Der "Islamische Staat" setzt auf Angriffe auf Schiiten

Hafiz Saeed Khan, der im Juli getötete "Emir" des "Islamischen Staats" für Afghanistan (Khoristan).

Sektiererische Gewalt in Afghanistan

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Wie jedes Jahr hatten sich zahlreiche afghanische Schiiten, hauptsächlich Angehörige der Minderheit der Hazara, zum islamischen Feiertag Ashura im Kabuler Stadtteil Kart-e Sakhi versammelt, um ihrer jährlichen Prozedur nachzugehen. Zu Ashura, am 10. Tag des islamischen Monats Muharram, gedenken schiitische Muslime der Ermordung Husain ibn Alis, jenem Enkel des Propheten Mohammad, der im Jahr 680 bei der Schlacht von Kerbala fiel.

Das Ritual fand allerdings ein blutiges Ende. Mindestens zwei bewaffnete Männer in Polizeiuniformen stürmten den berühmten Schrein des Stadtteils und schossen wahllos in die Menge. Augenzeugen zufolge schossen die beiden Angreifer auf jeden, den sie sahen. Laut dem afghanischen Innenministerium wurden 16 Menschen getötet und 54 weitere verletzt. Die UN sprach von mindestens 19 Todesopfern und Dutzenden Verletzten. Die Täter sollen im Laufe des Gefechts mit Sicherheitskräften getötet worden sein.

Kurze Zeit später übernahm der "Islamische Staat in der Provinz Khorasan", die mittlerweile bekannt gewordene Zelle des IS in Afghanistan, die Verantwortung für das Massaker. Die afghanischen Taliban, die weiterhin die IS-Auswüchse in Afghanistan bekämpfen, verurteilten die Tat.

Der IS-Anschlag zu Ashura ist nicht der erste seiner Art, der sich gezielt gegen schiitische Hazara richtet. Bereits im vergangenen Juli wurde in Kabul eine Demonstration angegriffen, die hauptsächlich von Angehörigen der Hazara getragen wurde. Zwei Selbstmordattentäter des IS töteten dabei achtzig Zivilisten. In diesem Kontext hieß es seitens IS-naher Quellen immer wieder, dass die afghanischen Hazara zum Ziel geworden seien, nachdem einige Tausend von ihnen als Milizionäre in Syrien auf Seiten Bashar al Assads kämpfen (IS in Afghanistan).

Das erste, ernstzunehmende Aufkommen der afghanischen IS-Zelle fand in der ostafghanischen Provinz Nangarhar statt. Seit 2015 hört man aus einigen Distrikten der Provinz regelmäßig über die dortige Schreckensherrschaft der Extremisten, die sich der IS-Führung in Raqqa direkt unterordnen.

Die Präsenz des IS in Kabul macht durch die letzten Anschläge allerdings folgendes deutlich: Einerseits hat es die Gruppierung erfolgreich geschafft, logistische Strukturen innerhalb der afghanischen Hauptstadt - die von nicht wenigen europäischen Politikern als "sichere Zone" betrachtet wird - zu errichten. Andererseits macht die afghanische IS-Zelle deutlich, dass sie mittlerweile sehr strikt das Ziel verfolgt, sektiererischen Hass zu säen, indem sie schiitische Afghanen angreift.

Der Islamische Staat verfolgt die Strategie der sektiererischen Spaltung

Die Vorgehensweise ist hier ähnlich mit jener der Gruppierung des jordanischen Extremisten Abu Musab az-Zarqawi (Sarkawi) im Irak, die als eine der Vorläuferorganisationen des heutigen IS gilt und kurz nach der amerikanischen Intervention entstand. Zarqawi verfolgte damals gezielt eine Strategie der sektiererischen Spaltung. Seine Attentäter begingen hauptsächlich Massaker an Schiiten. Im Gegensatz zum Irak war die Lage in Afghanistan jedoch stets eine andere. In der Vergangenheit kam es kaum zu konfessionellen Spannungen im Land. An diese Tatsache erinnerten in den letzten Tagen etwa mehrere führende Politiker des Landes und riefen zur Einheit auf.

Für Analysten und Beobachter ist das Vorgehen des IS dennoch besorgniserregend. "Diese Angriffe sind ein Anzeichen dafür, dass die Gruppierung eine gewisse Nummer von engagierten und erfahrenen Kämpfern in der Hauptstadt rekrutieren konnte. Obwohl es schwer zu sagen ist, wie groß die Anzahl von IS-Mitgliedern und Unterstützern in Kabul ist, wird deutlich, dass die Gruppierung innerhalb bestimmter Gegenden für Teile der jungen Bevölkerung attraktiv erscheint", meint etwa der afghanische Analyst Borhan Osman in einem aktuellen Beitrag für das "Afghanistan Analysts Network".

Auch am Mittwoch sorgte der IS in Afghanistan abermals für Schlagzeilen. Berichten zufolge töteten die Extremisten in der Provinz Ghor mindestens dreißig Zivilisten. Bei den Tätern soll es sich um ehemalige Taliban-Mitglieder handeln, die sich mittlerweile dem IS angeschlossen haben. Deren Ziel war anscheinend Rache, nachdem sich die Ortsansässigen gegen deren Einfluss gewehrt haben sollen. Außerdem meinte der Gouverneur der Provinz, dass man mit dem Massaker auch den Tod eines lokalen IS-Anführers, der von Sicherheitskräften am Tag zuvor getötet wurde, rächen wollte. Offiziell hat sich der "Islamische Staat in Khorasan" zu dieser Staat noch nicht bekannt.