Der Fall Hoeneß: Die große Illusion

Von Bratwürsten, sozialem Aufstieg, Geld und Seifenblasen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

"Ich weiche keinen Millimeter zurück!", soll Uli Hoeneß gesagt haben, damals, am 30. September 2010 bei einer Veranstaltung der Industrie- und Handelskammer Nürnberg. Der FC Bayern-Präsident und Wurstfabrikant sprach vor den anderen Unternehmern über Wirtschaftsethik, über "Fair play" und über den "ehrbaren Kaufmann". Damals galt Hoeneß unisono als Lichtgestalt, bescheiden, erfolgreich und integer, gar als "der Vater Teresa vom Tegernsee, der Nelson Mandela von der Säbener Straße", wie Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge in seiner Festrede zum 60. Hoeneß-Geburtstag sagte. Und damals lagen die Millionen schon - unversteuert - auf den Schweizer Bankkonten.

Im kommenden Jahr soll auf Schloss Elmau in den oberbayerischen Bergen im Juni der G8-, vielleicht auch der G7-Gipfel stattfinden. Elmau ist ein Luxushotel mit fünf Sternen und liegt idyllisch am Fuße des Wettersteingebirges. Wer es sich leisten kann, erlebt hier eine Welt des höchsten Geschmacks, was das Ambiente, die Kultur oder die Gastronomie anbelangt. Ein paar Weißwürste im dortigen Restaurant kosten zwölf Euro.

Im Aldi am Münchner Hasenbergl kosten 14 Stück "Nürnberger Bratwürste" 2,19 Euro. Am Hasenbergl sorgt die "Tafel" mit ihren ausgemusterten und gespendeten Lebensmittel für das gastronomische Niveau vieler Bedürftiger. Hergestellt werden die Bratwürste in der Nürnberger "HoWe-Wurstwaren KG", bis zu vier Millionen Stück werden in dem Unternehmen am Nürnberger Hafen von den 350 Mitarbeitern pro Tag produziert. Uli Hoeneß ist Gesellschafter der Fabrik, die er 1985 mit einem Kollegen gegründet hat.

Am gleichen Tag, als vor knapp dreieinhalb Jahren Hoeneß seine Vortrag über Wirtschaftsethik an der IHK hielt, legte sich die Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) mit dem "Bratwurst-Millionär", so damals eine Boulevard-Zeitung, an: In der Wurstfabrik würde trotz Nässe und Kälte bei der Wurstabfüllung nur ein "Hungerlohn" von 1.380 Euro Brutto gezahlt und es gebe keinen Betriebsrat. Außerdem setzte "HoWe" verstärkt auf Leiharbeiter. "Nürnberger Rostbratwürste sind besser geschützt als die Beschäftigten in den Herstellungsbetrieben", klagte damals NGG-Geschäftsführerin Regina Schleser.

Die Firma wies die Vorwürfe zurück, zwar gebe er keinen Betriebsrat, aber dafür ein "Beratergremium" aus sechs Mitarbeitern. Über Zahlen mache man keine Angaben, aber mit einem Lohn dieser Größenordnung für "Ungelernte mit Sprachschwierigkeiten" habe man überhaupt kein Problem.

Nun ist es so, dass Uli Hoeneß nicht aus dem ererbten Geldadel stammt, wo man locker zwölf Euro für zwei Weißwürste ausgeben kann, sondern aus einer bodenständigen Metzgerei in Ulm. Vor einem Jahr zimmerte die Illustrierte Stern im April 2013 von Hoeneß das Bild eines bescheidenen Mannes, der trotz seines wirtschaftlichen Erfolges mit der Münchner Schickeria wenig am Hut hat: "Uli und Susanne Hoeneß sind kein Glamour-Paar, sondern lieben es bescheiden"; "Bauernhaus statt Protz-Villa: Auch Hoeneß' Eigenheim in Bad Wiessee am Tegernsee sieht im Vergleich zu den Häusern der Münchner Schickeria eher bescheiden aus"; "Stadionwurst statt Kaviar: Multimillionär Hoeneß liebt es volksnah und bodenständig".

In München wächst derzeit ein Spielcasino nach dem anderen aus dem Boden, vor allem rund um den Hauptbahnhof. Die Einsätze dort sind freilich Peanuts zu den Summen, die bei Währungsspekulationen bewegt werden. Bei sogenannten Termingeschäften zockt man, indem man auf den Umtauschkurs zweier Währungen in der Zukunft setzt. Also etwa wie in zwei Monaten der japanische Yen zum amerikanischen Dollar steht. Dabei benötigt man an Bargeld nur kleine Summen, um an Millionen herumzuhebeln. Mit 20 bis 30 Millionen Euro als Sicherheit kann man 500 Millionen Euro bewegen, so die Steuerfahnderin in ihrer Aussage beim Hoeneß-Prozess.

Auf mindestens 27 Millionen Euro beläuft sich die Steuerschuld von Uli Hoeneß. Der Arbeiter in der Wurstfabrik bräuchte rund 100 Jahre, um mit seinem Verdienst eine Million Euro anzusparen. Für 27 Millionen hätte er mit dem Sparen im Jahr 700 vor unserer Zeitrechnung beginnen müssen. Ein kleiner Nebenaspekt jenes Irrsinns, an dem jetzt der Traum vom kleinen Mann, der sich ganz nach oben gearbeitet hat und dabei anständig geblieben ist, gerade wie eine Seifenblase zerplatzt.