Der Tropfen auf einen heißen Berg

Anhand des deutsch-afghanischen Schulprojektes Spinboldak wird deutlich, vor welchen Problemen Afghanistan noch immer steht

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Khalil Achakzai ist 25 Jahre alt, aber der Krieg in Afghanistan hat Spuren in seinem Gesicht hinterlassen - er sieht 10 Jahre älter aus. Der Mann hat bislang kaum etwas anderes als Krieg und Gewalt kennen gelernt, indes lange Zeit keine Schule von innen gesehen. Lesen und Schreiben brachte ihm sein Vater bei, der in seiner Jugend noch das Abitur in der Hauptstadt Kabul machte. Heute unterrichtet Achakzai Schülerinnen und Schüler im Ort Tschachri in der südöstlichen Provinz Kandahar nahe Pakistan. Einen anderen Hoffnungsträger und Lehrer konnte der finanzierende Verein Schulprojekt Spinboldak anfangs nicht finden.

Darwizah Achakzi ist der zweite Vorsitzende des Schulprojektes. Für den Exilafghanen hat sich, abgesehen vom Leben in einigen Großstädten, nicht viel in seiner Heimat verändert. In den Medien werde ein falsches Bild, nämlich das aus den Städten vermittelt. Aber 80 Prozent der Afghanen lebten auf dem Land und in Dörfern. Für Achakzi sind gerade dort "Unwissenheit und Armut die Gründe dafür, dass die Menschen weiter missbraucht werden können und sich bekämpfen" - missbraucht von den Warlords und Mullahs, denen es nur um eigene Machtinteressen gehe. Sie nutzten die Religion und Vorurteile unter den verschiedenen Stämmen aus, etwa um ihre Drogengeschäfte abzuwickeln.

Die Kriege, Kämpfe und Diktaturen zu Zeiten der Herrschaft der Kommunisten, Mudschaheddin und Taliban, sagt Achakzi, hätten das Bildungssystem im Land ruiniert. Hinzu komme, dass viele Akademiker ausgewandert seien. In Afghanistan geben es heute eine enorme Analphabetenquoten. Das machten sich die Warlords und Mullahs zunutze, die oft generell gegen Bildung kämpften, aus Furcht, ihre Macht zu verlieren. Daher steht für Achakzi die "Bekämpfung der Unwissenheit an erster Stelle". Dennoch, sagt er, sei das eigene Schulprojekt mit den in Gemeindehäusern von Tschachri und Nazarkarees untergebrachten Schulen "kein Tropfen auf einen heißen Stein, sondern auf einen heißen Berg".

Afghanistan sei groß, rund 1.300 NGOs seien im Land aktiv, davon der überwiegende Teil in der Hauptstadt Kabul. Sie finanzierten sich indes eher selbst als den Wiederaufbau, kritisiert der Student Ahmad Wali Khan Achakzai. Er lebt seit acht Jahren im deutschen Exil und sagt, nur wenige Prozent der milliardenschweren Fördermittel kämen überhaupt bei den Menschen an. Für Ahmad Wali Khan Achakzai wird aber in den Medien wohlwollend über wenige Hilfsprojekte berichtet, fast so, als gehe es im Land überall aufwärts. Dabei habe sich gerade im Süden kaum etwas für die Menschen verbessert seit dem Krieg der USA, außer eben, dass die Warlords oder "Kriegsverbrecher im Karsai-Kabinett" stetig mächtiger würden. Stichwort erneut: Drogenhandel.

Khalil Achakzai berichtet von ganz anderen Problemen. Tschachri liegt in einer abgelegenen Wüsten- und Steppenregion, im Ort leben rund 150 Menschen. Seit 2001 unterrichtet er bis zu 22 Mädchen und Jungen in Lesen und Schreiben. "Mehrere Tage hat es gedauert," sagt der hagere Mann, "den Kindern anfangs beizubringen, wie sie einen Kugelschreiber halten müssen, um damit überhaupt das Schreiben erlernen zu können." Seit es die Schule gebe, hätten die Kinder indes "enorme Fortschritte gemacht". Der Verein habe zudem im Nachbarort Nazarkarees eine weitere Schule eingerichtet, neue Lehrer wurden über familiäre Bande gewonnen, ebenso wurden Brunnenprojekte gefördert. Geplant sei ferner eine neue Schule, um Jugendlichen handwerkliche Fähigkeiten zu vermitteln.

Das kann allerdings in Südafghanistan nicht nur an den Finanzen des Vereins scheitern, dessen Mitglieder ehrenamtlich tätig sind und die alles über Spenden und Fördermittel finanzieren. Sicherheitsfragen nennt der Vorsitzende des Schulprojektes Spinboldak, Manfred Schmidt, als weiteres Problem. Denn der Verein sei benannt nach dem Ort, in dem man die erste Schule habe errichten wollen. Dort aber lebten zwei verschiedene paschtunische Stämme, und als man seinerzeit eine stammesübergreifende Schule aufbauen wollte, forderten beide Stämme ihre eigene. Ansonsten, sagt Schmidt, hätten beide gedroht, die Schule ganz zu verhindern. So habe man nach Tschachri ausweichen müssen. Dort seien die "sozialen Verhältnisse homogen" und man konnte schon mit "geringen Finanzmitteln etwas erreichen".

Achakzai erhält laut Schmidt 85 Euro Monatslohn, die meisten NGOs zahlten ihren Lehrern weit weniger als die Hälfte davon. Dann aber müssten diese noch andere Jobs verrichten, um zu überleben. Sie könnten so nur drei Unterrichtsstunden täglich lehren. Achakzai und seine Kollegen unterrichten acht Schulstunden täglich. Dennoch sei es seinerzeit trotz des höheren Lohns nicht gelungen, ausgebildete Pädagogen in die Region zu locken. Die Gegend leide unter großer Dürre und sei nur über unwegsame Pisten zu erreichen. Schließlich habe man auf Khalil Achakzai als Lehrer zurückgegriffen, einem alten Sprichwort folgend: "Wenn im Dorf alle blind sind und einer hat ein Auge, dann ist er der König." Hätte man das nicht getan, sagt Schmidt, gäbe es die Kleinschule in Tschachri und vielleicht auch die mit 32 Schülern größere in Nazarkarees nicht.