Der Flughafen Berlin Brandenburg International als Exempel

Wissensmanagement und Ökologie in den Mühlen der Bürokratie

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Im Zug erzählt der Mann mit dem steifen Hut dem kleinen Emil etwas Seltsames über Berlin. Dort seien die Häuser so hoch, dass man sie an den Wolken festbinden müsse. Als Erich Kästner "Emil und die Detektive" schrieb, wusste er noch nicht, dass diese Bauweise schwere Probleme für den modernen Flugverkehr mit sich bringen würde. Heutzutage hat Berlin diese Probleme auch ohne gigantische Wolkenkratzer.

Schon vor dem Umzug des Bundestags platzten die drei kleinen Berliner Flughäfen aus allen Nähten. Und nicht erst seit Berlin Regierungssitz ist, besteht Bedarf nach einer internationalen Lösung. Seit Frühjahr 2000 gibt es ein Planfeststellungsverfahren für den Flughafen Berlin Brandenburg International (BBI) in Berlin-Schönefeld. Dort flogen 1999 knapp 2 Millionen Passagiere ab. Da verwundert es schon ein wenig, wenn man die Antragsunterlagen liest: "Der Ausbau muss den Flughafen in die Lage versetzen, ein Passagieraufkommen von 30 Millionen Passagieren/Jahr und ein Aufkommen von 360.000 Bewegungen/Jahr abzuwickeln." Die Flughäfen Tegel und Tempelhof werden in dieser Planung einfach geschlossen und durch den BBI ersetzt. Aus drei mach eins.

Bei einem flüchtigen Blick auf die Karte macht das auch Sinn. Denn Schönefeld liegt zwar noch im Stadtgebiet Berlins, aber nicht so zentral wie die anderen beiden Airports. Man sollte jedoch bedenken, dass es in den letzten fünfzehn Jahren kein Land gegeben hat, das einen internationalen Flughafen derart nah an eine Großstadt gebaut hat. München ist ein Vorbild für diese löbliche Stadtflucht der Flugzeuge.

Im Mikrokosmos der Umlandgemeinden zählt jede einzelne Flugbewegung als Lärm. Dauerlärm - und davon kann man bei jährlich 360.000 Flugbewegungen schon sprechen - schadet Mensch und Tier. Lernstörungen bei Kindern, Schlafstörungen und Kreislauferkrankungen sind beschriebene Folgeerkrankungen auch bei Fluglärm. Das ist einer der Gründe, warum das brandenburgische Umweltministerium im Raumordnungsverfahren schon 1994 vom Standort Schönefeld abriet. Auch bei der Standortsuche 1992 war Schönefeld nur eine kleine Erwähnung wert neben den vier eigentlichen Vorschlägen der Vorstudie. Es stellt sich die Frage, warum das aufwendigere Planfeststellungsverfahren beim brandenburgischen Verkehrsministerium überhaupt beantragt wurde. Doch da gibt es nur Spekulationen.

In den Antragsgutachten muss der zukünftige Flughafenbetreiber die Umweltverträglichkeit seines Vorhabens nachweisen. Das dazugehörige UVP-Gesetz ist seit 1990 in Kraft und regelt die Verfahren der Umweltverträglichkeitsprüfungen. Die Fachgutachten beschreiben und bewerten die Auswirkungen auf Schutzgüter wie Menschen, Tiere, Pflanzen, Landschaft, Klima usw . In Sachen Schönefeld werden in vierzig Aktenordnern Wirkbeziehungen zwischen Bauvorhaben und der Umwelt dargestellt. Die kritischen Stimmen gegen den Bau haben es schwer. Die schiere Datenflut erdrückt die Argumentation mangels Übersicht. Doch auch die Behörden verlieren bei solchen Großprojekten zusehends den Überblick.

Ständig neue Verordnungen und Neufassungen müssen verstanden und umgesetzt werden. Im Verfahren sollen sämtliche relevanten Wertmaßstäbe des Deutschen Umweltrechts beachtet werden. Da Gutachten aus vielen unterschiedlichen Fachrichtungen kommen, sind die staatlichen Landschaftsplaner damit beschäftigt, sich gleichzeitig an vielen Fronten Expertise zu verschaffen. Denn schneller als die Gesetze wandeln sich die wissenschaftlichen Bewertungen. Lärm wird umweltmedizinisch seit einigen Jahren ganz anders bewertet als noch Ende der Achtziger.

Einige Behörden folgen deshalb der Empfehlung des Bundesverkehrsministeriums und setzen Software ein, um die Verfahren rechtssicher zu begleiten. Sie kann in der komplexen Materie flexibel alle nötigen Bearbeitungsschritte abbilden. Dadurch hat der Bearbeiter immer einen Gesamtüberblick und kann fehlende Details oder Vorgänge schnell erkennen. Aber auch zur Überprüfung wird das Instrument eingesetzt. "Sie müssen sich das wie beim Riesenslalom vorstellen", so Professor Bechmann vom Zukunfts-Zentrum Barsinghausen," jedes Verfahren ist anders, aber es gibt bestimmte Ziele, die müssen ähnlich einem Slalomtor durchfahren werden. Wenn auch sonst die Begutachtung weitgehend durch projektspezifische Kriterien bestimmt ist, gibt es doch immer Indizien in der gesamten Ausführung: Wenn Tore ausgelassen oder umfahren werden, dann kann man das mit dem computergestützten Assistentensystem nachvollziehen. Einige Bundesländer nutzen das Werkzeug bereits, um den Prüfenden Verfahrenssicherheit zu geben. Bei der Komplexität der Sache ist Verlässlichkeit in Form handlungsanleitender Anweisungen mit Musterdokumenten und zugehörigen Gesetzestexten sowie Verordnungen unbedingt nötig. So können sich die Beteiligten auf die Inhalte konzentrieren. Es geht nicht darum, jemanden ans Messer zu liefern, sondern fachliche Standards in der Praxis durchzusetzen - in der Wirtschaft heißt das Qualitätsmanagement".

So verwundert es kaum, dass Bechmann die Hilfe seines Computerprogramms in Anspruch nimmt, wenn er vom Gericht als Gutachter bestellt wird. Als renommierter Experte in Sachen Umweltstudien erlebt er die Gutachtenberge hautnah: "Hätten wir nicht unsere Prüfschemata sämtlich in digitaler Form vorliegen, könnten wir kaum in einem vertretbaren Zeitrahmen fundierte fachliche Bewertungen vornehmen. Wenn man sich ganz ohne fachliche Navigation in solche Verfahren begibt, dann kann man nur das abarbeiten, was die Gutachten hergeben. Was dann jedoch fehlt, wird auch einem Fachmann zunächst kaum auffallen."

Bechmanns handlungsanleitendes Wissensmanagement funktioniert anders als übliche tayloristische Rollenmodelle. Der Prüfer oder Sachbearbeiter erhält ein Verfahrensmuster, das bestimme Verfahrenswege vorgibt. An den Stellen, an denen der Bearbeiter den Weg selbst entscheiden muss, bietet ihm das System die dafür nötigen Informationen und - wenn möglich - noch einen Auszug aus Fachdiskussionen zum Thema an. Die Korrespondenz mit anderen Behörden erledigt sich direkt durch vorformulierte Muster bzw. Templates. Es steckt also nicht die neueste Softwaretechnologie dahinter, sondern das Wissen von Diplomanden, Doktoranden und die Erfahrung eines routinierten Gutachters: Fachdatenbanken mit Bearbeitungs- und Prüfkriterien sowie Rechtshilfen. Neudeutsch heißt das Content und meint den Gehalt an Information.

Der ist in diesem Fall besonders sensibel, da man Qualitätsmanagement in der öffentlichen Verwaltung betreiben kann. Allein die Tatsache, dass Behörden einen Antrag für ein Planfeststellungsverfahren auf seine Vollständigkeit prüfen, dauert schon einige Monate. Und ob dabei Transparenz, Vollständigkeit und Verständlichkeit immer gewährleistet sind, ist fraglich.

Genau das vermisst Professor Bechmann bei der Bewertung der Schönefelder Gutachten. Mit einer Handlungsanleitung hätte man die passenden Prüfprofile und dadurch automatisch eine aktuelle Liste der Prüfkriterien zur Hand. Im Fall Schönefeld werden viele kleine Fehler und Lücken sichtbar, wenn man die Software zur Kontrolle einsetzt. Das reicht von den Gasleitungen unter dem Flughafengelände bis zu fehlenden Beschreibungen der Folgen: die Erschütterungen des umgebenden Siedlungsbereichs und Betrachtung des Lärms, durch Flugzeuge am Boden. Alles das hätte man vorher sehen können - schon in der Vollständigkeitsprüfung - wenn man sich auf explizite Standards einigen würde.

Die neue Art den Computer zu nutzen, verbindet eine assistierende Ratgeberfunktion mit einem hehren Anspruch. Er soll zur Standardisierung der behördlichen Verfahren eingesetzt werden. Selbst wenn das politisch aussichtslos scheint, ist doch der praktische Nutzen schon bei vielen Bauvorhaben erwiesen worden: Fachwissen wird per PC für andere nutzbar. Bisher ist das ein Novum, das auch renommierte Unternehmen so noch nicht umgesetzt haben. Aber auch dort macht man sich auf, ein Qualitätsmanagement für Inhalte aufzubauen.

Die englische Umweltbehörde wird ähnlich wie die Amerikaner das schon seit langem betreiben, Planungen von öffentlichem Interesse ins Internet stellen. Die Sachbearbeitung soll mit einem intelligenten System für Dokumentenablage und Informationsbeschaffung auf den Weg der Standardisierung gebracht werden. Die deutsche Firma SER richtet eine interne und externe Informationsplattform ein, die endlich abteilungsübergreifenden Zugriff und die synchrone Bearbeitung derselben Akte ermöglicht. Das Schlagwort e-government - also der Schritt der Verwaltung in die Informationsgesellschaft - hat vor allem dann Sinn, wenn er den nächsten Schritt gleich mitvollzieht: Die Entwicklung zur Wissensgesellschaft. Das ist der Teil der Bevölkerung, der den Umgang mit der Datenflut beherrscht und virtuos für seine Zwecke nutzt.

Es ist sinnvoll, nicht das soziale Schreckgespenst der Zweiteilung der Gesellschaft in Unwissende und Wissende diskursiv zu umkreisen. Vielmehr ist jetzt die soziale Komponente des Informationssegens zu fordern, damit das Gespenst nicht doch noch Gestalt annimmt. Nicht umsonst wird Wissen mittlerweile als vierter Produktionsfaktor angesehen. Erste Eliteuniversitäten bilden ihre Studenten schon in der Bündelung von wesentlichen Wissensressourcen aus. Erste Theorien über Wissensbilanzen erobern den Buchmarkt. Und ein Universitätsprofessor macht mit Wissensmanagement hoheitliche Aufgaben nachvollziehbar.

Vor vielen Jahren waren die Wahrnehmungsleistungen des Menschen Vorlage für die Entwicklung von selbstlernenden, neuronalen Netzen in der Computerwelt. Heute werden die ehemals belächelten Kinder der Künstlichen Intelligenz als kleine Softwareagenten eingesetzt, um die Flut an Daten automatisch zu kategorisieren. Digital werden Briefe gelesen und an die zuständigen Mitarbeiter verschickt. Die Bürowelt steht mitten in einem Umbruchprozess. Aber nicht nur dort ist es wichtig, die wesentliche Schnittstelle zu fokussieren: Mensch und Maschine. Dabei geht es nicht nur um Ergonomie - sei es nun bei Flugzeugen oder dem Computer.