Der Mars ruft!

Bild: Twentieth Century Fox

Warum fliegen wir eigentlich nicht endlich zum Mars? Ridley Scotts ungewöhnliche Weltraum-Robinsonade "Der Marsianer"

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"These are extraordinary times, and we face extraordinary challenge ... I believe that this nation should commit itself to achieving the goal, before this decade is out, of landing a man on the moon and returning him safely to the earth. No single space project in this period will be more impressive to mankind, or more important for the long-range exploration of space." Also sprach John F. Kennedy und es geschah. Was ist seitdem passiert? 2004 kündige George W. Bush an, bis 2020 würden die USA zum Mond zurückkehren und dort eine dauerhafte Basis errichten, die "als Startfeld für Marsmissionen" dienen werde. Und nun? Warum fliegen wir eigentlich nicht endlich zum Mars? Ridley Scotts neuer Film "The Martian" macht Lust darauf?

"Wasser auf dem Mars!" Diese Nachricht, eine der "größten wissenschaftlichen Entdeckungen" des noch jungen 21. Jahrhunderts, meldete vor zwei Wochen die NASA. War es wirklich nur ein Zufall, dass wenige Tage später "The Martian" in den USA ins Kino kam, Ridley Scotts extravagante Weltraumsaga über eine Mars-Expedition und nach einhelliger Ansicht der US-Filmkritik der deutlichste Pro-NASA-Weltraumfilm seit vielen Jahren? Die Verschwörungstheorien blühen - jetzt kommt der Film ins deutsche Kino.

Irgendwann in einer nicht allzu fernen Zukunft wird es soweit sein: Die USA fliegt regelmäßige bemannte Mars-Expeditionen, und wie heute schon klappt auch dann nicht immer alles. In diesem Fall, erzählt nach einer populären Romanvorlage (von Andy Weir) gerät eine solche Mission in einen Sturm, und als das Team sich gezwungen sieht, sich unter dramatischen Umständen schnellstmöglich in Sicherheit zu bringen und abzufliegen, bleibt einer zurück: Mark Watney, gespielt von Matt Damon. Er wird von seinen Kollegen wie von der Bodenstation auf dem Mutterplaneten für tot gehalten - und auf der Erde mit einer pompös-pathetischen Zeremonie öffentlich verabschiedet.

Doch wir wissen: Mark hat unter einer Sanddüne überlebt und ist sogar weitgehend unverletzt. Doch in seiner jetzigen Lage hilft ihm auch das beste NASA-Handbuch wenig weiter. Da er keine Chance hat, mit der NASA Kontakt aufzunehmen, muss er über Tausende von Kilometern ziemlich exakt zu jener Stelle kommen, an der die nächste Mars-Mission landen soll - immerhin hat er hierfür mindestens vier Jahre Zeit.

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Wohnen muss er auf diesem Planeten ohne Sauerstoff-Atmosphäre in einem recht verletzlichen Plastikzelt, das eigentlich nur daraufhin konzipiert war, ein paar Wochen zu funktionieren. An Vorräten mangelt es auf Dauer natürlich auch. Glücklicherweise ist Mark studierter Botaniker und auch sonst offenbar recht pfiffig, jedenfalls beginnt er irgendwann - wie einst in der Chemiestunde in der Schule - Wasserstoff zu verbrennen, um dadurch Wasser zu gewinnen. Er legt ein Feld an, auf dem er Kartoffeln aussät, das er mit seinen eigenen Exkrementen düngt.

"Saving-Private-Ryan" im Weltall

Dieser Film ist ein Science-Fiction-Film, zugleich "Saving-Private-Ryan" im Weltall, mehr noch eine sehr klassische Robinsonade, die statt auf fernen Pazifikinseln oder in der Wüste Gobi nun im Weltall stattfindet. So etwas ist übrigens schon mal dagewesen. "Robinson Crusoe auf dem Mars" hieß 1964 ein amerikanischer B-Movie, den man sich zur geistigen Vorbereitung komplett auf You-Tube reinziehen kann.

Über weite Strecken muss der Protagonist Mark vulgo der Schauspieler Matt Damon den Film als One-Man-Show schauspielerisch alleine tragen. Zwischendurch gibt es aber immer wieder Szenen vom hektischen Gewimmel der Bodenstation mit Wissenschaftlern, die verzweifelt nach Lösungsmöglichkeiten suchen, oder vom überaus cleanen, strahlend weißen Innenraum des Raumschiffs mit den anderen Überlebenden, die dann zu besorgten Kollegen werden, als sie hören, dass Mark noch lebt. Das Raumschiff sieht mit seinen langen Korridoren ziemlich ähnlich aus, wie schon vor fast 50 Jahren in Stanley Kubricks "2001 - A Space Odessey".

Mars macht mobil

Spektakulärer und ungewohnter sind die Mars-Bilder: "Der Marsianer" feiert die gewaltigen Panoramen des Roten Planeten, die sehr souverän ins Bild gesetzt und durch 3D noch zusätzlich gesteigert werden. So ist dieser Film vor allem ein Monumentalfilm und eine Feier des Monumentalen: Der überwältigenden, zugleich unmenschlichen Natur und der gewaltigen, auch übermenschlichen Technik.

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Man denkt an den deutschen Bergfilm, der auch den Kampf der kleinen Menschen mit einer überlebensgroßen, boshaften, zu besiegenden Natur als Ersatzkrieg inszenierte. Menschliches Maß hat dagegen die Bastelei und "Bricolage"-Technologie des einsamen Mark, einer arte-povera des Überlebens, die sofort an zwei Tom Hanks-Rollen erinnert: "Apollo 13" war ein anderer Weltraumüberlebensthriller, in dem ein Raumschiff schließlich mit vulgärem Klebeband geflickt wurde, und in "Cast Away" spielte Hanks einen Einsamen, der über Jahre allein überleben muss.

Wie dieser Film ist "Der Marsianer" zugleich ein realistisches Drama wie auch eine gewagte Spekulation und ein Abenteuerfilm. Denn am besten gelingt dies als mitunter ungemein aufregende Popcorn-Unterhaltung und als Spektakelkino, das aber immer auf sehr hohem technischem Niveau und mit Anspruch unterhält. Der bessere Mars-Film, wenn es um Poesie geht, darum das Unfassbare der Weltraum-Erfahrung zu fassen, ist nach wie vor Brian De Pamas "Mission to Mars". Das war ein spiritueller, märchenhafter Film. Dieser hier ist nur ein visuell perfekter.

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Hollywoodstar Matt Damon spielte erst Ende letzten Jahres in Christopher Nolans "Interstellar" einen Mann, den seine Einsamkeit auf einem fernen menschenleeren Planeten gebrochen hat. Hier in einem ähnlichem Szenario verkörpert er dessen Gegenteil: einen sehr amerikanischen Hollywoodhelden. Damon gibt, dem Stoff gemäß, einen männlichen unerschütterlich optimistischen Sonnyboy mit ein paar wenigen melancholischen Momenten und noch weniger Selbstzweifeln. Dann wieder schießt ihm ein spöttisches Grinsen im Gesicht - es gibt schließlich Schlimmeres, als auf dem Mars zu stranden.

Prometheus auf dem Mars

Dieser Optimismus, erst recht mit dem Gesicht eines Milchbubis wie Matt Damon, nervt gehörig. Aufgewogen wird dies aber mit der tatsächlich provokativen philosophischen Position, die Ridley Scott hier einnimmt, und die man gerade von diesem langjährigen Meister des Dystopischen, der negativen Zukunftsphantasien wie "Blade Runner" und vor allem "Alien", nicht erwartet hätte. Auf seine alten Tage hat sich Scott hier zum Optimisten gewandelt. Sein Film ist vor allem ein pathetisches Plädoyer für Wissenschaft und ein Film gegen Wissenschaftsfeindlichkeit - in einer Gesellschaft, die sich entschieden hat, Wissenschaft nicht mehr wirklich über den Weg zu trauen.

Der Mars ruft! (23 Bilder)

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Demgegenüber feiert "The Martian" Menschen, die versuchen - am Ende erfolgreich - Kontrolle über das Unkontrollierbare zu gewinnen. Das ist ganz der alte promethische Traum von Wissenschaft: Selbstbeherrschung statt Fremdbeherrschung. Die großen Lösungen und das Grand Design der Nasa konkurrieren dabei mit dem Hobbybastler-Gefrickel des auf dem Mars Zurückgelassenen.

Implizit dreht sich "Der Marsianer" um die Frage, ob es nicht das deutlichste Zeichen des Niedergangs des Westens und seines grassierenden Utopieverlusts ist, dass derartige, vermeintlich sinnlose, jedenfalls für kurzfristige Renditen nicht taugliche Unternehmen zurzeit unmöglich sind.

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Ein großer Widerspruch dazu ist freilich, dass Scott und sein Film selber so durch und durch pragmatisch sind - den utopischen Kern des Science-Fiction-Genres hat Scott, der ihn gut kannte, vergessen. Scott zeigt Helden für ein Land, das offenbar solche Überlebenskünstler und "new frontiers" wie den Mars dringend braucht. Sein Film spiegelt diesen Zustand. Der Mars ruft!