Der Chip auf unserer Haut

Anziehcomputer sind etwas für Konservative, denn der Computer wird zu einer Staubwolke

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Jede bedeutende Technologie verschwindet, bevor sie als solche erkannt wird. Schrift muss erst jemand als Keilschrift aus dem Alltag herausbuddeln, damit sie im Abstand einiger Jahrhunderte als revolutionär wahrgenommen werden kann. Computer machen sich jetzt gerade erst ans Verschwinden.

Wearable Motherboard

Die Zeiten, als Rechenmaschinen nicht zu übersehen in Lastwagengröße geradezu sakrale Hallen ausfüllten, sind gewiss vorbei. Doch mit dem Alltag sind sie noch immer nicht verwoben. Computer sind beige Kästen, die meist schon im Wohnzimmer stören, ins Schlafzimmer kommen sie auf keinen Fall. Die Metapher heutiger Betriebssysteme ist da eindeutig. Seit den frühen 80er Jahren ist es dieselbe: ein Schreibtisch, auf dem der Nutzer Informationen in Fenstern sammelt und verarbeitet. Ein Bildschirm-Arbeitsplatz eben.

Mark Weiser vom renommierten Palo Alto Research Center (PARC) sah dieses Verhältnis schon 1996 am Ende: "Während der ersten Welle der Informationstechnologie von 1940 bis etwa 1980 gab es viele Menschen, die einem Computer dienten. Die zweite Welle bedeutet, dass Mensch und Computer sich auf dem Schreibtisch anstarren, ohne Teil der Welt ihres Gegenübers zu sein. Die dritte Welle beginnt gerade: Viele Computer dienen einem Menschen überall auf der Welt." (Schnittstelle zum Unterbewußtsein)

Damit ist über eine neue Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine, über eine neue Metapher für die Arbeit mit Information noch nichts gesagt. An einer Definition haben sich Teilnehmer einer Diskussion am Londoner Institute of Contemporary Arts (ICA) unter dem Titel "The future technology of fashion - Why wear IT?" zumindest versucht.

Der Abstand zwischen Mensch und Computern kann kaum kleiner werden, als der zwischen Jacke und Träger. Der Anziehcomputer erfüllt eine wesentliche Anforderung an die dritte Welle der Informationstechnologie: Der Computer soll Leibeigener werden. Seine Welt soll mit der des Mensch verschmelzen, oder einfacher: Der Rechner verschwindet im Alltag. Er verändert die Grundlagen des Lebens ebenso unbemerkt wie die Kanalisation, ohne die es kaum so etwas wie Urbanität gäbe.

Entwürfe von Anziehcomputern gibt es zuhauf. Asha Peta Thompson erzählte bei der Diskussion am ICA vom sprechenden T-Shirt. Sie entwickelt am Design for Life Centre der britischen Brunel Universität Hilfsmittel für Menschen mit Sprachproblemen. Etwa einen Sprachcomputer, der über die Oberfläche eines Kleidungsstücks gesteuert wird.

WristWatch Computer, Steve Mann

Es gibt auch andere Vorstellungen der dritten Welle der Informationstechnologie. Die Vision von Steve Mann, Professor an der Universität Toronto, kennt jeder, der Terminator sah. Einige Szenen waren aus der Perspektive des Cyborgs zu sehen, hier legten sich mehr oder weniger sinnige grafische Informationen über die Wirklichkeit. Mann hat einen Computer entwickelt, der samt Funkmodem am Gürtel zu tragen und über eine Einhandfernbedienung zu nutzen ist. Informationen - das fängt bei der Uhrzeit an - werden auf die Gläser eine Brille gespiegelt, was so aussieht, wie man es sich 1987 vorstellte.

Und das ist das Problem bei Manns und einigen anderen Entwürfen. Sie sind eine Projektion der Gegenwart in die Zukunft nach den Maßgaben eines James Bond Films. Technik muss zugleich vertraut und spektakulär sein. Und sie muss aus dem Gebiet der aktuell führenden Leittechnologie kommen. Raketen sind ein ebenso altes Konzept wie der PKW. Raketen am PKW hingegen sind spektakulär, ja geradezu futuristisch - waren es zumindest im Kalten Krieg. Genauso verhält es sich mit IBMs Prototyp eines Thinkpads, der am Gürtel getragen und über Sprache gesteuert werden kann. Letztlich ist dies dasselbe Konzept wie es heute schon auf jedem Schreibtisch steht, nur eben kleiner.

Information wird weiterhin zentralisiert, wie beim jetzigen Computer. Er besitzt geradezu ein Monopol auf ihre Verarbeitung. Seine Haupteigenschaft ist nicht die Kommunikation und das Verknüpfen von Information, sondern das Zentralisieren und Trennen. Die Metapher der Ordner auf dem Schreibtisch sagt alles.

Neu an Anziehcomputern wird nicht ihre Größe sein. Entscheidend ist, dass sie keine Computer mehr sind. Die Funktionen der bisherigen monopolistischen Schnittstelle, die alle Informationen bündelt, werden zahlreiche Geräte übernehmen. Schon heute nimmt die Zahl unterschiedlicher Endgeräte eher zu als ab: DVD-Spieler, Mobiltelefone, PDAs, Subnotebooks, Laptops, Heimcomputer. Gleichzeitig vereinheitlichen sich die Protokolle, mit denen Texte, Filme, Emails, Musikstücke - jegliche Daten übertragen werden. Das könnte das Ende des Computers sein.

In den USA hat sich die Defence Advanced Research Projects Agency (DARPA) schon immer um die Zukunft verdient gemacht - etwa als sie 1969 das Internet begründete. Heute arbeitet man dort an Netzwerkarchitekturen, die bis zu 100000 Komponenten verbinden und es ihnen ermöglichen, in Sekundenbruchteilen als kollektive Intelligenz zu handeln. Zum Beispiel schwirrt ein Sensorenschwarm über feindliche Linien, versucht Funkverkehr aufzuspüren. Ein Sensor teilt seine Entdeckung allen anderen mit, woraufhin sie kollektiv ihre Funktionsweise ändern und den Funkverkehr stören.

Wearable Electronics

Die Metapher des Computers der Zukunft ist nicht der Schreibtisch als Fixpunkt, sondern eine elektronische Wolke, die ihren Besitzer umgibt. Jack Mama entwickelt bei Philips Design sogenannte "Wearable Electronics" (Mode bleibt tragbar, alles andere soll sich ändern). Der Begriff ist bewusst gewählt: "Wir machen keine Computer zum Anziehen. Der Computer wird sich bald in verschiedene Formen auflösen" Nicht jeder Bestandteil der dann entstehenden elektronischen Wolke kann dann alles tun, aber sie können sich beauftragen und Ergebnisse austauschen.

Nicholas Negroponte sprach schon 1995 von "things that think". Damit meinte er Dinge wie Bugs-Bunny T-Shirts, die per Global Positioning System den Eltern den Aufenthaltsort ihres Kindes mitteilen, oder Schuhe, die mit jedem Menschen, dessen Hand man schüttelt, elektronische Visitenkarten austauschen. Das klingt ebenso wie Asha Peta Thompsons sprechende T-Shirts allemal vernünftiger als der Anziehcomputer. Was davon zu halten ist, weiß, wer sich an die Prophezeiungen einer virtuellen Realität Anfang der 90er erinnert. Virtuelle Realität, so glaubte man, sei, wenn große, teure, aufwendige Computer in Zukunft allein damit beschäftigt seien, einen Cyberspace zu produzieren. Das war eine Projektion des Gedankens einer Final Frontier, die es nun in vermeintlich neuen, unentdeckten Territorien voranzutreiben gilt. Nur: Computer werden kleiner und simpler. Sie verschwinden im Gewebe des Alltags und arbeiten an der Welt statt an ihrer Simulation.