Der Meister der Politik im Verborgenen

Irak: Muktada as-Sadr spielt sich zurück auf die große Bühne

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der neue Verfassungsentwurf ist heute vom irakischen Parlament unterzeichnet worden. Große Einigkeit zwischen den drei großen Lagern, den Schiiten, den Kurden und den Sunniten wurde auch in den letzten Verhandlungstagen nicht erzielt; die federführenden Schiiten und Kurden sind, trotz des Eingreifens von Bush, den Sunniten nur unbedeutend näher gekommen. Animositäten bleiben. Für skeptische Beobachter droht weiterhin die Gefahr eines Bürgerkrieges nach dem Muster des libanesischen Bürgerkriegs in den achtziger Jahren.

Mitten im Dauergezänk der drei Lager betritt nun ein alter Bekannter die irakische Bühne mit neuem Furor und neuer Stärke: der "Backdoor-Man", Schlaumeier Muktada as-Sadr. Hunderttausend haben am vergangenen Freitag auf sein Geheiß hin in acht Städten im Irak gegen die neue Verfassung demonstriert und gezeigt, dass mit ihm als wichtigen politischen Mitspieler zu rechnen ist, nach wie vor. Es sieht so aus, als ob er viele Trümpfe in der Hand hat. Und wieder erhebt sich die alte Frage, was will eigentlich Muktada as-Sadr?

Seine nahe liegenden, großen Ziele hat Muktada nie verhehlt. Der Sprössling einer hoch angesehenen Familie schiitischer Geistlicher im Irak, deren Reputation - Vater und Onkel waren geistliche Größen im Irak und wurden von Saddam Hussein verfolgt und umgebracht " viel zu Muktada's außerordentlichem Standing im Irak beiträgt, gilt als Champion der Armen. Seine Hochburg ist das bevölkerungsstarke Sadr-City, ein großes Bagdader Armenviertel, seine Forderungen zielen auf zentrale Ressentiments und Wünsche der arabischen Straße: "Bush and America out" und "We want water, we want electricity."

Im Gegensatz zu den schiitischen Wahlsiegern, den Parteien der "United Alliance", allen voran SCIRI und die Dawa-Partei, hat sich Muktada in den Augen patriotisch gesinnter Iraker niemals durch Verhandlungen mit den verhassten Besatzern kompromittiert. Im Gegenteil: Zweimal sorgte er letztes Jahr in Nadschaf (vgl. Showdown im "Tal des Friedens") für Aufsehen erregende Widerstands-Aktionen gegen US- und irakische Verbände und blieb trotz der Niederlage seiner al-Mahdi-Miliz der "moralische Sieger" in den Augen seiner Anhängerschaft " und darüber hinaus.

Schon im Sommer 2003 prognostizierte der englische Guardian "Ärger" mit dem "Hitzkopf" aus der guten Familie. Damals stellte er seine Miliz, die al-Mahdi-Armee, auf. Später hatte Muktada für Beunruhigung gesorgt, weil er sunnitische Aufständische im Kampf um Falludscha im April 2004 unterstützte und damit die damals verbreitete Annahme widerlegte, dass die Kluft zwischen beiden religiösen Gruppierungen so groß sei, dass es wohl kaum zu einer Kooperation käme. Bis heute unterhält Muktada hervorragende Kontakte zur Association of Muslim Scholars, die als wichtiges "politisches Bindeglied" zum militanten Widerstand gilt. Von den Führern der großen schiitischen Parteien, von der Regierung Dschafari, kann man dies ebenso wenig behaupten wie vom großen schiitischen Klerus, der in der Hawsa (vgl. Der tollste Ayatollah) versammelt ist.

Für seine Anhängerschaft ist Muktada dezidiert "Anti-Establishment": gegen die amerikanischen "Kolonisatoren", gegen den alten schiitischen Klerus in Nadschaf (wiewohl er sich als gewiefter Taktiker in gutes Einvernehmen mit der grauen Eminenz Ali Sistani gesetzt hat), gegen die Exil-Iraner, die SCIRI. Erst letzte Woche hat sich seine Miliz wieder Gefechte mit den Badr-Brigaden, den Milizen von SCIRI, geliefert.

Mit den Sunniten ist sich Muktada in einem patriotischen Ziel einig: die Einheit des Irak muss gewahrt bleiben. Seine große Forderung im Moment: Nein zum Föderalismus, wie er im gegenwärtigen Verfassungsentwurf angesetzt wird. Mit diesem Ziel hat er also auch große Teile des "sunnitischen Widerstands" auf seiner Seite. Auch zum Iran werden Muktada gute Kontakte nachgesagt: Überall hat der junge Kleriker eine gute Karte im Spiel. Schon bei den Wahlen, von denen er sich nach langem öffentlichen Hadern als wahrer irakischer Patriot und Besatzungsgegner fernhielt, zeigte sich, wie gut er das Spiel mit den Optionen versteht: Er ließ mit seinem Gutdünken Kandidaten teilnehmen, die deutlich durchblicken ließen, dass sie seine Anhänger sind. So blieb er auch politisch weiter im Spiel und konnte als Zuschauer dennoch weiter seinen radikalen und populären Auffassungen treu bleiben.

In den vergangenen Wochen war es still geworden um Muktada; für die amerikanischen Medien, war er bis auf wenige Ausnahmen kein Thema mehr. Am Wochenende hat er nun 100.000 Leute auf die Straße gebracht. Zuvor waren es immer "nur" Zehntausende. Das ist ein Sprung in eine andere Dimension. Man darf gespannt sein, wie seine nächsten Schritte aussehen.

Sicher ist, dass der Irak durch Männer wie Muktada keinesfalls auf liberale Weise befriedet wird, wenn überhaupt. Dort, wo seine Al-Mahdi-Armee das Sagen hat, herrscht für diejenigen, die sich dem religiösem Diktat seiner Milizen nicht ergeben, wenig Freiheit, eher Gefahr für Leib und Leben. Ereignisse, wie im April dieses Jahres, als Al-Mahdi-Milizen Studenten wegen ihrer allzu großen Freizügigkeiten ("immoral and outrageous behaviour") bei einem Picknick getötet haben, verraten doch einiges darüber, was sich Muktada unter "Islamic rule" vorstellt.