Der Fall ABB

Abzocken ist legal

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Dr.-Ing. Artur P. Schmidt ist Publizist und Herausgeber des Wissensnavigators http://www.wissensnavigator.com sowie des Finanz-Portals http://www.unternehmercockpit.com

Die exorbitanten Abfindungen von insgesamt 233 Millionen Franken der früheren ABB-Topmanager Percy Barnevik und Göran Lindahl sollen laut der Zürcher Staatsanwaltschaft nicht illegal gewesen sein. Die mit dem Verfahren scheinbar völlig überforderte Zürcher Justiz hat ihr Verfahren um die umstrittenen Abfindungsexzesse mit sofortiger Wirkung eingestellt.

Angeblich sollen sich keine Indizien für eine kreative Buchhaltung zur Optimierung von Vergütungen, wie die auf Wirtschaftsdelikte spezialisierte Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich am Mittwoch mitteilte, gefunden haben. Auch der ABB-Verwaltungsrat soll keine Detailkenntnis über die Höhe der Gesamtvergütungen gehabt haben. Gemäß der Zürcher Staatsanwaltschaft sei die Vergütungspraxis nie in Frage gestellt worden. Dies sei insbesondere deshalb erfolgt, da der Schwede Barnevik damals eine international anerkannte Wertschätzung genossen habe. Auch an Lindahl, der angeblich von nichts wusste, sei kein Vorwurf zu richten.

Überdies seien jetzt die Vergehen auch noch verjährt, wie der zuständige Staatsanwaltschaft Twelin schweizerischen Medien mitteilte. Da nicht unberechtigt in die Kasse gegriffen wurde und auch keine geschützten Vermögenswerte angetastet wurden, sind für die Zürcher Staatanwaltschaft Barnevik und Lindahl unschuldig.

Der eigentliche Skandal

Dass die Staatsanwaltschaft es nicht für notwendig findet, am Fall ABB ein Exempel zu statuieren und zukünftiger Wirtschaftskriminalität vorzubeuge, ist der eigentliche Skandal des Falles ABB. Im Februar 2002 hatte ABB bekannt gegeben, dass Barnevik (Konzernchef bis 1996 und VR-Präsident bis Ende 2001) und Lindahl (Konzernchef bis Ende 2000) zusammen 233 Millionen Schweizer Franken an Pensionskassenzahlungen und Abfindungen erhalten hätten, wobei Barnevik 148 Millionen Abfindung und Lindahl Pension und Abfindungen in Höhe von 85 Millionen SFr. zugestanden wurden.

Im März 2002 konnte sich ABB mit den beiden Ex-Führungskräften auf eine teilweise Rückerstattung, beziehungsweise auf einen Teilverzicht einigen. So musste Barnevik auf 90 Millionen SFr. und Lindahl auf Pensionsleistungen und Bezüge in Höhe von 47 Millionen SFr verzichten. Doch wer verdient schon 58 Millionen SFr. bzw. 38 Millionen SFr Abfindung für eine Tätigkeit, die sowieso hochbezahlt ist?

Missmanagement darf nicht straffrei bleiben

Dass unter der Führung von Barnevik und Lindahl das Unternehmen ABB beinahe in den Konkurs geführt wurde, ist vielleicht das schlimmste Vergehen, welches ungesühnt weiter im Raum steht. Auf was es jetzt ankommt, sind deshalb keine halbherzigen Staatsanwälte, sondern Gesetze, die zukünftigen Missbrauch von Macht im Management verhindern. Es gilt die Haftungsübernahme des CEO für die Richtigkeit der Bilanzzahlen einzuführen und ein Verbot für Abfindungen in den Verträgen von Führungskräften festzulegen.

Wer Millionengehälter einfährt, muss nach seinem Ausscheiden nicht auch noch hohe Abfindungen kassieren. Wenn Topmanager nur noch durch Geld zu motivieren sind, dann sollten wir auf diese Spezies gänzlich verzichten. Geld darf nicht der Selbstzweck von Top-Managern sein, da dies zum Missmanagement und wie im Fall von ABB zur Vernichtung von Milliardensummen führt. Wenn das Prinzip gilt, dass eine Führungskraft nichts unternehmen sollte, was dem Unternehmen schadet, dann sollte es eigentlich bei einem Ausscheiden von Führungskräften aus dem Unternehmen gar keine Bonusse geben, da diese die Eigenkapitalbasis des Unternehmens reduzieren.

Es kann und darf heute nicht mehr toleriert werden, dass die Geschicke von Unternehmen von Top-Managern geleitet werden, deren Handlungen sich jeglicher Transparenz entziehen. Wenn es den Unternehmen selbst nicht gelingt, Transparenz zu schaffen, so gilt es Kontrollorgane von außen zu schaffen, die verantwortungslose Strategien frühzeitig unterbinden und, falls das zeitlich nicht mehr gelingt, zumindest die wirtschaftliche Kriminalität bestrafen, wie dies in den USA mittlerweile geschieht.

Selbstbedienungsmentalität unterbinden

Es kann nicht sein, dass Missetäter an der Unternehmensspitze nicht bestraft werden, wenn diese grob fahrlässig Unternehmen in den Ruin führen. Wer die Verantwortung gegenüber seinen Mitarbeitern lediglich in hohen Gehaltssummen bemisst, betreibt kein Unternehmertum, sondern Ausbeutung der Mitarbeiter. Die modernen Sklavenhalter Ackermann und Schrempp haben bewiesen, dass Siegeszeichen und Arroganz scheinbar zu den legitimen Machtmitteln derjenigen gehören, die sich bedenkenlos ihren Renditezielen unterordnen.

Es war kein Zufall, dass nach dem Zusammenbruch der New Economy auch bei vielen Großkonzernen die wahren Zustände ans Licht kamen, die in den guten Jahren systematisch verschleiert wurden. Der kollektive Wahn des Millionenscheffelns, die Gier nach Geld und die Selbstbedienung bei Abfindungen hat den Grundstein dafür gelegt, dass es heute in Großkonzernen nicht mehr um die Schaffung von Arbeitsplätzen geht, sondern um die Automatisierung der Gewinnsteigerungen durch Aktienoptionen.

Die Verwilderung der Sitten scheint heute nur mehr durch eine Regulierung des Managements bremsbar zu sein. Doch eine neue und bessere Corporate Governance kann auch dadurch erreicht werden, dass wir wieder Unternehmer an den Hochschulen ausbilden, statt korrupter Manager, deren Handlungen dem Diktat des Shareholder oder Stakeholder Value-Wahnsinns unterworfen sind. Widerspruch in Führungspositionen sollte nicht als unloyal ausgelegt werden, sondern als die notwendige Bedingung, falsche Entscheidungen zu vermeiden.

Vorbild USA

Die Verurteilung des Firmenchefs von Worldcom Ebbers zu 25 Jahre Haft in den USA hat das richtige Zeichen gesetzt, um Machtmissbrauch zukünftig zu verhindern. Strafen in ähnlicher Höhe dürfte auch Ken Lay, der Firmenchef von Enron, erwarten.

In Amerika wird die Liste bereits verurteilter Topmanager immer größer. So erhielt John Rigas, der Gründer des fünftgrößten amerikanischen Kabelfernseh-Betreibers Adelphia Communications, wegen Betrugs und anderer Vergehen eine Gefängnisstrafe von 15 Jahren. L. Dennis Kozlowski, der ehemalige Chef des Mischkonzerns Tyco International, wurde wegen Diebstahls, Verschwörung und Wertpapierbetrugs ebenso für schuldig befunden wie der frühere Tyco-Finanzchef Mark Swartz. Kozlowski drohen bis zu 30 Jahre Gefängnis. Sam Waksal, der ehemalige Chef des Biopharmaunternehmens ImClone, erhielt wegen Insiderhandels mit Aktien seiner Firma sieben Jahre Gefängnis. Die bekannte Haus- und Garten-TV-Show-Moderatorin Martha Stewart wurde wegen Justizbehinderung verurteilt.

Was in den USA möglich ist, nämlich die Verurteilung von Wirtschaftskriminellen, sollte auch in Europa Einzug halten. Eine Gefängnisstrafe für Barnevik und Lindahl wegen des Beinahekonkurses, den diese bei ABB zu verantworten haben, sowie eine Rückzahlung sämtlicher Abfindungen scheint deshalb mehr als angemessen.