Der Tod als Reanimation und Wiedergeburt

Michael Jacksons Ableben animiert bisweilen zu abstrusen Pop-Konstruktionen

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Zugegeben, mir hat seine Kunst, seine Musik als auch sein Tanzstil, nie besonders zugesagt. Dafür war ich vermutlich schon zu alt, damals, Anfang der Achtzigerjahre, als Michael Jackson, hoffnungsvollster Spross des Jackson-Clans, die internationalen Charts stürmte und sie nach Belieben dominierte. Da erging es mir wie weiland mit Elvis, den meine Schwestern bewunderten, für den ich wiederum seinerzeit zu jung war. Und wer, wie ich, musikalisch auch mit James Brown, Marvin Gaye oder den Temptations sozialisiert wurde, dem konnte der vermeintliche "King of Pop" sowieso nichts Besonderes mehr mitteilen.

“Jacko“, wie er von seinen Verehrern liebevoll genannt wurde, war meinem Urteil nach eher was für kreischende Teenies. Sie, und vor allem deren Eltern, konnte er mit seinem berühmten „Moonwalk“ und dem unvermeidlichen Griff an den Hosenlatz betören und/oder verstören. Mich ließ der ganze Zirkus eher kalt. Dass er sich dabei und danach vor allem zu Kindern hingezogen fühlte und sich auf Neverland mit allerlei possierlichen Plüschtieren umgab, passte geradezu ins Bild. Anders als seine tanzende Popschwester Madonna, die sich derlei Kinderkram stets verweigert hat. Sie sah ihre Hauptaufgabe eher darin, dem postmodernen Diktum der ständigen Neuerfindung zu folgen. Darum kann man die Beiden, King und Queen of Pop, auch nicht unbedingt vergleichen oder auf eine Stufe stellen.

Gewiss hat er ein paar unnachahmliche Beats kreiert. Die von „Billy Jean“ oder „Beat It“ etwa, die sicherlich auch im Gedächtnis bleiben werden. Zur Legendenbildung trägt aber bei, wer behauptet, er habe als erster dem afroamerikanischen Sound den Weg zum weißen Rock hin geöffnet. Den hatten Jahre zuvor etwa schon Sly & The Family Stone oder die Isley Brothers geebnet, den Mitte der Siebziger die weißen Bee Gees aufgriffen und veredelt haben. Und gewiss konnte er auch tanzen wie kein anderer Popkünstler vor und nach ihm. Was ihn in gewisser Weise auch einzigartig macht. Aber alles andere, Power und Sex-Appeal, wie sie zum Beispiel die „Sex Machine“ oder Marvin, the Gay, verströmten, fehlte ihm. Dieser Mangel wurde bisweilen mit Songs kaschiert oder zugekleistert, die vor Kitsch nur so trieften. Man denke nur an den furchtbaren „Earth Song“ oder das schreckliche „Heal the World“ Gewinsel.

Sein Glück war es, dass er in Quincy Jones einem genialen Produzenten über den Weg lief, der ihm den passenden Sound auf den Leib schneidern konnte. Und sein Glück war es, dass er mit dem Aufkommen von MTV und des Musikvideos förmlich nach oben gespült wurde. Mit dem Ende dieses Booms flaute aber auch seine Karriere merklich ab. Am Schluss war er nur noch der Künstler von der traurigen Gestalt, der vor sich selbst und den Paparazzis Reißaus nehmen musste. Dafür wird sein Tod ihn jetzt, wie schon bei allen seinen prominenten Vorgängern, in den Pophimmel heben. Der Tod wird quasi zur Reanimation und popkulturellen Wiedergeburt.

Von all dem wollen jene, die jetzt in den Feuilletons Jubelarien anstimmen und Lobeshymnen über den Verstorbenen ausstoßen, wenig wissen. Lieber stricken sie artig an der nun beginnenden Mythen- und Legendenbildung. Auch Deutschlands stalinistischer Pop-Papst Diedrich Diederichsen, der bislang nicht gerade im Verdacht stand, ein Michael Jackson Kenner und Bewunderer zu sein, beteiligt sich daran. In seinem Beitrag Die Verpflichtung des Körpers, den er im Auftrag der FAZ verfasst hat, breitet er nicht nur erneut seine allseits bekannten Hauptthesen über die „kulturelle Konstruiertheit von Rasse, Geschlecht, sozialen Positionen“ aus, die für die Widerständigkeit des Pop stehen sollen, er lässt sich auch zu der kühnen Behauptung hinreißen, Jackson habe sich als erster schwarzer Künstler auf „eine neue kollektivistische Kultur“ eingelassen, „die Tanzschritte zu schätzen wusste“. Für ihn sind das „Funk und Disco“. Dass 1979, als Jackson seinen ersten eigenständigen Longplayer „Off The Wall“ herausbrachte, Tanzmusik „igitt“ war, stimmt nachweislich nicht.

Das Feld war schon bestellt

Bereits im Jahr 1970 hatte der schwarze Funk Einzug in die deutschen Discotheken gehalten. Weniger in den Metropolen als vielmehr auch und erst recht in der Provinz. Zwar war vor deutschen Gaststätten noch häufig das Schild: „Off Limits“ zu lesen, das aber, was gern und häufig vergessen wird, keinerlei Bezug auf die Hautfarbe nahm. Unerwünscht waren alle US-Boys, gleich, ob schwarz oder weiß. Andererseits bewegte sich das jugendliche Discothekenvolk ausgelassen und dabei heftig transpirierend zu den Körper betonenden Rhythmen und Klängen, die Motown via JB, Curtis Mayfield oder Edwin Starr in Detroit abgemischt hatte. Während es widerspruchslos dem Befehl: „Have A Funky Good Time“ folgte und seine weißen Körper auch unter Einnahme diverser Stimulantien in Rausch und Ekstase versetzte, wurden seine weißen Frauen, als die schmachtende Stimme von Marvin Gaye erklang, von schwarzen Männern abgeschleppt. Den weißen Funky-Freak erkannte man schon von weitem an seinem tänzelnden Gang, den er sich aufgrund ständigen Gebrauchs mittlerweile auch im Alltag zugelegt hatte.

Wurde der Shit-, Grass- und LSD-Markt von „Zupfern“, dem Kosename für die ewig stoned herumhängenden weißen GIs, bestimmt, hatten sich die Schwarzen längst das lukrative Geschäft mit H und Speed unter den Nagel gerissen. Die meisten, die sich damals exzessiv darauf eingelassen haben, haben das entweder mit ihrem frühen Tod oder mit lebenslangem Schwachsinn bezahlt.

Das Feld, auf dem Jacko und seine Entourage über eine Dekade später singen, tanzen und absahnen konnten, war mithin längst bestellt. Daran kann es also nicht gelegen haben, dass „Off The Wall“ jahrelang weitgehend unbeachtet im Laden herumlag. Seine irre Verkaufszahl in Höhe von zehn Millionen erreichte die Scheibe erst als sich der Erfolg von „Thriller“ und „Bad“ eingestellt hatte. Das „asubjektive Bauhaus des Hedonismus“, zu dem es der postmoderne Schwadroneur mittlerweile aufbläst, erwies sich lange Zeit als Ladenhüter.

Statt auf diese Vorgeschichten hinzuweisen, strickt Diederichsen, dem das schon aus Altersgründen eigentlich bekannt sein müsste, lieber weiter an seiner Lieblingsthese, wonach sich die Schwarzen in den USA oder hierzulande „der Persistenz des Rassismus“ ausgesetzt sehen, der sie erst langsam, auch durch „Jacksons choreographisches Talent viele, Massen, Multitudes ins Bild zu setzen“, entkommen sind.

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass er James Brown et al. als Einzelkämpfer vorstellt, denen es nur um Selbstdarstellung, nicht aber um kollektivistisches Tun gegangen sei. Ich vermute mal, dass unser Pop-Papst nie auf einem James Brown Konzert gewesen ist. Dann wüsste er, dass er nicht nur ständig den Körper auch der weißen Boys gefordert, sondern sie auch dazu aufgefordert hat, schwarze „Funky Music“ zu spielen. „Lay down that boogie and play that funky music till you die, till you die” heißt es in dem entsprechenden Song. „You gotta have the feeling sure as you're born”, heißt es in “Sex Machine” ohne jeden Verweis auf Hautfarbe, Ethnie oder Geschlecht.

Und dass der „Godfather of Soul“ sein Heimatland verabscheut oder gar gehasst hat, kann man wahrlich auch nicht behaupten. Im Gegenteil, in „Living in America“, das in genialer Weise R & B und Rock verbindet, lässt er sich, nachdem er die geografischen Vorzüge seines Landes gepriesen und einige Orte aufgezählt hat, an denen die Legende vom „promised land“ wahr geworden ist, am Ende des Songs gar zu dem Bekenntnis hinreißen: „Living in America - I feel good“.

The Kids are sick again

Aber diese „Wahrheiten“ hätten in Diederichsen ideologisch verzerrtes und verqueres Bild, das er sich von schwarzer und weißer Musik, von Rock und Soul, von R & B und White Trash macht, schlecht gepasst. Black Music und/oder HipHop haben per se keine emanzipatorische Kraft, sie sind vielmehr eine Verbindung mit Sex und Gewalt eingegangen, wie man vielerorts beobachten kann. Dass sie mit linksradikalen Themen codiert sind, ist eher zum Potemkinschen Dorf einer bestimmten Clique von Popkritikern geworden, die in Diederichsen die inkarnierte Unfehlbarkeit der Popkritik vermuten oder entdecken wollen.

Doch „The Kids aren’t alright“, wie er selbstredend Anfang der Neunziger in einem SPEX-Artikel feststellen musste, als sie zu HipHop-Klängen Asylantenheime stürmten und angezündet haben. Da tut es der dermaßen verwundeten Seele doch gut zu wissen, dass Jackson es sich, zumindest als er im Verdacht stand, ein Kinderf….. zu sein, mit den Black Panther und der Nation of Islam gemein gemacht habe. Indes vergisst unser für ewig Linksbewegter, dass diese beiden Gruppen gesellschaftlich bloße Randerscheinungen gewesen und geblieben sind und folglich in Frage steht, ob sie zum popkulturellen Nutzen überhaupt taugen.

„The Kids are sick again“ intonieren mittlerweile Maximo Park, ebenso körperbetont wie tanzbar für die Masse, oder, wie es Diederichsen politisch korrekt beliebt, für die Multitudes. Doch diese Boys sind leider allesamt weiß, mainstreamig und haben, oh Gott, auch keinen Migrationshintergrund. Aber was soll man auch von einem Pop-Papst erwarten, der sich, wie weiland der Deutsche mit seiner Landsmannschaft, unwohl in seiner Hautfarbe fühlt und lieber schwarz als weiß wäre. Von der FAZ allerdings, die sich selbst gern als Agenda setzend in kulturellen Dingen und Fragen geriert, sollte man hingegen schon mehr erwarten können als bloßes Name-Dropping. Man sollte jemanden im Haus haben, der beurteilen kann, ob das, was man abdruckt, auch stimmig ist und einer Überprüfung standhält.