"Der Teufel steckt im Detail"

Zur Tagung "Wem gehört das Wissen? - Geistiges Eigentum in Zeiten des Internet"

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Andy Müller-Maguhns "Regierungserklärung" aus der F.A.Z. war erst wenige Tage alt, Bertelsmanns Wissensportal wissen.de wurde gerade auf der Frankfurter Buchmesse präsentiert, Jeremy Rifkins "Age of Access" war noch frisch genug - dies alles waren Gründe, warum die Tagung "Wem gehört das Wissen? - Geistiges Eigentum in Zeiten des Internet" in den Berliner Räumen der Heinrich-Böll-Stiftung den Kern einer hochaktuellen Debatte berühren mußte. Neben der Stiftung eingeladen hatten das grünennahe Netzwerk Neue Medien und der FFII e.V. - Förderverein für eine freie informationelle Infrastruktur, und debattiert wurden Themen wie Eigentum an Wissen, Open Source, freie Software, Softwarepatente, sowie Urheber- und Patentrecht in Zusammenhang mit Wissensmedien.

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Fair use im Netz

Rainer Kuhlen, Professor für Informationswissenschaft in Konstanz (derzeit an der HU Berlin) und Vorsitzender des deutschen UNESCO-Ausschusses "Kommunikation, Information, Informatik" eröffnete die Debatte mit Wissensdefinitionen ("Information ist Wissen in Aktion") und einer Einführung in die Repräsentation von Wissen im Internet. Über die Vorstellung von Wissensportalen wie wissen.de, britannica.com, discovery.com gelangte er zu Beobachtungen über die "zwei Welten von Wissen im Internet", die sich im ökonomischen Interesse, das Wissen als Gut auf dem digitalen Marktplatz verortet, und dem politisch-administrativen Interesse, das Wissen in Foren austauscht, manifestieren: "Verstehen Sie, frisch zementierte Betongefängnisse in die Luft zu sprengen war schon irgendwie okay, aber ins Internet zu ziehen einfach der gründlichere Ansatz. Die Gedanken sind schließlich frei." Dieses Zitat Müller-Maguhns diente Kuhlen als Ansatz, die Zukunft des Wissens mit dem Recht auf Partizipation zu verbinden, das derzeit durch Technologien wie Rating, Zoning, Filtering oder Digital Rights Management drastisch behindert werde.

Kuhlens daraus abgeleitete "Notwendigkeit der Reformulierung der Informationspolitik" mündete dabei in Forderungen nach freiem, ungehindertem und kostenlosem Zugriff auf die Ressourcen des Wissens, nach der Förderung kooperativer Formen elektronischer Kommunikation, dem Verzicht auf die Privatisierung von Fachinformation, der Sicherung von Privacy und Anonymität beim Zugriff auf Wissen - letztendlich in der Forderung nach der Formulierung eines neuen "fair use" im Netz. Kuhlen, der en passant davon sprach, dass sich der "Eigentumsbegriff radikal auflösen" wird, konterte auf eine Frage aus dem Publikum, das von Kuhlen eingebrachte Zitat Müller-Maguhns erinnere "an eine Bande von Panzerknackern, die deswegen den Zugang zumTresor fordern, weil die Werkzeuge so billig geworden sind" mit einem abgeklärten "ja, das lassen wir jetzt mal so stehen", und brachte somit den Tenor der Veranstaltung ins Rollen: die Unvereinbarkeit der Positionen zum "Recht auf Wissen".

Das digitale Dilemma

Im zweiten der einleitenden Vorträge schilderte ex-ICANN-Kandidatin Jeanette Hofmann das Thema "Schutz des geistigen Eigentums" als "digitales Dilemma", in das sie kürzlich selbst geraten sei: ausgehend von dem 2wenig skandalösen Geständnis", selbst langezeit Napster-Userin gewesen zu sein und diese "Abstimmung mit Füßen im Internet" genossen zu haben, berichtete sie auch von einer Recherche im Netz, bei der sie einen eigenen Text gefunden habe, der einen anderen Autor als Urheber angab. "Geschockt" sei sie da gewesen, und ihr stelle sich die Frage, ob im Netz eine doppelte Moral herrscht?

Das Urheberrecht, so ihre vorgestellten Überlegungen, begründe das Spannungsverhältnis zwischen kollektiven und individuellen Rechten, wobei das Problem sei, dass das Wissen selbst eben keine Auskunft über seine Handhabungen gebe. Bei einem Rückblick auf die Mediengeschichte würde sich erweisen, dass es paradoxerweise die Technologien zur Konservierung von geistigem Eigentum gewesen seien, die in den Kategorien von Werk und Autor haben sprechen lassen - der Erzähler sei in der oralen Kultur eben nicht der Urheber gewesen und die bloße Verschriftlichung dieses Wissens habe daran nichts geändert. Erst das abgeschlossene Werk habe also den Autor entstehen lassen, wobei sich ein Werk durch die Unterscheidung in Inhalt und Form ausgewiesen habe. So begann erst mit der technischen Kontrolle (kopierfähigkeit) über den Orginaltext der individuelle Autor zu leben und das mäandernde Autorenkollektiv verschwand.

Hofmanns Folgerung angesichts sich derzeit verändernder Technologien bestand darin, dass das Erbe des Urheberrechts die Autorenkonstruktion ins Wanken bringt und somit das "digitale Dilemma" entstehe, durch das die Unterscheidung von kollektivem und individuell erstelltem Wissen obsolet wird. "Es steht viel auf dem Spiel", analysierte Hofmann, denn, wie auch im eigenen Fall erlebt, scheint die Digitalisierung dem Autor die Kontrolle über das Werk zu nehmen, mehr noch: der Werkbegriff selbst obsolet zu werden.

Hofmanns Dilemma auf den Punkt gebracht besteht in einem Abschiednehmen von der Figur des Autors zugunsten eines wiederkehrenden "anonymen Murmelns". "Mir persönlich täte das weh", folgerte sie, gleichzeitig bekräftigte sie aber, dass die jetzige Form des Urheberrechts angesichts der digitalen Medien unangemessen sei:

"Von der Lösung des digitalen Dilemmas hängt die technische Architektur der Informationsgesellschaft ab als auch unser künftiges Demokratieverständnis. (...) Es geht darum, die Voraussetzungen herzustellen, dass neues Wissen überhaupt erstellt wird. Die Erzeugung von Wissen ist ein kollektiver Prozeß."

Softwarepatente: Nutzen oder Schaden

Die darauf folgende Podiumsdiskussion, moderiert von Telepolis-Autor Stefan Krempl, an der neben Kuhlen und Hofmann Andreas Bogk vom ChaosComputerClub, Klaus-J. Melullis, Richter am Bundesgerichtshof, Hartmut Pilch vom FFII, Goetz v. Stumpfeldt von den Grünen, Wolfgang Tauchert vom Deutschen Patent- und Markenamt, Fritz Teufel von der Patentabteilung, IBM Deutschland und Elke Bouillon von der Berliner Phaidros AG teilnahmen, entbrannte an der Debatte um den gesellschaftlichen versus ökonomischen Nutzen von Softwarepatenten. Ausgangspunkt der Kontroverse stellte die für den November geplante Novellierung des europäischen Patentübereinkommens dar, nach der der Artikel fallen könnte, die auf europäischer Ebene über die (Nicht)patentierbarkeit von Computerprogrammen "als solchen" entscheidet (Art.52 Abs. 2). Alleine an den divergierenden Aussagen zu der Frage, was Software "als solche" und ein Softwarepatent überhaupt seien, ließen sich die vertretenen Positionen der Panellisten entsprechend ihrer Funktion schnell ermitteln.

Durch die weiterführende Frage Krempls, was als Patent derzeit anerkannt wird (etwa zur Geschäftmethode ausgeweitete Erfindungen, die in Zusammenhang mit einer Software als "Anwendung" und somit als patentfähig definiert werden können, wie in den USA praktiziert!?), geriet die Debatte an den Kern der Themen, die von Kuhlen und Hofmann zuvor bereits angeschnitten worden waren: Fragen nach dem Urheberrecht auf Quellcodes und deren gewerblicher Anwendbarkeit als Teil einer "programmbezogenen Erfindung" (und somit als Voraussetzung zur Erteilung eines Patents) summierten sich mit Fragen der digitalen Wissensökonomie schnell zu den gesellschaftlichen Konsequenzen des Open Source-Gedankens: Klaus-J. Melullis sprach seine Befürchtungen zu der Patentierbarkeit von Softwareinhalten aus ("Das wird schrecklich. Ich will mir nicht vorstellen, was passiert, wenn man anfängt, Textverarbeitungsprogramme zu patentieren"); Wolfgang Tauchert hingegen bestand darauf, dass sich durch Streichung des Artikels nichts ändern werde; Andreas Bogk wollte erst einmal den Unterschied zwischen Algorithmus und Programm geklärt haben, um definieren zu können, dass mathematische Verfahren nicht patentfähig seien ("Softwarepatente sind schlecht für Industrie und Gesellschaft"); Elke Bouillon bestritt den Bedarf von Softwarepatenten für die Softwareindustrie; Götz v. Stumpfeldt sprach sich für die Grünen gegen eine Änderung des Patentübereinkommens aus; und Hartmut Pilch sorgte mit philosophischen Einwänden zur Definition von Software "als solcher" für Klärung und Ausschweifung gleichermaßen.

Gespickt war die Runde mit Spitzfindigkeiten, Bonmots und Ausführlichkeiten, an denen sich auch das Publikum rege beteiligte: von der Feststellung, das Netz habe bislang nur deswegen so gut funktioniert, weil ein freier Wissensaustausch stattfinden konnte ("Deswegen haben wir Internet, sonst hätten wir heute T-online") über Wolfgang Taucherts, aus den Reihen des Publikums höhnisch konterkarierter Bemerkung, Patentrecht und Markenrecht gehörten zu den Spielregeln des internationalen Wirtschaftslebens, "daran werden wir nichts ändern können, das wird so bleiben", bis zu Andreas Bogks unbeabsichtigtem, an Fritz Teufel gewandeten Wortspiel "Der Teufel steckt oftmals im Detail" (Teufel daraufhin: "Das kann ich nur bestätigen..."). Die dadurch aufgelockerte Atmosphäre ließ aber vom entscheidenden, auch aus dem Publikum an das Podium herangetragenen Thema nicht ablenken: von der (Un-)Strittigkeit der Behauptung, dass es bei Softwarepatenten nur um das Abstecken von Claims und Marktsegmenten gehe, nicht um die für den freien Austausch von Wissen unabdingbare Innovation.

Unüberbrückbare Gegensätze

Der folgende Tag wurde mit einem von Markus Beckedahl (Netzwerk Neue Medien) moderierten Panel zum Thema "Softwarepatente und Open Source" begonnen, zu dem neben Hertmut Pilch auch Daniel Rieck (ID-Pro AG) und Christel Marquardt (innominate AG) geladen waren. Pilch bekräftigte seine am Vortag vorgetragene Position, dass "die logische Idee naturrechtliches Gemeineigentum" und Geist somit nicht patentierbar sei und Marquardt wies in ihrer Präsentation anschaulich auf die Möglichkeiten der Open-Source-Softwareindustrie hin. Daniel Rieck unterstützte Bogks Meinung vom Vortag und wies darauf hin, dass "jede Ausdrucksform des Algorithmus gleichzeitig eine Implementierung" darstellt und in diesem Sinn die Debatte um Softwarepatente als "Kampf um die Welt des Wissens" zu sehen ist, wobei die Interessen der Individuen vor jenen der Firmen stehen müssten. Wolfgang Tauchert, der aufgrund oftmaliger Zwischenfragen ad hoc in den Stand eines Panellisten erhoben wurde, versuchte, die entstandene Einhelligkeit in seinem Sinn zu regulieren, worauf das Publikum mit Anmerkungen und Fragen reagierte, in denen Begriffe wie "Marx", "Vertreter der Verhältnisse" und "Dichtomisches Denken" sich ihre Bahn brachen.

Das letzte Panel der Tagung brach die Debatte ein weiteres mal auf, indem nun Fragen nach der Vergütung von digitalen Werken gestellt wurden: "Urheberrechte im Internet. Zwischen Anarchie und Regulierung" war das Thema, an dessen Klärung sich, moderiert von Oliver Passek (Netzwerk Neue Medien), Grietje Bettin (Grünen-MdB), Wolfgang Schimmel von der IG Medien, Lars Gollnow von gnutella.de, Mercedes Bunz von De:Bug und Pit Schutz von Klubradio.de beteiligten. Ausgehend von Fragen der urheberrechtlichen Interessen von Künstlern und Autoren entspann sich eine Debatte, die in den Positionen von Wolfgang Schimmel ("Ich befürchte elektronisches Raubrittertum im Internet") auf der einen, Mercedes Bunz und Pit Schultz auf der anderen Seite scheinbar unüberbrückbare Mißverständnisse zutage brachte, die Schultz zu Ausrufen wie "Zwischen uns liegen Welten" oder "Ich kann mit Ihren Begriffen nichts mehr anfangen" veranlassten. Grund war die Aussage Schimmels, die Diskussion um Urheberrecht beziehe sich auch auf "Gemälde", worauf Schultz auf den digitalkulturellen Charakter der Veranstaltung hinwies. Interessant an dieser Kollision war, dass hierdurch nicht nur verschieden verankerte Ideen im Umgang mit kultureller Praxis aufschienen, sondern vor allem die Erkenntnis, dass die auf der Tagung geführte Debatte in dieser Richtung einer umfassenderen Erläuterung und Diskussion bedarf. Die Tagung "Wem gehört das Wissen?" führte so auch gleichzeitig Diskurse weiter, die seit der letztjährigen "Wizards of OS"-Konferenz in größerem Umfang auf eine Fortführung warten.