Der Krieg ist eine großer Werbefeldzug für die Rüstungsindustrie

Ein Gespräch mit William Hartung vom World Policy Institute über die wirtschaftlichen Folgen der US-Politik auf beiden Seiten des Atlantiks

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Noch scheint die US-Regierung mit ihrem Unilaterialismus, ihrer militärischen Präventionspolitik und ihrem Druck auf andere Regierung erfolgreich zu sein. Wirtschaftlichen Schaden könnten, so scheint es, eher diejenigen erleiden, die sich nicht der "Koalition der Willigen" anschließen. William Hartung ist da nicht so sicher. Die tatsächlichen Folgen der US-Politik und des Irak-Kriegs werden für ihn erst später bemerkbar - und könnten sich durchaus zuungunsten der USA auswirken. Hartung ist Mitarbeiter am Think Tank World Policy Institute in New York. Als Rüstungsexperte und Friedensforscher sind seine Arbeitsschwerpunkte der internationale Waffenhandel, die Ökonomie des Militärs und die US-Außenpolitik.

Gibt es in den USA Reaktionen auf das internationale Dahinschwinden ihres guten Rufs?

William Hartung: Allmählich schwant es einigen in der amerikanischen Finanzindustrie und Leuten außerhalb der Regierung, dass der Unilateralismus nicht nur politische, sondern auch wirtschaftliche Kosten verursachen wird: Boykott amerikanischer Produkte, Euro statt Dollar und so weiter. In den letzten drei bis sechs Monaten, und vor allem während des Tauziehens im UN-Sicherheitsrat, als die USA ihre Verbündeten beleidigte, andere Staaten zu bestechen versuchte und unter Druck setzte, um dann so oder so in den Krieg zu ziehen - seitdem nimmt der Rückschlag, der sogenannte "back lash", gegen den amerikanischen Unilateralismus konkrete Formen an.

Die Bush-Regierung fährt gegen den Imageverlust eine Linie bloßer Schadensbegrenzung. Sie sieht den "back lash" vorrangig als potentielles innenpolitisches Problem. Sie fragt sich: wie kann der Durchschnittsamerikaner, der wählen geht, davon überzeugt werden, dass der Imageverlust nicht das Ergebnis von amerikanischer Politik, sondern von allem möglichen anderen ist. Die Rechtsaußen-Politiker üben sich in Ablenkungsmanövern, mit der Verbreitung von Hass auf die Deutschen, die Franzosen, die Europäer generell, statt vor der eigenen Tür zu kehren und zu fragen, woher kommt der Antiamerikanismus, wie werden wir wahrgenommen, wie kommt es nur, dass unser Ruf innerhalb von wenigen Monaten um 40, 50, 60 Prozent nach unten ging? Könnte es sein, dass das etwas mit der Regierungspolitik zu tun hat?

Es ist durchaus möglich, dass zum Beispiel amerikanischen Konzernen einige Felle davonschwimmen werden, die europäische dann nur einzusammeln brauchen. Ironischerweise könnten europäische Rüstungskonzerne und Technologiefirmen davon profitieren. In manchen, vor allem arabischen Ländern, wird sich ein "buy American" wegen der öffentlichen Meinung verbieten. Das europäische "Airbus"-Unternehmen könnte zum Beispiel eine Nachkriegsdividende einstreichen, wenn der "back lash" gegen die USA nach dem Krieg nicht nachlässt.

Setzen die Konzerne in den beiden Machtblöcken auf Konfrontation statt auf das altbewährte, pofitable "business as usual"? Oder so gefragt: weshalb sollte ein europäischer Kapitalist nicht auch weiterhin mit einem amerikanischen Kapitalisten Geschäfte machen wollen?

William Hartung: Die politischen Rückstöße können sich durchaus negativ auf die amerikanische Wirtschaft auswirken. Einerseits will niemand direkt das Prinzip "Geschäft ist Geschäft" antasten. Weshalb also nicht ein amerikanisches Produkt kaufen? Aber andererseits werden viele der umfangreichen Geschäfte in einem politischen Kontext abgewickelt.

Nehmen wir folgendes Beispiel. Eine europäische Regierung will Flugzeuge kaufen und hat die Wahl zwischen "Boeing" und "Airbus". Wofür wird sie sich entscheiden, wenn 80 oder 90 Prozent ihrer Bevölkerung gegen einen unilateralen amerikanischen Krieg im Irak sind? Gegen das amerikanische und für das europäische Produkt. Weshalb ein Risiko eingehen, werden sich die Entscheidungsträger denken, vor allem, wenn es kaum Unterschiede zwischen den Produkten gibt. Gäbe es den transparenten, apolitischen Weltmarkt, dann hätte das Prinzip "business as usual" obersten Wert. Andererseits werden wir auch erleben, dass die Amerikaner auf die Franzosen rhetorisch eindreschen und gleichzeitig bestimmte Geschäfte mit ihnen machen. Die amerikanische Außenpolitik ist im Weltmaßstab allerdings auch so neben der Spur, dass in Europa und auch anderswo der öffentliche Druck, keine amerikanischen Produkte zu kaufen, so groß ist, dass die Regierungen und manche Konzerne das nicht ignorieren können.

Geraten die europäischen Rüstungskonzerne gegenüber der amerikanischen Konkurrenz mit dem Irakkrieg aber nicht noch mehr ins Hintertreffen?

William Hartung: Die europäischen Rüstungsindustrien sind sicherlich nicht glücklich mit der Situation. Für amerikanische Waffensysteme und die Firmen, die sie herstellen, ist die Berichterstattung über den Krieg ein einziger weltweiter Werbefeldzug, und dazu noch gratis. Außerdem werden die Waffen unter sogenannten Echtbedingungen getestet.

Vielleicht ein Vergleich mit dem letzten Golfkrieg vor 12 Jahren: Ich war kurz danach auf der Pariser Waffenschau. Die amerikanischen Firmenchefs beschrieben ihre Marketingstrategien damals informell mit dem Satz: "Wie meine Waffen den Golfkrieg gewonnen haben." Was die ganze Welt auf CNN mitverfolgt hatte, schien zu unterstreichen, dass man, um weiter mitmischen zu können, amerikanische Waffen kaufen müsse. Theoretisch könnte das wieder passieren.

Aber wenn der derzeitige Krieg nicht nur als Versuchslabor zum Waffentesten genommen wird, sondern auch als Vermarktungskampagne für zukünftige Waffenverkäufe, dann steht dem wiederum der "back lash" gegen den amerikanischen Unilateralismus entgegen. Den hatte es vor 12 Jahren nicht gegeben. Es ist recht wahrscheinlich, dass europäische Technologiefirmen zwar kurzfristig Vertrage einbüßen und Geld verlieren werden wegen des Demonstrationseffekts, den der Krieg auslöst. Sie werden aber trotzdem Verträge einheimsen. In Ländern nämlich, die amerikanische Waffen wegen der innenpolitischen Situation nicht kaufen können.

Was internationale Waffenlieferungen angeht, könnte sich der perverse Effekt ergeben, dass europäischen Waffen, obwohl die Medien nicht für sie werben, hier und dort der Vorzug erteilt wird. Denn amerikanische Waffen zu kaufen, impliziert eine gewisse Beziehung, ja eine geradezu intime Connection mit den USA. Und das könnte dieses Mal nicht so gut ankommen. Wenn die europäischen Rüstungsschmieden schlaue Vermarktungsstrategien fahren und sich etwas zurückhalten, dann brauchen sie nur auf die Auswirkungen des "back lash" warten. Dies betrifft nicht nur den Waffenhandel, sondern auch die Technologie.

Wie beurteilen Sie zwei Wochen nach Kriegsbeginn die neuen Waffensysteme der USA?

William Hartung: Die Mehrzahl der zur Zeit eingesetzten Waffen sind modernisierte Versionen. Es gab Fortschritte im Bereich der unbemannten Flugzeuge, verbesserte Kommunikationstechnologien zwischen den verschiedenen Truppenteilen, und mehr Waffen sind präzisionsgesteuert. Im letzten Golfkrieg waren es 10 Prozent, heute sind es 70 bis 80 Prozent. Trotzdem: Die Waffen mögen noch so präzisionsgesteuert sein, und sie mögen den perversen "Kollateralschaden" tatsächlich kleiner machen. Aber eine militärische Lösung - und ich zweifle nicht mehr daran, dass das irakische Regime fallen wird - schafft keine Stabilität. Sie repariert weder den politischen Schaden, noch ist sie ein Ersatz für politische und kulturelle Annäherungen. Je smarter die Waffen, desto dümmer die Politik. Ich bin jedenfalls gespannt, ob die europäischen Rüstungskonzerne die USA nach dem Krieg Präzisionsbombe für Präzisionsbombe nachzuahmen versuchen oder ob sie sich auf weniger Hightech- und Bombenorientiertes konzentrieren. Es ist durchaus denkbar, dass sich auf dem weltweiten Rüstungsmarkt Felder auftun wie Kommunikationsmittel für Militärs, Ausrüstung für friedenserhaltende Einsätze und so weiter.

Wo würden Sie den Irakkrieg auf einer historischen Skala seit dem 2. Weltkrieg einordnen?

William Hartung: Ich sehe den Krieg als wichtigen politischen Wendepunkt für die USA, und deshalb auch global. Die Art und Weise, wie er von Politikern geführt und interpretiert wird, entscheidet darüber, ob es eine ganze Generation unilateralistischer Außenpolitik à la Bush geben wird oder ob eine Rückkehr zum Multilateralismus erfolgen kann.

Schlimm wäre es, wenn der Irakkrieg von amerikanischen Politikern in der Öffentlichkeit als beispielhaftes Vorgehen für Ziele andernorts in der Welt verkauft werden könnte. Denkbar ist aber auch, dass man zurückblickt und sagt: Die ungeheuren Summen, die der Irakkrieg gekostet hat, und die politischen und wirtschaftlichen Schäden, die er angerichtet hat, einschließlich des Cowboy-Images der Amerikaner in der Welt, haben sich nicht gelohnt. Beim nächsten Mal gehen wir anders vor. Wir sind an einer Wegkreuzung: Ist der Irakkrieg die erste von vielen unilateralistischen Invasionen, oder ist er die letzte, weil sie gescheitert ist?