"Den Namen auf die Liste setzen, das ist leicht"

Iran: 55.000 Selbstmordattentäter?

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Mehr als 100 freiwillige Männer und Frauen sollen sich gestern an einer Gedenkstätte für Kriegsopfer und Märtyrer in Teheran dazu verpflichtet haben, Selbstmordattentäter zu werden, um ihr Land und den Islam im Falle eines Angriffs zu verteidigen.

Die Botschaft der AP-Meldung, die gestern verbreitet wurde und von großen Zeitungen, wie der Washington Post und dem Houston Chronicle, dem Online-News-Portal Yahoo!News und Fernsehsendern wie Fox-News übernommen wurde, ist klar und wird entsprechend verstanden: Die USA sollen wissen, womit sie es im Falle eines Angriffs zu tun haben.

In dieser Botschaft liegt der Grund, weshalb die Meldung von „nur“ 100 neuen Selbstmord-Rekruten eine Nachricht ist, wie der AP-Journalist Dan Murphy erkennen lässt: Die Versammlung am Friedhof sei dafür „maßgeschneidert“ worden, um Trotz und Widerstand gegen Drohungen zu dokumentieren. Andere Agenturen, wie AFP, haben diese Rechtfertigung gar nicht nötig, sie lassen ganz andere Zahlen für sich sprechen: Auf 55.000 Freiwillige seien ihre Selbstmord-Bataillone mittlerweile angewachsen, wird der Sprecher des Komitees „Glorification of Martyrs of the Global Islamic Movement“, Mohammad Mohammadi, bei der Teheraner Friedhofsversammlung von AFP zitiert.

Etwas erstaunlich ist es schon, dass eine ganz ähnliche Meldung schon Mitte April veröffentlicht wurde. Vor mehr als einem Monat verkündete das Komitee zur „Verherrlichung der Märtyrer der globalen islamischen Bewegung“ demnach, dass man bereits 55.000 Freiwillige habe, die sich auf ihren Listen eingetragen hätten. Im April organisierte das Komitee seine Rekrutierungsveranstaltung nicht auf einem Friedhof sondern in der ehemaligen Botschaft der USA in Teheran und betonte den „symbolischen Wert“ der Listen-Einschreibungen, wies aber gleichzeitig daraufhin, dass die Rekruten teilweise auch ausgebildet würden, um für echte Operationen vorbereitet zu sein.

Inwieweit das Komitee die Unterstützung von offiziellen Vertretern der iranischen Regierung im Rücken hat, wird bei allen Meldungen nur angedeutet und umschrieben, die Tendenz ist, dass man ihm enge Verbindungen zu den Revolutionären Garden und den Basidschi nachsagt.

Dagegen verwies eine Meldung der englischen Sunday Times ebenfalls von Mitte April darauf, dass iranische Regierungsvertreter selbst mit Aussagen zitiert werden, dass 40.000 Selbstmordattentäter für einen Einsatz im Falle eines Angriffs der USA ausgebildet würden. Als Kerntruppe wurde in der Meldung, die von der internationalen Presse mit großer Aufmerksamkeit aufgenommen wurde, eine Spezialeinheit der „Martyr Seekers“ der Revolutionäre Garden genannt, die bei einer Militärparade mit Bombengürteln und hochgehaltenen Granaten gesehen wurde.

Ob es sich bei den Selbstmordkommandos um eine Medienkampagne oder um eine echte handelt, ist, seitdem die Rekrutierungsanstrengungen der „Martyrs of the Global Islamic Movement“ im Jahre 2004 der westlichen Presse bekannt wurden, umstritten. Sicher ist jedoch, dass die religiöse Führung des Landes keine ideologischen Bedenken gegen einen freiwilligen Märtyrertod hat.

Der angesehene Iran-Experte Christopher de Bellaigue bestätigt das Vorhandensein von Freiwilligen, bezweifelt allerdings, ob sich im Ernstfall tatsächlich so viele wie 55.000 bzw. 40.000 Iraner opfern würden:

I mean, I think at present it is merely a fantasy and has little to do with reality.

The important point is when, if people start to think that a confrontation is imminent or serious, then how they react, because it's very easy to go and sign your name on the dotted line and say yes, I'd love to be a martyr when you have absolutely no intention of doing that, and when you know that the government is not going to miraculously find a way of getting you into the occupied territories or the West Bank in order to carry out martyrdom operations.

But when things start happening much closer to home and people start asking for volunteers, then we'll see whether that fantasy can be turned into reality. And my suspicion is that there are people in this country who would be willing to lay down their lives.