Demografische Spielereien

In Großbritannien könnte sich die Bevölkerung in 100 Jahren verdoppeln, in Deutschland ist entgegen den Vorhersagen die Bevölkerung gewachsen

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Verkündet wird gerne allgemein, dass in den Industrieländern die Bevölkerung vergreist und schrumpft, dass das Leben in der Festung Europa verödet. Aber schon nach den bestehenden Voraussagen gibt es erhebliche Unterschiede, die allerdings von vielen Faktoren abhängen und sich demgemäß verändern können. So soll etwa noch nach Vorausberechnungen im Jahr 2009 die Bevölkerung Deutschlands in den nächsten Jahren schrumpfen, während sie in Großbritannien wächst - schneller als in jedem anderen europäischen Land.

Dabei spielt die Geburtenrate weniger eine Rolle als der erwartete Zuzug. Der führte allerdings auch schon dazu, dass die Bevölkerung in Deutschland gegen den Trend nach 2011 auch 2012 gewachsen ist, allerdings nur um 0,2 Prozent. 2011 wuchs die Bevölkerung um 92.000 Menschen, 2012 waren es sogar 195.000. Das geht aber nicht auf eine höhere Fertilität oder die Familienpolitik mit Kita-Ausbau, Elternurlaub oder Herdprämie zurück, sondern verdankt sich vor allem der von den Demografen auch 2009 nicht einkalkulierten europäischen Krise. Die meisten Zuwanderer kamen aus Polen, Rumänien, Bulgarien, Ungarn, Italien, Spanien und Griechenland. Das Wanderungssaldo betrug +279.207.

Auch 2013 stieg die Bevölkerung weiter langsam an. Während die Zahl der Deutschen leicht zurückging, nahm die der Ausländer zu. Das Statistische Bundesamt ging 2009 noch von einem langjährigen Anstieg des jährlichen Wanderungssaldos von nur +100.000 bis 200.000 Personen aus. So schnell kann es sich ändern. Aufgrund der bis dahin vorliegenden Zahlen ging man von einem anhaltenden Bevölkerungsrückgang bis 2060 von 82 Millionen auf 65 bzw. 70 Millionen aus. Im ersten Halbjahr 2013 hatte sich gegen die frühere Vorhersage der Zuzug im dritten Jahr erhöht, das Wanderungssaldo wuchs gegenüber dem Vorjahr um 13 Prozent. Während in Deutschland vorerst vermutlich kein großes Anwachsen zu erwarten ist, wenn sich die Einwanderungspolitik nicht grundlegend ändert, könnte die Bevölkerung aber in Großbritannien nach der britischen Statistikbehörden in den nächsten 25 Jahren um 14 Millionen vermehren, kurz zuvor war man noch von einem Plus von nur 10 Millionen ausgegangen. Und bis 2112 könnte sich die Bevölkerung sogar auf mehr als 130 Millionen verdoppeln, allerdings nur, wenn unwahrscheinlicherweise hohe Zuwanderung, hohe Fertilität und hohe Lebenserwartung zusammenkommen. Die Statistikbehörde schätzt, dass es dann eher 93 Millionen sein werden, also ein Drittel mehr als jetzt. Bei geringer Migration und/oder niedriger Fertilität würde die Bevölkerung nach einem Anstieg bis 2032 leicht abnehmen.

Frank Field von der oppositionellen Labour-Partei versucht die neuen Schätzungen gleich einmal politisch auszuschlachten, da auch in Großbritannien die Ablehnung von weiterer Einwanderung unddie Fremdenfeindlichkeit wachsen. Man habe, so Field, die Ängste der Menschen über viele Jahre heruntergespielt, die Demografie würden sie jetzt bestätigen. Die hohe Zuwanderung könne in Zeit der Sparpolitik die Gesundheitsversorgung und die Schulausbildung beeinträchtigen, während die Wohnungskrise verstärkt werden.

David Blunkett, der frühere Innenminister, ebenfalls von der Labour-Partei, hatte schon vor Unruhen gewarnt, sollten mehr Roma einwandern. Die Einwanderungsrestriktionen für Bulgarien und Rumänen fallen Ende des Jahres weg. Wie in Deutschland rechnet man auch in Großbritannien mit einer steigenden Zuwanderung und schürt Ängste, zumal mit der rechtspopulistischen Partei UKIP auch EU- Feindlichkeit und Abwehr von Einwanderung gestärkt werden. 2012 wuchs die Zahl der Einwanderer aus Bulgarien und Rumänien um 13 Prozent, insgesamt kamen aber weniger Einwanderer auf die Insel. Gerade einmal 0,4 Prozent der Menschen auf dem britischen Arbeitsmarkt stammen aus Bulgarien oder Rumänien.

Trotzdem hat die britische Regierung dafür gesorgt, dass es Einwanderer schwerer haben, an Sozialhilfe zu gelangen, weil sie nicht durch die "Attraktivität der staatlichen Hilfen" angezogen werden sollen, wie Arbeitsminister Duncan Smith sagte. Da ist man in Deutschland ähnlich gestimmt und verweigert Zuwanderern Hartz IV, weil man einen befürchteten "Sozialtourismus" bekämpfen will. Darüber wird nun der Europäische Gerichtshof entscheiden müssen, schließlich gibt es für die Bürger der ERU nicht nur Freizügigkeit, sie haben auch Anspruch darauf, gleich behandelt zu werden.

Tatsächlich wuchs in Großbritannien die Bevölkerung am stärksten in Europa, angetrieben durch den Zuzug von ausländischen Arbeitsmigranten und durch einen Babyboom, der auch stark von den Einwanderern getragen wurde. Vorhersagen, so erklärt natürlich auch die Statistikbehörde, werden aufgrund des ungewissen "demografischen Verhaltens" immer mehr oder weniger falsch sein.