streitfälle über die Besitzverhältnisse in der Wissensgesellschaft geht

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Heute findet eine erneute Anhörung für einen der wohl bislang zukunftsträchtigsten Rechtsstreitigkeiten über die neuen Besitzverhältnisse in der Wissensgesellschaft statt. Die Recording Industry Association of America (RIAA) beschuldigt die Tauschbörse Napster, dass sie es Millionen von Benutzern ermöglicht, urheberrechtlich geschützte Musikdateien suchen und kostenlos herunterladen zu können. Napster hingegen behauptet, dass es für Copyrightverletzungen der Benutzer nicht zur Verantwortung gezogen werden könne, sondern nur eine technische Möglichkeit zur Verfügung stelle, die ähnlich wie bei einem digitalen Audiorecorder die Herstellung von Kopien für den persönlichen Gebrauch ermöglicht.

Ganz nach den Prinzipien der Aufmerksamkeitsökonomie wurde Napster erst wirklich bekannt und explodierte die Zahl der Benutzer dieser Tauschbörse, nachdem die RIAA sich mit Napster ihren Gegner auserwählt hatte, um für das Überleben der Musikindustrie als gutverdienender Mittler zwischen Künstlern und Kunden im Internetzeitalter zu kämpfen und die vom Digital Millennium Copyright Act (DMCA) gesteckten Rahmenbedingungen für den Schutz des geistigen Eigentums und die Rechte des Käufers sowie der Öffentlichkeit (fair use) abzustecken. Und natürlich ist es auch ein Stellvertreterkampf, denn ein Vorgehen gegen die vielen Napster-Nutzer, die das Urheberrecht verletzen, wäre schlicht unmöglich, obgleich die RIAA bereits einen Studenten exemplarisch angeklagt hat (Musikindustrie zeigt amerikanischen Studenten wegen Copyrightverletzung an).

Der Streit geht nicht nur mitten durch die Künstler und die Industrie - beispielsweise haben die Consumer Electronics Association (CEA), die Digital Media Association (DiMA) und die NetCoalition sich für Napster ausgesprochen -, sondern hat auch bereits zu einem Konflikt zwischen dem Justizministerium, dem Copyright Office und dem Patent and Trademark Office, die sich auf die Seite der RIAA stellten, und dem Kongress geführt. Orrin Hatch, Leiter des Judiciary Committee, betonte Mitte September in einem Brief an das Berufungsgericht, dass der Kongress keineswegs die Haltung der Regierung teile.

Napster vs. RIAA ist auch ein symbolischer Kampf einer alten Branche mit alten Distributionswegen und Märkten gegen eine neue Technik, die es eigentlich den Künstlern erlaubt, direkt mit ihren Fans in Kontakt zu treten und ihre Musik über das Internet zu vertreiben. Symbolisch ist der Kampf auch insofern, als Großkonzerne gegen das zunächst kleine Startup-Unternehmen von Shawn Fanning antreten, einem bei Gründung 19jährigen Studenten: eine milliardenschwere Koalition gewissermaßen gegen ein Modell, von dem bei allem Erfolg noch völlig unklar ist, wie sich damit Geld verdienen lässt. Möglicherweise ist der Konflikt auch Ausdruck zwischen zwei unterschiedlichen ökonomischen Modellen, wie Michael Goldhaber vermutet: zwischen dem alten Kapitalismus und der neuen Aufmerksamkeitsökonomie (Die Napster-Revolution und das Gesetz).

Napster will, so die RIAA aufgrund von Dokumenten, das Distributionssystem unterminieren und anschließend selbst in die Hand nehmen. RIAA behauptet, dass jede Minute 14000 Songs über Napster heruntergeladen werden. Napster geht davon aus, dass die Tauschbörse bis Ende des Jahres 75 Millionen Benutzer haben könnte. Im Dezember 1999, als die Klage von RIAA erhoben wurde, waren es noch 200000 Nutzer. Napster-Anwalt David Boies wirft hingegen der RIAA vor, dass ihre Klageschrift "schwerwiegende Fehler" enthält und Präzedenzfälle nicht angemessen berücksichtigt, beispielsweise ein Urteil von 1984, in dem das Oberste Bundesgericht Sony die Verbreitung der Betamax-Technik erlaubt hatte.

Nachdem es im Juli beinahe so ausgesehen hatte, als müsse Napster aufgrund der einstweiligen Verfügung der Richterin schließen (Napster wird stillgelegt), da die Tauschbörse die Möglichkeit verhindern sollte, dass Benutzer weiterhin urheberrechtlich geschützte Dateien tauschen, wurde diese gewissermaßen in letzter Minute von einem Berufungsgericht wieder aufgehoben. Bei der Anhörung heute geht es darum, ob Napster tatsächlich verantwortlich ist für Urheberrechtsverletzungen und ob die Tauschbörse weiterhin geöffnet bleiben darf, bis ein endgültiges Urteil gefällt wird.