Der Politik-Betrieb: Käsebrötchen und Medien

Kein Mitleid mit den Wulffs - der Fernsehfilm "Der Rücktritt" zeigt, wie wenig Traute deutsche Fernsehsender haben, selbst wenn es um die fiktionale Darstellung von Politik geht

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Warum gibt es in Deutschland keine wirklich tollen Fernseh-Serien, erst recht keine über den Politikbetrieb? Diese, wenn auch meist nur rhetorisch, gern gestellte Frage kann man besser beantworten, wenn man versucht, sich am Dienstag auf SAT 1 das Dokudrama "Der Rücktritt" anzugucken und den Film einmal daraufhin zu analysieren: Dies ist nämlich ein alles in allem ganz gut, sogar erstaunlich gut gelungener Film, dem trotzdem das Entscheidende fehlt. Dass das so ist, liegt aber nicht an den Machern, sondern an dem völlig falsch verstandenen Persönlichkeitsrecht in Deutschland, das niemanden so schützt wie sogenannte Prominente, wie die Reichen und Mächtigen, die so reich und mächtig sind, dass sie den potentiellen Machern solcher Serien und Filme ihre Anwälte auf den Hals hetzen und mit ihnen dann regelmäßig vor bundesdeutschen Gerichten gewinnen - um mal besser nicht zu sagen "Recht bekommen."

Kai Wiesinger als Christian Wulff. Bild: Stefan Erhard/Sat 1

Je weniger die Leute davon wissen, wie Würste und Gesetze gemacht werden, desto besser schlafen sie.

Katharina Thalbach als Kanzlerin in "Der Minister"

Selbst ein so mutiger Produzent wie Nico Hofmann und ein so großer Sender wie SAT 1 haben jedenfalls offensichtlich gute Gründe, manches in diesem Film erstaunlich vage und offen zu halten, manche Dinge gar nicht oder nur verklausuliert anzusprechen.

Doch der Rücktritt des Bundespräsidenten Christian Wulff (Der Rubikon ist überschritten) und die quälenden Wochen, die ihm vorausgingen, die Thema dieses Films sind, fanden ja vor aller Augen statt, so dass einem auch jetzt, etwas über zwei Jahre nach Wulffs Rücktritt, auffällt, was in diesem Film fehlt. Aber eins nach dem anderen...

"Das Amt hat ihn verdorben"

Dieser Film, den anscheinend mehrere öffentlich-rechtliche Sender zu produzieren abgelehnt haben, ist ein Sittengemälde aus dem Politikalltag: ein Film über Ambivalenzen. Es geht um Kommunikation, um Öffentlichkeit, um Vertrauen, es geht auch um Haltung, vor allem die, die Wulff fehlte.

"Der Rücktritt" mischt geschickt dokumentarische Bilder mit fiktionalen. Die allererste Einstellung ist gerissen: Wulff am Schreibtisch in Schloß Bellevue, aber nicht zum Arbeiten, nur fürs Posieren. Eine Fotografin macht offizielle Fotos, Schein und Sein, Wulff und die Medien - so gibt Regisseur Thomas Schadt gleich zu Beginn das Grundproblem vor, das seinen Film dominiert.

Man sieht danach ein paar zentrale Momente von Wulffs Präsidentschaft: Die Wahl, der Amtseid, jenes sommerliche Gartenfest, in dem sich die Medien noch über eine derart junge und jugendliche Präsidentenfamilie freuten, die Rede mit dem einen Satz, durch den Wulff berühmt wurde und der neben den peinlichen letzten Wochen von seiner Amtszeit im Gedächtnis bleiben wird: "Der Islam gehört zu Deutschland."

Dann geht es allein um letzten Monate von Wulffs Präsidentschaft: Die Anfragen der BILD-Redaktion, Pressesprecher Glaeseker beim Abwiegeln und Steuern der Berichterstattung über dessen Hauskredit, aber sofort selbst in der Rolle dessen, der, genau so wie die Öffentlichkeit, über die Tatsachen nur scheibchenweise informiert wird. Glaeseker, toll gespielt von Holger Kunkel, ist in diesem Film ein Sympathieträger, womöglich über Gebühr; er erscheint im Film als Opfer, als von Wulff Betrogener und Hintergangener, als heimlicher Held.

Glaeseker ist auch die eine Figur, die die harten Wahrheiten aussprechen darf: "Das Problem ist die Kommunikation ... Der Präsident gibt die Tatsachen nur wider Willen preis ... er ist unbelehrbar ... er beruft sich auf Herrschaftswissen ... Es war schön, ihn groß zu machen ... Das Amt hat ihn verdorben. Aber wer sagt ihm das? Ich auch nicht."

Man hat keinerlei Mitleid mit ihnen

Der Film ist da besonders gut, wo er sich auf die Entourage des Präsidenten konzentriert, seinen Beraterstab. Und so er einfach den Betrieb zeigt, den Alltag des Bundespräsidenten, der selbst von Protokollchefs und Beratern hin- und hergeschoben wird.

Es ist dies ein Betrieb, der einem keine Zeit lässt; die Welt der Käsebrötchen, die immer wieder, immer gleich aussehend, mit einer Gurkenscheibe oder einem Tomatenschnitzel garniert - die übrigens den Käse dort, wo sie liegen aufweichen -, die auf Tellern auf Sitzungstischen stehen, neben ihnen große Thermoskannen voller Kaffee, der dann aus weißen Porzellantassen mit Bundes-Adler getrunken wird und kleine Glasflaschen mit Cola, Fanta, Mineralwasser.

Diese Welt der Käsebrötchen und Bundesadlerkaffeetassen kennt weder Latte Macchiato, noch Bionade und diese Sitzungstische und ihre Ausstattung haben mit der Politik, die an ihnen gemacht wird, mit dem ästhetischen Defizit des deutschen Politikbetriebs, dessen fehlendem Formbewusstsein und damit natürlich auch mit Wulffs Verhalten, vielleicht mehr zu tun, als man glauben möchte. Dies zeigt "Der Rücktritt" unaufdringlich.

Vor allem aber geht es natürlich um die Wulffs. Man hat keinerlei Mitleid mit ihnen. Sie werden nicht zu Schuldigen gestempelt, die Medien allerdings schon gar nicht. Die tun ihre Pflicht, natürlich mit einem Jagdinstinkt, den man nicht geschmackvoll finden muss, aber eben auch in dem Bewusstsein, dass sie nur von Fehlern, Versäumnissen und Vergehen berichten können, wo diese zuvor gemacht wurden.

Verdränger

Christian Wulff erscheint in diesem Film als ein Mensch mit charakterlichen und als Politikhandwerker mit handwerklichen Defiziten. Als einer, der seine Mitarbeiter opfert, wenn es ihm zu nutzen scheint. Als einer, der Unangenehmes, auch unangenehme Realitäten, gern verdrängt, der manche Halb- und Unwahrheiten glaubt, wo es sich mit ihnen bequemer lebt.

Ein Präsident, der dem Vorwurf der Vorteilsannahme ausgesetzt ist und dem der Irreführung des Parlaments in Bezug auf den privaten Kredit, den er von dem Unternehmer Egon Geerkens bekam - was er beides nicht schlüssig widerlegen kann, der zumindest moralisch und politisch schuldig ist und deswegen zu Recht von der Öffentlichkeit verurteilt wurde, zu Recht von seinem Amt zurücktreten musste.

Ob er auch juristisch schuldig ist, muss der Film nicht entscheiden, aber er spricht Wulff von nichts frei. Vielmehr erscheint dieser als ein im Kern zynischer Medienmanipulator, der sich allein für sein Image interessiert, nie für Inhalte.

Deutlich wird aber das Milieu, in dem Wulff seine Freunde und privaten Kontakte fand, das nicht nur von übelwollenden Beobachtern als nicht gerade passend eingeordnet wurde und für das die Namen Baumgartl, Maschmeyer, Groenewold stellvertretend stehen. Der derzeitige Prozess in Hannover über die Natur der Beziehung Wulffs zu seinem Freund, dem Filmfinanzier David Groenewold, spielt in dem Film allerdings so gut wie keine Rolle.

Hausmuttchen, echt?

Interessant ist es, die Darstellung Kai Wiesingers mit den zahlreich eingestreuten Dokumentaraufnahmen Wulffs zu vergleichen: Während der echte Wulff hölzern und verkrampft und überaus unsinnlich wirkt, ist Wiesinger weicher und sinnlicher, ein sympathischerer Mensch. Ganz umgekehrt die Rolle der Bettina Wulff.

TV-Allzweckwaffe Anja Kling ist eine Fehlbesetzung: Zu alt, zu unsinnlich wirkend, zu ätherisch, zu weinerlich, um die immer ein bisschen gewöhnliche Charme-Nudel Bettina Wulff adäquat oder auch nur wirklich interessant zu verkörpern. Allerdings ist diese Rolle auch der Schwachpunkt des Films.

Denn die Macher wollten sich zwischen den zwei sich anbietenden Optionen nicht entscheiden: Weder erscheint Bettina Wulff hier als eine Naive, die voller Liebe und Bewunderung zu ihrem Gatten auf dem Präsidentensessel aufschaut, noch als durchtriebene, überehrgeizige, mediengeile Lady Macbeth von Bellevue, die ihren schlurfigen Gatten überhaupt erst in die Situation hineinmanövriert hat, aus der er dann nicht mehr herausfand.

Sie ist das, was Betina Wulff nach Vorgaben der Medienbilder gerade nicht war: ein charakterlich vor allem diffuses Hausmuttchen, das sich im großen Präsidentenpalast unwohl fühlte und am liebsten gern heim nach Burgwedel wollte. Und die als erste die Nerven verliert.

Womöglich waren persönlichkeitsrechtliche Bedenken und die berühmten "Bauchschmerzen" der Hausjuristen schuld an diesem Bild. Gewiss waren sie schuld daran, dass den Zuschauern so gut wie jeder private Moment vorenthalten wird - also genau das, wodurch eine Figur menschlich und emotional charakterisiert wird. Gefühle und Erotik werden noch nicht einmal vage angedeutet. Und in einer für viele interessanten Frage positioniert sich der Film dann überdeutlich.

Als die Rede auf die öffentlichen Gerüchte bezüglich einer möglichen Vergangenheit von Bettina Wulff im Rotlichtmilieu kommt - Gerüchte, die über Bettina Wulff solange nur im Internet kursierten, bis sie ihr Mann selbst ungefragt im Fernsehinterview von ARD und ZDF vor laufenden Kameras angesprochen hatte, womit der Bundespräsident das große Publikum überhaupt erst darauf aufmerksam machte -, beschränkt sich Schadt nicht darauf, dieses Thema zu ignorieren oder über Gesten und indirekte Andeutungen ergebnisoffen zu halten, sondern positioniert sich inhaltlich, indem die Bettina-Wulff-Figur von "meiner angeblichen Vergangenheit" spricht.

"Bauchschmerzen" der Hausjuristen

Produzent Nico Hofmann gab in Interviews auch zu:

Andererseits ist es richtig, dass wir im Schneideraum gerade bei den privaten Szenen um Bettina und Christian Wulff noch einiges weggenommen haben. Das hat mit den Hinweisen unserer juristischen Berater zu tun, aber auch mit Respekt vor der Beziehung der beiden.

Natürlich ist es sehr interessant, heute noch einmal die Real-Bilder aus jener Zeit zu sehen, mit dem Wissen von heute: Was Wulff da wohl gedacht hat, was damals wirklich in ihm vorging? Natürlich wüsste man als Zuschauer gern, welche Details hier den Tatsachen entsprachen, was genau im Zuge der Recherche von Informanten "durchgestochen" wurde?

Der Film ist auch keine Satire, obwohl man sich etwas mehr Klatsch, Klamotte und Geschmacklosigkeit gewünscht hätte. Aber Thomas Schadts Dokudrama macht vieles richtig und gut und erzählt sehr viel. Und doch fällt einem irgendwann, spätestens als alles vorbei ist, auf, dass das Entscheidende, oder sagen wir besser, dass ein Großteil derjenigen Dinge, die uns am meisten interessiert hätten, nicht vorkommen.

Angela Merkel kommt nicht vor, jedenfalls ist sie nicht zu sehen, nur einmal telefoniert Wulff mit ihr, in den Dialogen ist einmal von ihr die Rede. Bundesminister kommen auch nicht vor, noch nicht mal Ursula von der Leyen. Oppositionspolitiker kommen nicht vor. Kai Diekmann und Matthias Döpfner kommen vor, allerdings nur als Randfiguren - dabei braucht man nicht viel Phantasie, um sich für einen solchen Film für mächtige Medienpersönlichkeiten noch größere, bedeutendere, spannendere Szenen auszumalen.

Deutsche Sender: Denkfaulheit, Quotenorientierung, Paragraphenreiterei und falsche Paragraphen

Was fehlt? Was unterscheidet "Der Rücktritt" zum Beispiel von einem Film wie den französischen "The Minister", der vor einem guten Jahr ins Kino kam, oder von der amerikanischen Präsidentenserie "West Wing", um hier einmal ausnahmsweise nicht "House of Cards" zu nennen, jene derzeit etwas zu sehr über den grünen Klee gerühmte US-Serie, die in Wahrheit nur das schlechtere Remake einer wirklich tollen britischen Serie ist?

Die Härte, die Gnadenlosigkeit, die anatomische Genauigkeit der Abbildung und die juristische Sicherheit, dass Ähnlichkeiten mit lebenden Personen öffentlich gewünscht sind und nicht "nur rein zufällig" sein dürfen. In den deutschen Sendern ohne die es nicht gehen darf herrschen Denkfaulheit, Quotenorientierung, Paragraphenreiterei und falsche Paragraphen. Das alles steht besserem Fernsehen und fiktionaler Politikdarstellung im Wege - "Der Rücktritt" macht immerhin einen Anfang.

SAT 1 war offenbar der einzige Sender, der einen Film zur Wulff-Affaire beauftragen wollte. Auch in diesem Fall, wie man erfahren konnte mit vergleichsweise überaus niedrigem Budget, aber immerhin. Die FAZ kommentierte dazu treffend: ARD und ZDF "sind zu sehr Teil des Betriebs, als dass sie die Kraft fänden, ihn zu sezieren". Lustigerweise zeigt SAT 1 dann immer wieder Tagesthemen-Material und Ausschnitte aus "Mybritt Illner", "Maischberger" und anderen öffentlich-rechtlichen Talk-Programmen, aus dem eigenen Sender war offenbar nur Harald Schmidt Zitat-tauglich.