Der Panikvirus

Während die SARS-Welle in China zum Problem der inneren Sicherheit wird, geben Experten in Europa Entwarnung

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Nach Wochen der Panikmache ist die letzte Meldung aus China auch nicht mehr erstaunlich: Aus Angst vor der Einschleppung der bakteriellen Lungenkrankheit "Servere Acute Respiratory Syndrome" (SARS) haben die Bewohner mehrerer Dörfer rund um die Millionenstadt Peking Mitte der Woche Straßensperren aus Steinen und Erde errichtet. Nachdem staatliche Institutionen in den vergangenen Tagen ihre Überlastung erklärt hatten, nehmen die Menschen damit die Aufgaben selber in die Hand. Der Fall wirft mehr ein Schlaglicht auf den Zustand des chinesischen Behördenapparates und seiner sozialen Einrichtungen als auf die tatsächliche Schwere der SARS-Pandemie.

Vom Institut für Mikrobiologie der Universität Hongkong isolierter Coronavrius eines an SARS erkrankten Patienten

Die Panik in China ist inzwischen nicht mehr zu überdecken. Aber ist sie berechtigt? Es ist wie immer eine Gemengenlage, die zu den übertriebenen Reaktionen weltweit geführt hat. Natürlich spielen die Medien eine Schlüsselrolle bei Verbreitung und Inszenierung des Katastrophenszenariums (Gemeinsam auf der Suche). Damit gehen sie mit politischen Interessen einher, die auf eine Unsicherheit in der Bevölkerung abzielen, um repressive Maßnahmen zu rechtfertigen. Ein Indiz dafür ist die prompte Verlautbarung, bei dem Krankheitsbild SARS handele es sich um eine terroristische Attacke (SARS - Angst vor dem Ungewissen). Es fehlte eigentlich nur noch der Brief mit dem weißen Pulver, und die Inszenierung wäre perfekt gewesen. Ein dritter Aspekt, der außerhalb der unmittelbar betroffenen Regionen greift, sind kulturelle Vorbehalte. Verräterisch sind hier oft schon Sprachregelungen einer "asiatischen Krankheit". Konkrete politische Formen nimmt das Phänomen an, wenn in konservativen Medien zu Attacken gegen die chinesische Staatsführung ausgeholt wird.

Kliniken in Peking wurden mit "Videophonen" ausgestattet, damit die Angestellten mit ihren Angehörigen in Verbindung bleiben können. Bild: China Daily

Die Wahrheit ist nicht ganz so spektakulär. In Deutschland versuchen Virologen und Tropenmediziner die Panik zunehmend aufklärerisch zu dämpfend. So trat Hamburger Tropenmediziner Bernhard Fleischer, Direktor des Bernhard-Nocht-Institutes, in einem Interview mit der Nachrichtenagentur "dpa" einem immer wiederkehrenden Vergleich zwischen SARS und AIDS entgegen: "AIDS endet tödlich", erklärte Fleischer, am SARS-Virus aber sterbe nur eine Minderheit. Auch wenn sich die weltweite Verbreitung des Virus wohl nicht mehr verhindern lasse, könne man den bevorstehenden Aufgaben in Ruhe entgegensehen. So bestehe inzwischen ein bewährter Schnelltest für den Virus, in Deutschland würden Betroffene zudem erfahrungsgemäß kooperieren und sich in Quarantäne begeben. Entscheidend sei, so Fleischer, wie rasch die Krankheit in China unter Kontrolle gebracht werde.

Ähnlich äußerte sich der Marburger Epidemiologe Helmut Uphoff. Nach seiner Einschätzung ist das SARS-Virus im Vergleich zur Grippe zwar aggressiver, aber die Ansteckungsgefahr sei deutlich niedriger. "Wenn SARS so infektiös wäre wie Influenza (Grippe), hätten wir trotz der ganzen seuchenhygienischen Maßnahmen zur Eindämmung schon Hunderttausende von Million von Erkrankten", sagte der Mitarbeiter der "Arbeitsgemeinschaft Influenza".

Seit Beginn der Erfassung der SARS-Pendemie durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im März stieg die Zahl der SARS-Toten bis Ende dieser Woche weltweit auf 394. Zum Vergleich: Experten schätzen, dass alleine in Deutschland jedes Jahr 1.000 bis 20.000 Menschen an den Folgen einer Virusgrippe sterben. Das sind mehr als doppelt so viele Menschen wie im gleichen Zeitraum im Straßenverkehr umkommen. Ähnlich wie SARS macht die Brisanz der Grippe die Mutation eines bereits bestehenden Influenza-Virus aus. Bisweilen entstehen so besonders aggressive Erreger. So waren von der aus Madrid nach Nordeuropa rollenden "Spanischen Grippe" 1918 insgesamt und weltweit schätzungsweise 500 Millionen Menschen betroffen, 22 Millionen starben.

Wieso also die Aufregung? Auch der Hamburger Tropenmediziner Fleischer weist auf die Rolle der Medien hin. Ihr Interesse habe zwar durchaus eine positive Seite, weil die Menschen für die Krankheit sensibilisiert würden. "Es ist aber eine Gradwanderung zwischen Verharmlosung und Übertreibung."