Der Monitor geht ins Auge

Ein neues Mini-Display schreibt Bilder direkt auf die menschliche Netzhaut

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Völlig ohne Monitor sehen Piloten alles auf einen Blick: Höhe, Himmelsrichtung und Geschwindigkeit; Automechaniker haben den Bauplan des Motorteils, an dem sie gerade arbeiten, unmittelbar vor ihren Augen präsent. Es ist keine neuartige halluzinogene Droge, die diese bunten Bilder ins Blickfeld zaubert, mit Virtual Retinal Displays (VRD) ist das alles möglich und obendrein völlig legal.

Schon seit einiger Zeit wird an so genannten Augmented-Reality-Techniken geforscht. Bei Systemen dieser Art werden reale Bilder mit zusätzlichen Informationen ergänzt. Augmented Reality stellt also eine Verbindung zwischen realer und virtueller Welt her. Die Ideen von Tom Furness an der University of Washington, die Mitte der 80er zu einer Demonstration auf einer Pressekonferenz des Pentagons führten, lösten den "Virtual Reality"-Boom mit der Vorstellung von Videohelmen aus, die man aufsetzt, um in einer virtuellen Welt abzutauchen.

Die amerikanische Firma Microvision hat jetzt mit einem VRD-System die Serienreife erlangt. Mit dem "Nomad Expert Technician System" können Computerbilder in hoher Auflösung als virtuelles Bild direkt auf die Netzhaut (Retina) projiziert werden. Zum Einsatz kommt die neue Technologie bereits erfolgreich in der Autoindustrie.

Der Automonteur beugt sich über den Motorraum…

So funktioniert Nomad: Der Anwender trägt das über WLAN angekoppelte Virtual-Retina-Display wie einen Datenhelm auf dem Kopf. Das VRD liest zunächst die Signale einer Bild- und Datenquelle eines Computers oder einer Videokamera und verarbeitet sie. Die verarbeiteten Signale enthalten Informationen über Intensität und Mischung der Farben sowie über die Position jedes einzelnen Pixels. Dann erzeugt ein schwacher Lichtstrahl eines Laser-Beamers ein Pixel und überträgt es durch die Pupille auf die Netzhaut des Auges. Die Pixel werden in einem Raster auf die Netzhaut aufgebracht, wobei ein horizontaler Scanner den Lichtstrahl in Windeseile über die Netzhaut jagt und dabei die Pixel reihenweise positioniert – das Bild entsteht also zeilenweise ähnlich wie bei einer Fernsehröhre. Dabei lenken lichtbrechende und lichtreflektierende Spiegel den Laser so auf die Netzhaut, dass beim Betrachter der Eindruck eines dreidimensionalen Bildes entsteht. Ihm erscheint das, als ob er auf einen Computerbildschirm schaut, der ungefähr eine Armeslänge von ihm entfernt ist. Weil der Spiegel selbst halb durchlässig ist, kann der Benutzer seine Umwelt weiterhin völlig normal wahrnehmen.

Gleichwohl hat das VRD-System von Microvision ein Mischbild aus Computer und Realität geschaffen. Die wahrgenommenen Bilder sind auch in Farbe möglich, diese wird durch modulierte Lichtquellen erzeugt, die die Intensitäten von rotem, grünem und blauem Licht so miteinander vermischt, dass das vollständige Spektrum von Farbtönen entsteht. Das erste Gerät dieser Art, genannt "Spectrum", ging für 500.000 Dollar an die Cleveland Clinic Foundation in Ohio. Das gegenwärtig für die Allgemeinheit bereits für 4000 Dollar lieferbare Modell "Nomad" arbeitet dagegen noch monochrom mit rotem Laser, doch der Weg zum "Video-Walkman" dürfte nur eine Frage der Zeit sein.

…und sieht eine eingeblendete Computerzeichnung mit den richtigen Montagepunkten

Auch wenn die Vorstellung, dass ein Laser Bilder auf die eigene Netzhaut schreibt doch ein wenig gruselig ist, eine Verletzungsgefahr fürs Auge scheint es nicht zu geben, weil mit äußerst niedrigen Lichtintensitäten gearbeitet wird. Allerdings: zumindest bei Fernsehbildröhren führt der Ausfall auch nur der Vertikalablenkung zum schnellen Einbrennen des dann auf einen Strich zusammenfallenden Bilds…

Eingesetzt wird das System bereits bei den Automobilherstellern Honda und Volvo in den USA. Während die Arbeiter dort die Personen- beziehungsweise Lastkraftwagen zusammenschrauben, sendet Nomad ihnen Baupläne, Skizzen etc. aufs Auge. Auf diese Weise können sie sich die Informationssuche an einem Computer oder einem Handbuch sparen und die Arbeit soll dabei schneller und akkurater von der Hand gehen. Bei Honda hat man auch herausgefunden, dass das neue System finanziell ein Volltreffer ist: Es bringt eine Zeitersparnis von 40 Prozent, was sich monatlich mit 2.000 Dollar pro Anwender rechnen soll.

Auch im medizinischen Bereich wird die neue Technologie bereits getestet. Chirurgen, die sich bei Operationen häufig an Monitoren orientieren, die irgendwo neben dem OP-Tisch angebracht sind, müssen mit einem VR-Display nicht mehr ständig vom Monitor zum Patienten schauen, sondern haben wichtige Informationen während der Operation direkt vor Augen präsent.

Natürlich hat auch das Militär solide Interessen an der Neuerung, schließlich gehört das Pentagon zu den größten Auftraggebern von Microvision. Die ersten 100 High-Tech-Monokel sind angeblich bereits auf dem Weg in den Irak, wo sie die "Sichtverhältnisse" der Stryker-Brigade verbessern sollen. Diese Modelle kosten dann allerdings auch wieder deutlich mehr als 4000 Dollar.