Der Content Deal

Wie sich (vielleicht) Online-Content verwerten ließe

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Altveteranen von T-Online werden sich voller Tränen erinnern: User haben für BTX-Pages happige Zutrittgebühren bezahlt. Mit "Content is free" grassiert seitdem ein Virus im Internet, der teuer zu stehen kommt und scheinbar nicht zu stoppen ist. Aber wieso eigentlich jammern? Alles eine Frage des Kalküls.

So einfach ist das mit dem Inhalt nicht. Während Suchmaschinen wie Google mehr als eine Milliarde an HTML-Seiten im Web registriert haben und Lieschen Müller immer noch ungebremst immer mehr über die eigene Katze (auf der eigenen Homepage) von sich gibt, dünnt der Fluss an Hochwertigem im Web aus. Der Grund: Die Refinanzierung professioneller Inhalte über Werbebanner will auch dann nicht ins Rollen kommen, wenn Pop-ups und Banner in Sondergrößen wie bei Tomorrow dem geneigten Leser direkt ins Hirn springen sollen. Keine Besserung ist in Sicht, da laut Jupiter 40% der befragten europäischen Unternehmen überhaupt nicht in Online-Werbung investieren. Und der Rest wendet gerade einmal 1-5 % seiner Etats für kleine bunte Bildchen am oberen Bildschirmrand auf.

Auch die Hoffnungen auf sattes Börsengeld sind passe. Businesspläne, die auf den Handel mit Content basieren, sind nicht gerade die Aktienbrüller, es sei denn man macht gerne Herrenwitze bei lauwarmem Bier.

Content costs

Dass eine Redaktion Geld kostet, dürfte sich herumgesprochen haben. Aber die Chancen auf ein Lese-Abo scheinen derzeit bei NULL zu liegen. 1996 haben die Leser der ZEIT auf die Frage, wie viel sie für die digitalen Jobangebote im Monat zahlen wollen, die Latte gerade einmal auf 20 Pfennig im Monat gehoben. Selbst mentale Limbo-Tänzer im anvisierten Massenmarkt dürften hier Schwierigkeiten haben durchzukommen.

Gerade dann wenn man bedenkt, dass Online-Kosten heute nicht mehr das große Thema im Vergleich zu damals darstellen, mag es einen verwundern, was am gleichen Service auf Papier so wertvoll sein soll, dass User locker das Hundertfache dafür monatlich abdrücken, würde man den immerhin gewährten digitalen Obulus verlangen.

Bleiben die Content Deals der offiziellen Sorte, die gerne von den Großen dieser Welt abgeschlossen werden. T-Online, das immerhin zu BTX-Zeiten ein spannendes Online-Content-Modell in der Form von Seitenabrufen hatte (aber leider keinen spannenden Content ...), geht vermehrt auf große Player zu und versucht sich in Syndication. Nach dem Deal mit der "Bild" - wir wollen hoffen, dass der desaströse Relaunch von www.bild.de nichts damit zu tun hat - ist man sich nun auch mit Merrcedes einig geworden. Die Rechnung ist eine einfache: Manche haben wertigen Content aber kein Geld, andere brauchen ihn und haben Geld, um ihn einzukaufen. Die Konsequenz wird eine Entity-Kultur von Content sein, die im Verfahren "One Source – multiple Interfaces" ähnlich zum allseits bekannten Presse-Agenturen Modell arbeitet.

Customer sucks

Alle anderen Versuche, Internetnutzer gegen ihre bisherigen Gewohnheiten hinter die Mauern eines klaren Geschäftsmodells mit Abo etc. zu bringen, scheitern allerdings so, wie dies auch in anderen Medien gedschieht. Davon kann Leo Kirch im Augenblick verfilmbare Geschichten erzählen. Weil niemand so wirklich seine samstäglichen präkoitalen Sportschau-Bräuche vor der Tagesschau missen will, ist der "ran"-Sendeplatz schon mal leicht mit den Zuschauerquoten der Kanzler-Ansprachen zu verwechseln gewesen.

"Premiere" wird sich kein Zuschauer aufzwingen lassen, wenn seine innere Werte-Agenda den Kauf nicht rechtfertigt. Und so ähnlich wird auch Online-Content eher gemieden als gekauft. Medienkonzerne mögen sich mächtig fühlen, sie sind allerdings nur ein Anbieter in der Ökonomie der Aufmerksamkeit, die durch die Alternative "Pay-TV oder 3 Kästen Bier im Monat" schon erheblich gestört werden können. Was bleibt, sind kundenorientierte Ansätze, die sich im wesentlichen in zwei Gruppen teilen lassen. Die einen sehen Online-Content als Projektionsfläche, die Inhalte soweit perfektioniert, dass in einem anderen Kanal weitaus mehr Einkünfte aus dieser Innovation gezogen werden können. Also eine Mischkalkulation, dazu gleich mehr.

Die andere Strategie ist die der umgekehrten Wiederverwertung oder Site-Verwertung bereits in anderen Channels gesendeter Inhalte. Der banale Fall wie www.tagesschau.de oder www.zeit.de gehören zum festen Web-Inventar, dürften aber nicht wirklich in einem sinnvollen Return on Investment weiterkommen. Letztendlich wird hier auf ewig ein Fuß in der Tür behalten. Auf der anderen Seite sind Sites wie www.gzsz.de mit einer sechsstelligen profilierten Besucherzahl als Fansite scheinbar auf dem Weg, eine sinnvolle Verwertungsstrategie zu finden. Die Betreiber der Site sind von RTL auch abgekoppelt und sollen sich selbst finanzieren. Good luck. Das Web als Container für Sekundärwissen zu einer wertigen Content-Einheit wie einer Daily Soap ist nichts Neues, wird wie im Herbst zu einer US-Serie über den 2. Weltkrieg mehr und mehr auch zur Merchandising Plattform.

Starwars.com als Vorbild

"Merchandising" ist vielleicht auch das richtige Stichwort für eine gelungene Projektions-Strategie im Web. Ausgerechnet der Urvater des Kino-Merchandising - sorry, ich meine nicht Disney, auch wenn man hier diskutieren könnte - scheint wieder einmal zu seiner Bestform aufzulaufen. Mit www.starwars.com hat George Lucas bereits den Countdown für den neuen Film eingeläutet. Und irgendwie muss da in seiner Crew jemand richtig nachgedacht haben.

Aufgemacht wie ein Fan-Zine, das mit randomisierten Bildern aus dem Sequel I und z.T. schon II mindestens wöchentlich einen Blick hinter die Kulissen des neuen Films bietet, baut das "Imperium" rund um den bereits vorhandenen Markenkern die Erwartungshaltung für den neuen Teil der Weltraumsaga auf. Der allgemeine promotionale Teil ist fein, gut gemacht und regelmäßig neu, allerdings wird es erst spannend, wenn die Community - auch schon irgendwie bekannt - oder aber der "Starwars today"-Bereich erreicht werden sollen. Hier wird ein Passwort abgefragt. Und erst wenn Fans, die es sich nun einmal nicht nehmen lassen wollen, das Neueste über den kommenden Film zu finden, sich hier verewigt haben, kommen sie in den Genuss von Backstage-Videos, News zum Film, aber auch zu Abstimmungen über Teile der Saga. Die dortigen Content-Types reichen von News über Knowledgebase-Einträge und exklusiven Videos (in Partnerschaft mit Apple wie zu Episode I-Zeiten) bis hin zu Umfragen wie: "After 2005, in what order will you watch the films? Do you believe that Anakin was conceived by the will of the Force? Which is your favorite Lucas film? What will Luke and Mara name their newborn in Rebirth?"

Man muss kein Jedi sein, um die Vermarktungsstrategie zu begreifen. Der angebotene hochwertige und stark selektierte Content besitzt wegen der großen Fangemeinde einen hohen emotionalen Wert und Exklusivität durch den angebotenen Blick in die Zukunft des Produkts. Diese Zukunft werden User-Raten, Responses und geäußerte Meinungen und Vorschläge in den Umfragen entscheidend mitprägen. Dass ein Merchandising-Shop an die Site angegliedert ist, versteht sich von selbst.

Der entscheidende Mehrwert dieser Site ist sicher nicht, dass hier innovative Dinge im Web geboten werden. Das hat man alles schon einmal gesehen. Entscheidend ist die genau abgewogene Kombination dieser Content-Strategien, die dazu führen sollen, über Merchandising und die Projektion auf kommende Kino-Events hin das Geld mit der Kinokarte und dem Versand von Plastik-Monstern zu verdienen. Der Hype-Content im Web dient dazu als Verbindung. Mehr soll er auch gar nicht. Er wäre aber auch als Dienstleistung verkaufbar, gäbe es Micropayment-Systeme, die ähnlich nah zum Seitenkauf sind, wie das das 1-click-System von Amazon bietet. Und das überall im Web.

Angelockte Fans würden sicher nicht zu 100% auf den BUY CONTENT Button klicken, aber je nach Verstärkung bestimmter Parameter könnte hier auch ohne den Film ein hübsche Summe zusammen kommen. Allerdings wäre es schon mehr als ausreichend, hier "nur" eine NULL-Finanzierung zu ermöglichen. Der eigentliche Cash-Flow wäre im projizierten Produkt zu erwarten. So wie www.depechemode.com zwar die Songs auf der Website anspielt, auch diverse Tracks auf Napster zu finden sind, der Kauf der CD für Fans aber sicher Pflicht ist.

Es scheint so, dass Online-Content dann im Kauf (auf der Basis einer konsistenten Content-Shopping-Lösung) eine Chance hat, wenn folgende Parameter stimmen:

… Geben & Nehmen stimmen, weil ein signifikanter Mehrwert entsteht
… Angebot & Nachfrage decken sich bei leichter Unterversorgung und first mover advantage der Kunden
… Transparenz der zu erwartenden Leistung
… Klare Projektion auf ein wertigeres Produkt in einem anderen Kanal
… Positives Feedback, das in das wertigere Produkt einfließt und Online-Vorteile verspricht
… Exklusivität (der angebotene Content ist nur einmal auf einer Website im Original zu haben und stellt keine Syndicationleistung oder ein "Metoo"-Produkt dar)
… Die soziale Agenda zwingt zur Kenntnis gewisser Angebote
… Emotionalität und Vertrauenskultur rund um ein Produkt projiziert sich auf den gewünschten Konsum des Produkts
… Wert durch Differenz (verspricht dem Kunden eine Differenzierung und damit soziale Aufwertung im Alltag)
… Cross-Selling (Investitionen sind bei Kauf des projizierten Produkts zurückverrechenbar über verbilligten Einkauf innerhalb der Community).

Diese Werte-Liste lässt sich natürlich umdrehen, und sie wirkt irgendwann auch auf das projizierte Produkt. Wer sich lange und sogar unter Einsatz von "kleinen" Geldsummen - die Schmerzgrenze ist vielleicht bei den erwähnten 20 Pfennigen zu vermuten - mit einem solchen Produkt beschäftigt hat, der will es dann auch schließlich erwerben.

Das sind keine Hexereien. Allerdings verlangen sie im Design von Angeboten eine Marktmacht, die in der Durchdringung des Marktes und Bereitstellung der Produkte erhebliche Investments verlangt. Die kritische Masse solcher Content-Ware werden nur wenige Anbieter weltweit stemmen können. Oder sie bedienen einen Nischenmarkt, der nur für sehr spezialisierte Leser Sinn und damit Kauflust generiert. Letztendlich bedeutet also eine solche Verwertungsstrategie die bereits durch den Internet-Crash bekannte Zwangsläufigkeit:

Die Reichen werden reicher, die Armen werden ärmer. Auch im Netz. Kein Wunder, das Internet ist in der Welt angekommen. Warum sollte es stärker sein als das es umgebende Meta-System einer globalen Marktwirtschaft?