Der Flug ins Ungewisse

Mit fast 50% Wahrscheinlichkeit kann es auf den nächsten Space-Shuttle-Missionen wieder zu einer Katastrophe kommen

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Das Vertrauen in die Space-Shuttle-Technik ist weg nach mehreren Totalschäden. Etwas Besseres gibt es bislang jedoch auch nicht. Also bleibt die bemannte Raumfahrt im doppelten Sinn ein „Himmelfahrtskommando“.

Raumfahrt ist riskant und wird es auf absehbare Zeit auch bleiben. Unglücke sind meist tödlich, eine erfolgreiche Rettung wie bei Apollo 13 bislang die absolute Ausnahme. Die Astronauten von Apollo 1 verbrannten bereits vor dem Start am Boden in ihrer Kabine und auch bei den Russen gab es genug Unglücke, um besonders berühmt gewordene Raumfahrer möglichst von weiteren riskanten Manövern – ob nun weitere Raumeinsätze oder terrestische Flüge – fernzuhalten.

Bild: NASA

Bei den Space-Shuttle-Unglücken empörte die Öffentlichkeit jedoch, dass diese aufgrund von Schlamperei passierten und vermeidbar gewesen wären: Die Challenger explodierte aufgrund eines billig eingekauften Gummi-O-Rings und bei der Columbia flogen beim Start lose Teile vom Tank, ohne dass die dadurch angerichteten Schäden weiter beachtet wurden. Die Landung am 1. Februar 2003 fiel dann aus, weil das Shuttle sich bereits im Anflug selbst zerstörte.

Ansich ist dies das Schicksal jeder zur Routine werdenden Technik: Irgendwann ist der aufregende Raumflug nur noch eine etwas teurere Busfahrt oder das Atomkraftwerk ein etwas größerer Durchlauferhitzer. Doch auch Busse verunglücken, wenn sie nicht ordentlich gewartet werden und so ist der große Knall nur eine Frage der Zeit. Anschließend sind dann alle perplex, wie so etwas passieren konnte.

Ende Mai geht es wieder los in Cape Canaveral

In Cape Canaveral herrscht nun endlich wieder hektische Aktivität an Startrampe 39B: Irgendwann zwischen dem 22. Mai und dem 3. Juni soll mit Discovery zum ersten Mal seit zwei Jahren wieder ein Space-Shuttle starten, das dabei auch neu eingeführte Sicherheitsfunktionen testen soll. Wissenschaftler warten schon sehnlichst darauf, da die US-Weltraumtaxis dringend benötigt werden, um die Internationale Raumstation ISS zu versorgen. Und auch US-Präsident Bush will die groß angekündigten neuen Raumfahrtprogramme nun endlich umsetzen.

Das Columbia Accident Investigation Board (CAIB), eine von der NASA eingerichtete unabhängige Untersuchungsgruppe, hat dabei angeregt, dass nun zusätzliche Kameras die Hitzeschildkacheln an den Shuttles nach dem Start überprüfen – ebenso wie der Greifarm so verlängert wurde, dass er mit der daran befestigten Kamera alle Seiten des Shuttles einsehen kann. Fehlen Kacheln, so sollen die Astronauten im All aussteigen und diese ergänzen; sind die Schäden zu massiv für eine Reparatur mit Bordmitteln, so soll es zukünftig möglich sein, statt einer Landung in einen Orbit zur ISS einzuschwenken und von dort zur Erde zurückzukehren – mit einem anderen Space-Shuttle, versteht sich, während das defekte Shuttle im All repariert wird. Zusätzlich werden 60 Beschleunigungs- und diverse Temperaturfühler an den Flügeln des Shuttles montiert, die ungewöhnliche Vorgänge anzeigen sollen.

All dies ist jedoch Zukunftsmusik – der kommende Start läuft noch ohne die Option, unterwegs auszusteigen und den heruntergefallenen Auspuff aufzusammeln, Verzeihung, neue Kacheln anzukleben. Ebenso ist die ISS noch nicht auf Shuttle-Reparaturen eingestellt. Bislang sind nur acht von 15 von CAIB geforderten Änderungen erledigt.

Knapp 10 Missionen pro Shuttle – wenn keins mehr verloren geht

Doch die nach dem Verlust von Challenger und Columbia verbliebenen drei Space-Shuttles sollen noch 28 Missionen zur ISS zu deren Fertigstellung in 2010 durchführen und so auch dem neuen Raumfahrtprogramm von George W. Bush auf die Sprünge helfen: Wenn die ISS fertig ist, soll diese beispielsweise an die ESA verkauft werden und Bush – wenn auch nicht persönlich – mit dem Erlös zum Mond fliegen (Amerika hat eine Mission). Und so ist Jean Gebman, Flugingenieur und Experte für Flugzeugalterung bei Rand in Kalifornien, sehr besorgt. In einem Interview mit dem New Scientist sagt er „Ich mache mir nicht um den nächsten Flug eines der Shuttles Sorgen, sondern um den zehnten“.

So, wie niemand die Probleme mit der explodierenden Feststoffrakete bei der Challenger voraussah oder den herumfliegenden Dichtschaum bei der Columbia, so werden sich mit der Alterung zukünftig weitere unerwartete und tödliche Gefahren entwickeln, warnt Gebman, und CAIB untersuche nur die vergangenen Unglücksursachen, ohne auf zukünftige Gefahren durch Materialermüdung zu achten, doch ein Shuttle sei kein Schulbus.

Douglas Osheroff, CAIB-Mitglied und Physiker an der Stanford Universität, errechnete dabei eine Gefahr zwischen 1 und 2%, dass ein zukünftiger Shuttle-Flug in einem weiteren Totalschaden endet. Hochgerechnet auf die auch ohne die abgesetzte Hubble-Reparatur (Wenn eine "Zeitmaschine" das Zeitliche segnen muss) noch geplanten 28 Flüge ergibt das eine Wahrscheinlichkeit von 24 bis 48% für eine weitere Katastrophe. Führt der politische Druck durch Bushs Mondpläne zu reduzierter Sicherheit, so kann es sogar noch schlimmer werden, so Osheroff. Insgesamt hofft der New Scientist jedoch, dass die NASA erwachsen geworden ist und bei der Sicherheit keine faulen Kompromisse mit billigen Dichtringen mehr eingeht.