Der Kommunikationsrausch

Vom Run auf Smartphones und der Sucht danach. Bezeichnend ist die neue Mischung zwischen privater und beruflicher Nutzung. Aber verbessert sich dadurch die berufliche Kommunikation?

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"Auf dem Kackstuhl hockend, entfaltete er seine Zeitung und schlug auf den entblößten Knien die Seiten um. Irgendwas Neues und Leichtes." Das ist lange her, nicht ganz hundert Jahre. "Ulysees", dem die Szene entnommen ist, ist in der Alltagskultur lange schon ins Vergessen geraten. Das Ritual dagegen, dem der Romanheld Leopold Bloom an dem intimen Ort folgt, ist weiterhin verbreitet. Jeder fünfte Brite älter als 16 und beinahe jeder zweite zwischen zwölf und fünfzehn Jahren greift im Badezimmer oder auf der Toilette zum Smartphone, vermutlich von einem ähnlichen Impuls Richtung "Neues und Leichtes" bewegt.

60 Prozent der befragten Teenager bezeichnen sich als hochgradig smartphone-süchtig. Bei den Erwachsenen, laut der britischen Medienaufsichtsbehörde Ofcom Personen ab dem vollendeten 16. Lebensjahr, sind es immerhin noch 37 Prozent. Entsprechend überschreibt Ofcom seine aktuelle Medienstudie auch mit dem zugkräftigen Titel: "Eine nach Smartphones süchtige Nation".

Es ist eine Marktanalyse, die die Hersteller neuerer Unterhaltungs-und Kommunikationsgeräte erfreut zur Kenntnis nehmen dürften, der Trend verläuft ganz in ihrem Sinne. Rund ein Viertel der Erwachsenen in Großbritannien (27 Prozent) und ungefähr die Hälfte der Teenager (47 Prozent) besitzen ein Smartphone. Der Markt ist noch nicht gesättigt, das Verlangen nach den Geräten groß, die Entwicklung im Bereich Kommunikation und Unterhaltung schwindelerregend.

Auf Dauerempfang

Die gegenwärtige Anwendungspraxis in Zahlen: Bei 81 Prozent der Smartphone-Benutzer bleibt das Gerät die ganze Zeit angeschaltet. Ungefähr jeder vierte geht ran, wenn es am Morgen klingelt. Zwei Drittel der Unter-16-Jährigen unterbrechen dafür Unterhaltungen mit anderen, bei den Älteren ist es nur die Hälfte. Ungefähr jeder vierte Ältere ist das Smartphone auch ein Gast beim Essen. Bei den Jüngeren sind es 34 Prozent. Auch im Kino und in Bibliotheken wird das Gerät von 27 Prozent der Teenager und 18 Prozent der Älteren benutzt. Am meisten gebraucht wurden die Geräte für Facebook und Mails. Befragt wurden übrigens insgesamt 2.073 Personen, davon 521 zwischen 12 und 15 Jahren.

Bei der Nutzung der Mobilgeräte verwischen sich die Grenzen zwischen privatem und beruflichem Gebrauch, so die Studie: Während der Arbeitszeiten würde auch privat kommuniziert und in der Freizeit, abends, am Wochenende und auch im Urlaub, Berufliches erledigt. Die große Mehrheit der Smartphone-Benutzer, 70 Prozent, waren dafür empfänglich, 24 Prozent praktizieren dies regelmäßig. Zum Vergleich: Bei den Benutzern von Mobiltelefonen sind das nach Angaben von Ofcom nur 16 Prozent. Das ist schon ein Sprung in eine andere Lebensweise.

Der Sprung von 2000 auf 2011

Andere Zahlen dokumentieren die Veränderung der letzten zehn Jahre auf dem Gebiet der Kommunikation sehr anschaulich. So ist die Zahl der verschickten Textmitteilungen seit Anfang des letzten Jahrzehnts um 2000 Prozent gestiegen (von 7 Milliarden jährlich auf 129 Milliarden). Die Anzahl der Gesprächsminuten um 250 Prozent (von 35 Milliarden jährlich auf 125 Milliarden). Verfügte zur Jahrhundertwende gerade einmal jeder vierte britische Haushalt über eine Internetverbindung, sind es in diesem Jahr 76 Prozent.

Nur jeder zehnte Brite hat kein Mobiltelefon, im Jahr 2000 waren das nach fast zwei Drittel. Mittlerweile verzichtet jeder siebte Haushalt in Großbritannien auf einen Festanschluss. Es brauchte 15 Jahre, bis die Hälfte der Bevölkerung in Großbritannien ein Mobiltelefon besaß, bei Smartphones soll dies binnen fünf Jahren erreicht werden. Schon jetzt, so der Guardian, der noch andere Studien zitiert, werden mehr Smartphones als gewöhnliche Mobiltelefone verkauft.

13 Jahre brauchte das nationale Radioprogramm, um die Hälfte der Bevölkerung zu erreichen. Beim Farbfernsehen dauerte es nur mehr 10 Jahre. Kindles und iPads werden laut Ofcom nur 6 Jahre für diese Reichweite benötigen. Der Guardian-Kommentator bezeichnet dies als das "faster-faster model of media and technology consumption".

Dazu zählt auch, dass von den 10 Millionen TV-Geräten, die 2010 in Großbritannien verkauft wurden, fast alle HD-fähig waren und über große Bildschirme verfügten, eine Million verkaufter Geräte war internetfähig und eine ganze Menge, 125.000 Geräte, mit 3-D ausgestattet. Vier Stunden sehen die Briten im Schnitt täglich fern. Das Medium bleibt noch (?) die Nummer 1.

Trotz aller Offenheit: weiterhin geschlossene Kommunikationskreise

Auf einen interessanten Aspekt dieses Kommunikationsfiebers, wie es die Studie von Ofcam deutlich macht, verweist der Soziologe Richard Sennett in seinem Vortrag "Body Bits - Analoge Körper in digitalen Zeiten" (abgedruckt in der Juliausgabe der Zeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik: die Gegenüberstellung von technisch ausgeklügelten Möglichkeiten der Kommunikation und einer gleichzeitigen "furchtbaren Schlichtheit".

Sennett beschreibt den Eindruck, dass "uns die technischen Möglichkeiten der Kommunikation in ihrer Komplexität davonlaufen". Dass wir die Mittel "längst nicht so klug und differenziert einsetzen, wie sie eigentlich wären". Es geht ihm dabei vor allem um den Aspekt der Zusammenarbeit, die viel schlechter funktioniere, als man das erwarten könne.

Sennett statuiert, bestätigt von eigenen Studienergebnisse, eine Ungleichheit der Kommunikation. Diese basiert, verkürzt gesagt, darauf, dass trotz der raffinierten technischen Möglichkeiten viel zu simple menschliche Grenzsetzungen, die auf Hierarchie basieren, die Kommunikation verengen. Kompetentes von unten gelange nicht nach oben, weil sich Vorgesetzte abschotten. Der Austausch zwischen hierarchisch Untergebenen und Vorgesetzten fände nicht auf einer Ebene statt, die produktiv sei. Die Kompetenz von unten würde oben nicht wahrgenommen.

Unsere Forschungsgruppe wollte natürlich wissen, welche Art der Kommunikation an Stelle des ernsthaften Austausches stattfand. Es zeigte sich, dass Manager oft zu verbergen versuchten, dass sie nicht wussten, was sie taten. Anstatt andere um Rat zu fragen, flüchteten sie sich in oberflächliches Geplauder, beispielsweise über Sport.

Die Forschungsgruppe beschäftigte sich übrigens mit dem Kommunikationsverhalten von Managern und Untergebenen der Wall Street.