Der Spion, der aus den Bergen kam

Schon etwas älter, aber dafür rechtlich unproblematisch: Ein Foto aus der Kanzlei des schweizerischen Nachrichtendienstes vor etwa hundert Jahren.

Ein schweizerischer Staatsangehöriger wurde wegen Agententätigkeit festgenommen - angeblich sollte er Informationen über deutsche Steuerfahnder sammeln, die Datensätze von Bankkunden ankauften

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Der deutsche Generalbundesanwalt hat eigenen Angaben nach am 28. April in Frankfurt am Main den 54-jährigen schweizerischen Staatsangehörigen Daniel M. wegen des dringenden Verdachts einer fremden geheimdienstlichen Agententätigkeit nach § 99 Absatz 1 Nummer 1 des deutschen Strafgesetzbuchs (StGB) festgenommen. Dieses Delikt kann in normalen mit bis zu fünf und in besonders schweren Fällen sogar mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden. Außerdem durchsuchte das Bundeskriminalamt (BKA) "mehrere Wohn- und Geschäftsräume" in der hessischen Metropole und im Wetteraukreis. Einen Haftbefehl gegen M. gab es der Bundesanwaltschaft zufolge bereits seit dem 1. Dezember 2016, er konnte aber erst nach dessen Wiedereinreise in die Bundesrepublik vollstreckt werden.

Ein Rechtsanwalt von M. verriet der schweizerischen Zeitung Blick weitere Details zu diesem Fall: Danach sollte sein Mandant für den 280 Mitarbeiter starken und mit einem Jahresetat von umgerechnet 66,5 Millionen Euro ausgestatteten schweizerischen Nachrichtendienst des Bundes (NDB) vor Ort herausfinden, "welche Steuerfahnder […] Steuer-CDs [mit Daten von Kunden Schweizer Banken] kauften und wie diese Käufe genau abliefen".

Schweizer Haftbefehle gegen NRW-Steuerfahnder

Dabei bezieht er sich auf Datensätze, die die Finanzbehörden von Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und anderen deutschen Bundesländern seit Januar 2006 von Informanten kauften, um deutsche Steuerhinterzieher, die in der Schweiz Kapitalerträge erwirtschaftet hatten, ausfindig zu machen, zu bestrafen, und hinterzogene Steuern nachzufordern. Medienberichten nach war in diese Geschäfte auch der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) involviert. Die früher teilweise bei Banken tätigen Informanten hatten die Datensätze (mit denen sie Millionen verdienten) nach schweizerischem und liechtensteinischem Recht illegal kopiert. Schweizer Staatsanwälte erließen deshalb vor sieben Jahren Haftbefehle gegen Peter Beckhoff, den damaligen Chef der Wuppertaler Steuerfahndung, und zwei weitere Steuerfahnder aus Nordrhein-Westfalen.

Dem Blick nach soll M., der wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft genommen wurde, bei der Schweizer Polizei ein Experte für den Bereich Organisierte Kriminalität (OK) gewesen sein, bevor er seine Dienste dem NDB und einer großen Schweizer Bank anbot. Vor zwei Jahren geriet er angeblich in das Visier seiner früheren Kollegen, weil er selbst Bankkundendatensätze zum Verkauf anbot, die sich jedoch als unecht herausstellten. Schweizerische Medien spekulieren deshalb, dass M., der den Informationen der deutschen Tageszeitung Die Welt nach auch "im deutschen Finanzsektor aktiv" gewesen sein soll, damals im Auftrag seines Arbeitgebers gehandelt haben könnte, um an die Namen und Daten potenzieller Käufer zu kommen.

Wahlkampftauglich

Ob dem tatsächlich so war, bleibt auch deshalb unklar, weil der NDB auf Fragen lediglich an das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) verweist, wo man zwar eine "Kenntnis von der Verhaftung eines Schweizer Bürgers in Deutschland" bestätigt, aber sonst keine Auskünfte gibt - "wegen des Persönlichkeitsschutzes". Das Auswärtige Amt in Berlin hält sich ebenfalls bedeckt.

Mehr Öffentlichkeitsbedarf hat dagegen der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans, dessen indirekte Wieder- oder Abwahl in knapp zwei Wochen ansteht. Aber auch er verlautbart lediglich, es wäre ein "handfester Skandal […] falls sich die Geschichte als wahr erweist". "Wenn Nachrichtendienste Spione beauftragen, in Deutschland Steuerfahnder zu bespitzeln", so der SPD-Politiker, dann müsse man sich "doch fragen, in wessen Interesse sie handeln - im Namen der Steuergerechtigkeit ja wohl kaum". Wer "Jagd auf Steuerfahnder" mache, der schütze "die Täter".

Walter-Borjans Bundesland war mit insgesamt elf Datenträgern seit 2010, für die zusammen 17,9 Millionen Euro geflossen sein sollen, ein Großabnehmer von illegal kopierten Steuerdaten aus der Schweiz. In die bis zu sieben Milliarden Euro, die Walter-Borjans dadurch zusätzlich eingenommen haben will, hat er auch Nachzahlungen wegen Selbstanzeigen mit eingerechnet, die er auf die Außenwirkung der Datenträgerkäufe zurückführt.

Nachdem sich die schweizerische Regierung und die EU auf einen automatischen Informationsaustausch einigten, der im nächsten Jahr beginnt, dürfte der Markt für solche Datensätze bald Geschichte sein. Bereits jetzt lassen sich wegen des Quasi-Nullzinsniveaus und der hohen Gebühren in der Schweiz praktisch nur noch dann Kapitaleinkünfte erzielen, wenn der Anleger relativ viel Vermögen anlegt oder viel riskiert.

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