Der Großmeister im orientalischen Kitschpalast

Talvin SinghŽs Solo-Debut "OK"

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Nach der harschen Kritik, die Sitarfunk Label-Chef und Club-Promoter Dara an Talvin Singhs Solo-Debut-CD übte, möchte man gerne einen sozusagen neutralen Standpunkt einnehmen, um dem Werk Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Genau das wird einem aber erschwert durch die großmeisterliche Geste, die ebendieser an den Tag legt: Talvin Singh auf großformatigen Posters in den Straßen Londons, als wirres Komponistengenie mit Elektroschock-Frisur; Talvin Singh am CD-Innen-Cover als digitaler Buddha zwischen seinen diversen musik-elektronischen Spielzeugen; und last not least die Musik selbst, die sich nicht entscheiden kann, ob sie Pop-Musik sein will oder mehr und so, nicht Fisch nicht Fleisch, unsanft auf den eigenen Hintern fällt.

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Von der ersten Nummer an werden die Hörer von orchestralen Soundwelten umwabbert, die wiederum von gediegenen Beats durchwummert und von schwirrenden Sitars umrahmt werden. Der Meister will uns zeigen, wie es ihm möglich ist, die entfernten Enden seines eklektischen Musikuniversums mit seinen magischen Händen zu verbinden. Diese Geste wird unterstrichen vom Produktionsstil des Albums selbst. Ich weiss nicht was es genau ist, aber irgendetwas läßt mich beständig an L.A. denken, an ein bestimmtes Klischee vom abgehangenen West-Coast Produzenten, der seinen musikalischen Inspirationshöhepunkt überschritten hat und jetzt mit Hollywood-Soundtracks noch ein wenig die Frühpension auffettet.

Dabei sind die Querverweise natürlich weniger Holly- als vielmehr Bollywood, doch allein der technische Produktionsstil verweist schon darauf, daß es sich hier um ein transkulturelles Hybrid-Produkt aus den Zentren der westlichen Welt handelt, das den asiatischen Anteil durch die exotische Brille präsentiert und, ohne viel Rücksicht auf den Kontext zu nehmen (unter anderem wird ein wichtiges religiöses Hindu-Mantra als Sample eingesetzt), willkürlich durcheinandermischt.

Das Ergebnis könnte, wenn es gelungen wäre, tatsächlich ein großes "Werk" in dem Sinne sein, daß es respektlos ethnische Grenzen in der Musik überschreitet und den zeitgenössischen Mix auf ein neues Level transformiert.
Doch genau das gelingt "OK" leider kaum, da es meist viel zu brav in den Bahnen großmeisterlicher Perfektion und Kalkulation bleibt. Exzellent ist allerdings wirklich des Meisters Tabla-Spiel, doch nur in einigen wenigen Stücken ab der zweiten Hälfte des Albums vermischt sich dieses mit dem digitalen Trommel & Bassgetöse wirklich zu jener genickbruchschnellen Break and Tabla Hexenküche, die wir an den Anokha Club Nights so geschätzt haben. Diese Momente sind allerdings zu kurz und zu selten und bald bricht wieder das seichte Gewabere im orientalischen Kitschpalast an, wo der Großmeister seine musikalischen Marotten pflegt.

Schade eigentlich, denn von der Publicity her hätte Talvin Singh die Chance gehabt, sich in einer prominenten Nische zu plazieren, in der ein gewisser musikalischer Anspruch es nicht ausschließt, immer noch Massenmarkt-kompatibel zu sein, wie es etwa Massive Attack mit Mezzanine gezeigt haben. Nun scheint es eher ungewiß zu sein, ob sich Talvin langfristig in ebendieser Nische etablieren wird können.

Talvin Singh, "OK", Island Records