Der Dschihad in Italien

Die große Moschee in Rom. Foto: LPLT / Wikimedia Commons. Lizenz: CC BY-SA 3.0

Von Cyber Heroes zu Selbstmordattentätern

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In Italien hat der Dschihad viele Namen und Gesichter, bietet aber nur wenige Gewissheiten.

Das Wort "Dschihad" hat 17 verschiedene Übersetzungen, doch vor allem bedeutet es "Anstrengung". Im Westen wird der Begriff meist mit dem Ausdruck "Heiliger Krieg" übersetzt, was einige muslimische Koranausleger als falsch ansehen. Ob der Dschihad tatsächlich eine wichtige 6. Säule des Islams darstellt, sei dahingestellt.

Am frühen Morgen des 9.3.16 wurde im molisanischen Campobasso ein 22-jähriger Imam und Asylbewerber aus Somalien festgenommen. Im Flüchtlingsheim "Happy Family" hatte er fanatisch zum Terrorismus angestiftet und suchte unter den Bewohnern der Struktur nach Konvertiten für die Sache des Dschihads. "Allah hat euch befohlen seine Feinde zu töten und in seinem Namen den Dschihad zu führen, Religion und Scharia zu verbreiten und die Sünder zu strafen.", tönten seine Hasstiraden.

Laut den Agenten der Digos (auf Terror- und Extremismusbekämpfung spezialisierter Organisationszweig der italienischen Staatspolizei) sei er eine Person von "hohem Niveau, intelligent und gebildet." Ein echter Leader, also. So sehr, dass er sogar in der Lage gewesen war, den vorhergehenden Imam seines Amtes zu entheben und seine Funktionen zu übernehmen. Seit über zwei Monaten stand er bereits unter Beobachtung, da er erwiesenermaβen ein Attentat auf den Hauptbahnhof Termini in Rom plante. Das beschlagnahmte Material soll nun den Untersuchungsbehörden helfen, eventuelle Komplizen zu identifizieren.

Die Opposition reagierte mit heftiger Kritik gegen Renzis angeblich zügellose Einwanderungspolitik der offenen Tür. Die Annahme, dass die muslimische Einwanderung keine Verbindung zur kriminellen Szene habe, stelle für alle Italiener eine groβe Gefahr dar. Innenminister Angelino Alfano konterte mit der klaren Stellungnahme, dass es leider kein Null-Risiko gäbe, und dass die Festnahme in Campobasso hingegen deutlich gezeigt habe, wie gut die systematische Terrorismusprävention funktioniert. In Italien sei nämlich bereits viel zur Vorbeugung gegen islamistische Gewalt unternommen worden.

Foreign Fighters

Heute leben etwa 1,5 Millionen Moslems in Italien, die in über 1000 Kultstätten ihren Glauben ausleben. Wie die vom Ministerium im März veröffentlichten Daten zu den Foreign Fighters belegen, konzentriert sich der Geheimdienst auf eine Liste von hundert Namen bekannter Personen - darunter ungefähr zehn Frauen.

Es handelt sich meist um Nordafrikaner der zweiten Generation aus der Lombardei, Emilia Romagna, Ligurien, Venetien und dem Latium, die bereits gut in der italienischen Gesellschaft integriert sind. In den Social Media und in persönlichen Blogs sprechen sie sich offen für den heiligen Krieg gegen den Westen aus und setzen sich somit dem wachsamen Augen der Extremismusprominenz von IS und al-Qaida aus, die dann die "Verdienstvollsten" engagieren und Teil des Kalifats werden lassen.

Es handelt sich um einsame Wölfe, Do-It- Yourself-Fundamentalisten, von denen einige bereits die Kriegsgebiete bereist haben, wo sie, vor ihrer Rückkehr nach Italien, Bekanntschaften knüpfen oder festigen konnten. Jeder Einzelfall ist in den Händen der Untersuchungsbehörden ein weiteres Puzzlestück auf der Suche nach Verdächtigen und potenziellen Terroristen.

Diese Einzelgänger hängen ständig in der Schwebe zwischen dem geschriebenen Wort und der Aktion, wobei sie im Internet keine wirklich kompakte Gemeinschaft bilden. Vielmehr scheinen die extremen Überzeugungen des Salafismus die einzig wirkliche Verbindung zu sein. Meist haben wir es mit Jugendlichen zu tun, die, in der Regel, keinen spezifischen Hintergrund aufweisen, jedoch empfänglich für den Einfluss charismatischer Figuren sind, da sie oft unter Identitätskrisen, Marginalisierung oder einer paranoiden Deformation der sozialen Regeln leiden.

Von den Drahtziehern werden sie dazu aufgefordert, einen von Geheimhaltung und Vorsicht geprägten Benimmkodex einzuhalten und irgendwann die "Heimat aller Muslime" zu erreichen. "Foreign Fighters" nennt man die ausländischen Rekruten, die aus mehr als 100 Ländern zu Kämpfern oder Aktivisten werden.

Etwa 30.000 angehende Mudschaheddins sind angeblich nach Syrien und dem Irak gegangen, wobei fast 60% von ihnen aus dem Nahen Osten (v.a. aus Saudi-Arabien und Jordanien) und Nordafrika (hauptsächlich aus Tunesien und Marokko)kämen. Europa habe mehr als 5.000 Kämpfer geliefert. Signifikant sei die Komponente aus dem westlichen Balkan, mit mehr als 900 Freiwilligen aus dem Kosovo, Bosnien und Herzegowina, FYROM und Albanien. Die Talent-Scouts des Terrors suchen allerdings nicht nur Soldaten, sondern auch Intellektuelle und Akademiker mit extremistischen Tendenzen. Es bleiben heikle Situationen wie der Viale Jenner in Mailand oder Ostia an der römischen Küste, mit einer starken Präsenz von Ӓgyptern und Moslems, Veteranen des Arabischen Frühlings, die sich nicht zum Dschihad bekennen, die aber in den beiden Städten die extremste Fraktion des Islams darstellen.

Verschiedene Szenarien

Einige Salafisten betreiben "Street Dawah" und predigen auf der Straße. Andere versuchen das muslimische Credo in lokalen Fernsehsendern zu verbreiten. Einer der vielen ist der Prediger Usama el-Santawy, der den Dschihad offiziell zwar ablehnt, aber durchaus den Kontakt zu italienischen Dschihadisten pflegt.

Vor einigen Jahren hat es den Fall Jarmoune gegeben, auch "Mimmo, der Schüchterne" genannt; ein 22-jähriger Marokkaner, der im Valcamonica aufgewachsen ist und gesellschaftlich perfekt integriert war. Von hier aus hatte er einen Angriff auf die Synagoge in Mailand, in der zentralen Via Guastalla, geplant. Auch erwägte er die Möglichkeit ein "Shahid" zu werden, ein Märtyrer. Er hatte Zufahrtsstraßen, Sicherheitssysteme und Polizeipräsidien observiert, sowie Software zur Erstellung von Bomben und Sprengladungen heruntergeladen.

Zur Zeit ermittelt die Staatsanwaltschaft von Genua gegen sieben Verdächtige wegen krimineller Vereinigung zu Terrorzwecken. Sie hat auβerdem die Verdunkelung von 4 Websites veranlaβt, sowie die Löschung einiger Posts auf den Facebook-Seiten von Profilen extrem radikaler Ausländer. In diesen Posts wurden die Paris-Angriffe, das Kalifat und diverse Kriegsszenen positiv bewertet.

Ein weiteres Beispiel ist Anas el-Abboubi, ein 23-jähriger Rapper aus Brescia, der zuerst verurteilt und dann freigesprochen wurde. Jetzt kämpft er in Syrien für den IS. Auch er wurde in Gewahrsam gebracht, als er nach verdächtigen Internet-Aktivitäten begann, mehrere wichtige Standorte in Brescia zu studieren. Ӓhnliche Profile sind die der neapolitanischen Maria Giulia Sergio und des Genuesen Giuliano Delnevo, der im Jahr 2013 in Syrien beim Kampf ums Leben gekommen ist.

Geschichten junger Anhänger des Dschihads - die im Netz gefangen sind und im Zwiespalt zwischen einem "Like" für ein Musikvideo und der Verherrlichung des heiligen Krieges gegen die westliche Dekadenz stehen. Im Laufe der Zeit wird die Gefahr, dass jemand die virtuelle Grenze überquert, immer gröβer. Ein weiteres, nicht zu unterschätzendes, Risiko ist das Wiederaufleben schlafender Dschihadisten der ersten Stunde. Sie waren bereits Teil der Netzwerke, die den Dschihad in den 90er Jahren und am Anfang des Jahrtausends logistisch und finanziell unterstützt hatten. Damals entkamen sie zwar den Untersuchungsbehörden oder wurden wieder aus der Haft entlassen - es ist jedoch nicht auszuschlieβen, dass diese Gentlemen sich eines Tages wieder auf den heiligen Krieg besinnen und aktiv werden.

"Wenn ich jemanden des Terrorismus verdächtige, dann zeige ich ihn sofort an." Das sind die Worte Abdel Muhammed Qaders, Arzt, Familienvater und seit vielen Jahrzehnten Imam in Perugia, wo die älteste muslimische Gemeinschaft Italiens beheimatet ist. So wie er denkt die Mehrzahl der in Italien ansässigen, gemäβigten Moslems.

Qader: "Wer das Böse will, muss sofort gebremst werden. Wir dürfen den Unterdrückern keine Chance lassen. Das ist schon lange kein Scherz mehr. Diese Mörder schaden nicht nur sich selbst und der Gemeinschaft, sondern v.a. dem Ruf aller Moslems."