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Der Traum vom Überfliegen

Rolf Scholz: Der Fall Daidalos und Ikaros, auf dem Flughafen "Otto Lilienthal" (Tegel). Bild: Jochen Teufel / CC-BY-SA-3.0

Der Verkehr der Stadt von Morgen bringt einige voran, andere nicht

"Flieg nicht zu hoch!" Ikarus missachtete den Rat seines Vaters. Im technischen Zeitalter wäre das eine Regelverletzung, doch die Regeln können auch an Ausnahmen angepasst werden. Über dem Erdboden und unterhalb der Korridore regulärer Passagiermaschinen ist noch Luft im Raum. Den nutzt die chinesische Passagierdrohne Ehang 184, die ihren Jungfernflug bereits hinter sich hat. Der Passagier gibt auf dem Onboard-Tablet das Ziel ein, den Rest erledigt die Drohne. Ihre Reichweite ist ideal für Pendler, und der Pendelverkehr zwischen Stadt und Suburbia nimmt bekanntlich wieder zu [1]. In der Erprobung sind bereits Mehrsitzer [2].

Ob nun mit menschlicher Nutzlast oder im Outdoor-Spielzeugformat, Drohnen beflügeln die Phantasie zweifach: einmal in ihrer militärisch-aggressiven Verwendung zu gezieltem Töten, zum anderen in ihrem sanften, friedlichen Schweben in Traumflughöhe. Als Verkehrsmittel im urbanen Raum sind sie untauglich.

Diese Rechnung machte Torsten Fleischer [3] auf einem Workshop des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung auf. Sollten Passagierdrohnen in einem nennenswerten Umfang den Pendlerverkehr entlasten, würden in einer Großstadt ca. 140-160 Landeplätze benötigt. Durch vor- und nachgelagerte Wege würde der Zeitvorteil gegenüber üblichen Verkehren wettgemacht. Von den Kosten des individuellen Luftverkehrs ganz zu schweigen.

Der Traum vom Überfliegen (0 Bilder) [4]

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Die Zahlen verweisen auf ein tiefersitzendes Problem. Solche Luft-, aber ebenso Landfahrzeuge werden von kleinen Technikergruppen wie solitäre Einzeller entwickelt. Als Ikonen der Technik enthalten sie das Versprechen auf die Lösung sozialer und infrastruktureller Probleme, von denen sie gerade losgelöst sind. Aus den Designstudios kommen Spielzeuge im 1:1-Maßstab. Fleischer erläuterte, dass der individuelle Flugverkehr nicht vom Fluggerät her zu denken, sondern als ein Instrument einer Soziotechnik zu begreifen ist, die sich kritisch mit Alltagspraktiken wie der Bodeninfrastruktur, Besitz- und Betriebsmodellen sowie Nutzbarkeitserwartungen auseinandersetzen muss, um etwas zur künftigen Entwicklung dieser Strukturen beitragen zu können.

Das Design, die Handhabung und der Antrieb solcher Vehikel [6] mögen noch so fortschrittlich dünken - sie bleiben doch merkwürdig ahistorisch und abstrakt in ihrer Isolation von den sozialen Bedingungen der industriellen Produktion, der Produktion des Raumes (Henri Lefebvre1 [7]) und der Nutzung desselben. Sie verdrängen die Umgebung, in der sie sich bewegen. Zwar stellen große Unternehmen auch Infrastruktur-Analysen an, doch haben diese Alibi-Charakter. Aus den Analysen werden Smart-City-Designs gebastelt, die sich bis zu Simcity nachempfundenen Spielzeugstädten versteigen. Räumliche Segregationen reicher und armer Bevölkerungsteile, die eigentliche Ursache von Verkehrsproblemen in Mega-Cities, werden überblendet.

Die Weiterentwicklung des motorisierten Individualverkehrs dreht sich im Kreis

Die Gefährte des motorisierten Individualverkehrs entstammen dem Kutschenzeitalter. Daran ändert auch autonomes Fahren nichts. Die Straßenräume und damit Städte bleiben autogerecht.

Schon um 1900 kamen Visionen eines individuellen Luftverkehrs auf, und um 1940 bastelte Jess Dixon ein fliegendes Auto, besser: Motorradkopter [8]. Die jeweils kühnste Fassung eines technischen Designs mobilisiert - auch heute - nichts als vergangene Zukünfte. Die Weiterentwicklung des motorisierten Individualverkehrs dreht sich im Kreis. "Triumph der Technik ist kein Traum, der trügt", schrieb der Dichter Karl Henckell.

Senkrechtstarter Montgolfière, 1783. Bild: Public Domain

Die Automobilindustrie weiß trotz aller Propaganda, dass Elektro-Antriebe auf absehbare Zeit ein verschwindend kleines Marktsegment bleiben werden. Solange sich an dieser Proportion nichts ändert, bleibt der Verdacht, dass die CO2-neutralen Pkw zum Greenwashing eines nicht ganz so sauberen Industriezweiges dienen. Von der anderen Seite wird die Gefühlslandschaft des Käufers automobiler Massenware von Formel-1-Rennen in die Zange genommen. Das Verwegene anschauen, um dann Stangenware zu kaufen.

Private Automobile stehen 23 Stunden des Tages still. Wenn sie denn fahren, sind noch die Stauzeiten abzuziehen. Durch autonome Fahrzeuge können die Verkehrsflüsse optimiert werden. Die Spurbreite der Straßen kann verringert werden. Carsharing, das auf der Trennung von Besitz und Nutzung eines Wagens beruht, ist ein pragmatisches Konzept zur besseren Auslastung der Pkw und Verringerung der Parkplätze. Es ist geeignet für automatisiertes Fahren.

Das Versprechen auf Platz- und Zeitgewinn wird jedoch wie bei so vielen industriellen Erfindungen durch den Rebound-Effekt zunichte gemacht. Gruppen, die bisher vom Führen eines Fahrzeugs ausgeschlossen waren, können nun auf das Auto umsteigen. Entscheidend ist jedoch der städtebauliche Aspekt.

Das gesteigerte Mobilitätsangebot könnte eine neue Suburbanisierungswelle auslösen. Die Differenz von Stadt und Land verschwindet. Auch das hat es bereits gegeben. Die "Motorisierung" der Gesellschaft hatte in den 70er Jahren einen Boom von Geschäftszentren an der Peripherie ausgelöst, und der Boom zog umgekehrt ein erhöhtes Aufkommen an Individualverkehr nach sich.

Abkehr von festen Fahrplänen und Haltestellen

Weniger eingeengt durch bebaute Flächen ist der Überlandverkehr, und weniger eingeengt als in Europa ist das Baurecht in Amerika. Das spektakulärste Projekt ist der Hyperloop [9] von Elon Musk, der auch mit Tesla und SpaceX auftrumpft. Der Hyperloop wird als ein "Transrapid in der Röhre" beschrieben. Schwebend sollen die Kapseln in einer Unterdruck-Röhre bis zu 1.200 km/h erreichen. Schon im Vorhinein wird die menschliche Adaptionsfähigkeit an solche Geschwindigkeiten diskutiert.

Auch die Frage nach der Geschwindigkeitsobergrenze und der angstvollen Lust nach Überschreitung ist nicht neu. Im 19. Jahrhundert fürchteten die Bauern um ihre Felder und Dörfer, wenn sie an Eisenbahndämme grenzten, und auch die Reisenden blieben nicht von merkwürdigen Symptomen - Folgen des Rasens, Rumpelns, und Entgleisens - verschont: dem Railway spine [10].

Hyperloop. Bild: Camillo Sanchez / CC-BY-SA-4.0 [11]

Die Röhren des Hyperloop werden auf Stelzen geführt und können entlang von Autobahnen trassiert werden. Stelzen sind relativ kostengünstig und auch stadttauglich, weshalb skyTran, ein mit der NASA verbundenes Unternehmen, eine Magnethängebahn [12] entwickelt, die oberhalb des Straßenverkehrs verläuft. Kompakte Zweimannkapseln können per Smartphone zur Anfangsstation bestellt werden, und auch die Endstation ist frei wählbar, sodass in der Vollversion von starren Linienführungen abgewichen werden kann. Verkehrsmittel dieser Art firmieren unter "Personal Rapid Transit".

Die Abkehr von festen Haltestellen und die Orientierung der Fahrstrecken am individuellen Bedarf scheint zielführend für die nächste Zukunft zu sein. Der individuelle Bedarf muss, wenn es um öffentliche Verkehrsmittel geht, aber auch massentauglich sein. Das würde durch ein Modulsystem gewährleistet. Die autonom fahrenden Kapseln, sogenannte PODs, können zu Verbänden zusammengekoppelt und wieder entkoppelt werden, wenn sich das spontan nutzbare Streckennetz zu den gewünschten Zielorten verästelt.

Rollende Gehsteige mit Umsteigemöglichkeit. Alternative zur autogerechten Stadt, 1969. Entwurf: Georg Kohlmaier / Barna von Sartory / Quelle: Berlinische Galerie

Die dritte Ebene des Verkehrs ist die unterirdische. Ein Londoner Büro schlägt für die Circle Line-U-Bahn Rollbänder mit unterschiedlicher Geschwindigkeit für Fußgänger vor. Das sei leistungsfähiger als die U-Bahn. Für Radfahrer hat die Zukunft schon begonnen mit Radschnellwegen, doch wird in deutschen Städten noch viel Zeit vergehen, bis ein geschlossenes Wegesystem entstanden ist. Das Büro von Norman Foster [13] empfiehlt für London ein Radwegenetz, das in aufgeständerter Bauweise über bestehenden Bahnstrecken verläuft. Die Fahrbahnen sollen bis zu 15m breit sein.

Der Weg nach Smart City

Wie eingangs erläutert, sollte die Zukunft des Verkehrs nicht vom einzelnen Verkehrsmittel, sondern von der Stadtentwicklung und -planung her reflektiert werden. Welche Verkehrsmittel und welche verkehrliche Organisation benötigt die städtische Infrastruktur, und wohin soll sie sich entwickeln? Welchen Ansprüchen soll der öffentliche Raum gerecht werden? Die erste Anforderung an Mobilität ist Vernetzung. Alle Verkehrssysteme sind zu integrieren. Eine "multimodale Verkehrskette" kommt heraus.

Parallel verläuft die digitale Vernetzung. Nicht nur erfährt der Nutzer per Smartphone die Kombination der günstigsten Verkehrsmittel zum Zielort, nicht nur kann er gleich den Fahrpreis abbuchen lassen, sondern er selbst muss getrackt werden, um das Verkehrsangebot auf ihn einzustellen. Ganz nebenbei, als sei es selbstverständlich, fiel auf dem Workshop das Wort von der "Crowd Control". So können Fahrräder Sensoren erhalten, um Bewegungsprofile - des Nutzers - zu erstellen. Und sogar Einkaufswagen werden bestückt - als Diebstahlsicherung.

Das autonome Fahrzeug startet senkrecht in die Lüfte: Projekt "VAHANA". Bild: Airbus / Quelle: Luchtzak.de

An dieser Stelle verknüpft sich die Verkehrsplanung ganz nonchalant mit Smart-City-Visionen [14]. Die Bündelung der Daten zu elektronischen Fußabdrücken wird als städtische Dienstleistung für die Bürger verkauft. Besorgte Eltern wissen jederzeit, wo sich ihre Kinder aufhalten. Die im Smart Grid horizontal vernetzten Informationen laufen nach herkömmlicher Vorstellung in einer Zentrale "über der Stadt" zusammen, die Le Corbusier als deren Gehirn bezeichnet hatte. Im digitalen Zeitalter lässt sich die Zentrale jedoch nicht mehr verorten. Die Raum/Zeit-Kompression vernichtet potentiell die physische Mobilität. Alle Ereignisse sind gleichzeitig und ubiquitär.

Die Mobilität entsteht neu in der Virtualität. Alles, jeder soziale Kontakt und jede Phantasie ist abrufbar im Home Office. Stephan Rammler2 [15] gibt ein eigenes Beispiel für die Dematerialisierung der Mobilität. In den heutigen Formen der Kreislaufwirtschaft werden Abfälle zu wiederverwendbaren Rohstoffen, sodass kaum noch neue materielle Ressourcen in den Kreislauf eingeschleust werden müssen.

Vision von Smart Buildings als dezentralen Energiepuffern in einem Smart Grid. Bild: Siemens

Dirk Heinrichs vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt sprach auf dem Workshop von den positiven Auswirkungen wachsender Mobilität auf soziale Gleichheit. Sein prominentes Beispiel ist der ländliche Raum, der durch die neuen flexibleren Verkehrsmittel besser erreichbar werde. Wird aber die Frage von Finanzierung und Wirtschaftlichkeit nicht länger aus den Zukunftsvisionen ausgeklammert, kippt das Beispiel schnell ins Gegenteil. Mit dem technologischen Sprung nach vorne, den etwa Passagierdrohnen verheißen, wäre es dann nicht weit her. Wer über einen ausreichenden Stellplatz verfügt, kann von der eigenen Wohnimmobilie aus nicht nur über Staus, sondern generell über städtische Problemzonen hinwegfliegen, von Gated community zu Gated community.3 [16] Die Parallelgesellschaft der Reichen geht in die Lüfte und gentrifiziert den Nahverkehr.

Auch die erweiterte Teilhabe am Verkehr, die autonomes Fahren bisher Ausgeschlossenen wie Behinderten und Jüngeren bietet, schmilzt angesichts der Kostenfrage schnell dahin. Heinrichs merkte selbst an, dass autonome Fahrzeuge auf absehbare Zeit deutlich teurer sein werden. Die jeweils neueste Technik schafft soziale Disparitäten und Gefälle an Kaufkraft nicht aus der Welt.

Wie die Industrie 4.0 die Arbeitswelt enthumanisiert, so verschaffen selbstfahrende Autos zwar mehr Zeit, schaffen aber auch Arbeitslosigkeit, etwa bei Lkw-Fahrern. Die Frage, wie mit der frei werdenden Zeit durch steigende Produktivität umzugehen sei, ist so alt wie die Geschichte des Kapitalismus. Ist die Technik in diesem Prozess neutral, oder hat sie ihre Unschuld verloren?

Smart City New Songdo/Korea. Im Endausbau sollen auf 65.000 Einwohner 300.000 Pendler kommen. Bild: Gale International

Kommt drauf an, wie man mit ihr umgeht. Wenn die Raum/Zeit-Kompression durch digitale Vernetzung dazu führt, dass die funktionsgeteilte Stadt des 20. Jahrhunderts aufgehoben wird, dann werden auch die langen physischen Wege überflüssig. Die Funktionen von Wohnen, Arbeiten und Freizeit könnten in der Nachbarschaft gebündelt werden. Das Quartier wäre durchmischt. Die Straße würde zum Aufenthaltsraum.

Wenn aber alle Zukunftstechnologien in einem Pool einlaufen, der sich "Smart City" nennt, wird daraus ein Heilsversprechen. Städte werden wie ein betriebswirtschaftliches Modell behandelt, in das soziale Beziehungen und Technik eingespeist werden und restlos ineinander aufgehen. Es gibt keine Überschüsse und keine Defizite mehr. Abweichungen sind vorhersehbar. Überwachung ist die führende Sozialtechnik zum Wohle der Menschen. Wie das aussieht, beschreibt Alex Marshall im Hinblick auf die amerikanische Situation:

Neue Technologien können nicht Probleme lösen, die im Kern politische Fragen von Macht und Rechten sind. Gesundheitswerte vom Schlafzimmer direkt ans Krankenhaus zu senden, versorgt nicht jedermann mit einer Krankenkasse und kontrolliert auch nicht die wachsende Macht großer Krankenhäuser und großer pharmazeutischer und Versicherungskonzerne.

www.metropolismag.com [17]

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[1] https://www.heise.de/tp/features/Trotz-zunehmender-Vernetzung-wird-mehr-gependelt-3673223.html
[2] https://www.heise.de/tp/features/Abheben-aus-der-Stadt-Urbane-Mobilitaet-mit-autonomen-Flugzeugen-3620304.html
[3] https://www.itas.kit.edu/mitarbeiter_fleischer_torsten.php
[4] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_3697400.html?back=3697404;back=3697404
[5] https://www.heise.de/bilderstrecke/bilderstrecke_3697400.html?back=3697404;back=3697404
[6] https://ts.catapult.org.uk/
[7] https://www.heise.de/tp/features/Der-Traum-vom-Ueberfliegen-3697404.html?view=fussnoten#f_1
[8] http://www.spiegel.de/netzwelt/gadgets/ansichtskarten-zeigen-zukunftsvisionen-von-frueher-a-863357.html
[9] http://www.hyperloop-one.com/
[10] http://fischer-homberger.ch.galvani.ch-meta.net/fileadmin/pdf/Railway_Spine_und_traumatische_Neurose_-_Seele_und_Rueckenmark.pdf
[11] http://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en
[12] http://audi-urban-future-initiative.com/blog/skytran
[13] http://www.fosterandpartners.com
[14] https://www.heise.de/tp/features/Die-Stadt-Erfindung-oder-Erfahrung-3365365.html
[15] https://www.heise.de/tp/features/Der-Traum-vom-Ueberfliegen-3697404.html?view=fussnoten#f_2
[16] https://www.heise.de/tp/features/Der-Traum-vom-Ueberfliegen-3697404.html?view=fussnoten#f_3
[17] http://www.metropolismag.com/cities/big-data-big-questions-data-smart-cities/