Der Untergang naht

Ultrakatholische Katastrophenliebe am Beispiel des Horrorfanzines "Mystik"

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Ende August, Anfang September werden die Russen in Deutschland einmarschieren, mit riesigen Panzerarmeen, die nahezu auf keinen Widerstand treffen werden. Danach wird in unklarer Reihenfolge Israel vernichtet, der Iran bombardiert, China fällt in Russland ein, Islamisten zerstören Brooklyn und Manhattan mit Vakuumbomben russischer Herkunft und zum Schluss erscheint der Herr für das lange angekündigte Strafgericht. Das glauben Sie nicht? Dann gehören Sie wohl nicht zu den Lesern von "Alte und neue Mystik", seines Zeichens das deutsche Fachblatt für marianische Prophetie.

Und mit Propheten hat es die "Mystik" ganz unbedingt, vor allem in der Nr. 52 (4. Quartal 2007), denn die erwähnten Weltuntergangsszenarien eines gewissen Bonifatius Krause werden dort genüsslich ausgebreitet und mit Sprüchen einiger seiner Prophetenkollegen zusätzlich aufgepeppt. Krause soll sie im Kern schon vor 20 Jahren gehabt, und in der Folge immer weiter verfeinert und präzisiert haben, bis zu seinem Tod, der angeblich am 29.4.2007 stattgefunden haben soll, und zwar an einem Ort namens Maria Bronnen.

In der trüben Suppe, in der die "Mystik" fischt, muss alles mit den sprachlichen Warnschildern der Vorläufigkeit versehen werden, denn wir bewegen uns hier in einem Paralleluniversum, in dem Katastrophe und Ausnahmezustand sich täglich dringender ankündigen, und in dem die Behauptungen von jedem Verstrahlten für geheiligte Zukunftsschau gehalten werden, wenn er sie nur hartnäckig genug unter dem Markenzeichen des hysterisch aufgeheizten Katholizismus anbietet. Ein eigenartiges Terrain tut sich da auf, voller Blut-, Licht- und sonstiger Wunder, und eben voller bunt durcheinandertaumelnder Prophezeiungen.

Bemerkenswert ist an diesen hier aber nicht nur die Präzision, mit der der Beginn der Apokalypse festgelegt wird. Bemerkenswert ist auch, wie deutlich Krauses krause Weisheiten das Funktionieren eines Denkens am Schnittpunkt zwischen Verschwörungstheorien, religiösem Wahn und Angstneurose illustrieren. Immer heftet sich das Gerede an halb verstandene und neu in irrsinnige Zusammenhänge gestellte Fakten, die mit ihrer angsterzeugenden Wirkung den Realkern des Konstrukts ausmachen. Wird in Russland eine neue Aerosolbombe getestet, taucht sie im Geschwätz der modernen Mystiker als Mittel der Apokalypse auf. Alles taucht dort als Mittel der Apokalypse auf, vorausgesetzt, es kann Angst machen, und was immer Krause & Friends von "tödlichen gelben Strichen", von "gewaltigen Donnerschlägen" und "gigantischen Schlachten" daherfaseln, wird vom Herausgeber der "Mystik", einem gewissen Claus P. Clausen, mit den Stichworten versehen, die ihm gerade passen.

Es handelt sich um die Neutronenwaffe und einen chemischen Kampfstoff, der [sic] für eine längere Zeit die Überwindung eines breiten Landstriches unmöglich machten [sic].

Die Klassiker wie Feuersbrünste, Erdbeben und starker Wind dürfen natürlich keinesfalls fehlen. Die Apokalypse wird allumfassend sein, und was ein ganz gewöhnlicher Hollywood-Blockbuster kann, kann sie schon lange, und besser. Interessant ist gleichzeitig, dass man trotz aller Bemühungen um Aktualität ein wenig Schwierigkeiten mit den Update-Zyklen hat: Die moskaugesteuerten Panzerarmeen, die in Deutschland einfallen sollen, sind ein Relikt des kalten Krieges, weswegen man gern glaubt, dass die Prophezeiungen im Kern zwanzig Jahre und älter sind. Was sich einmal als Angstmaschine bewährt hat, davon lässt der echte Apokalyptiker nur ungern. Auch die verschwundene DDR flackert in dem flambierten Quatsch geisterhaft auf, weil die Panzerrussen nämlich von "Kräften" aus "Norddeutschland (Mecklenburg)" unterstützt werden, die mit Moskau befreundet sind. Dass die Juden bestraft werden, bleibt nicht aus:

Durch die Zerstörung von Brooklyn und Manhattan kommt es zu einer Weltwährungskrise, da sich in diesen Stadtteilen alle wichtigen Banken, die Börse, der Int. Währungsfond, die Hauptquartiere der Hochgradlogen, des Jüdischen Weltverbandes, der Ford- und der Rockefeller-Foundation befinden.

Und so was hat immer Folgen:

Danach folgen in einigen Wochen oder Monaten eine Wirtschaftskrise und Hungersnöte in aller Welt, auch in Deutschland.

East Coast, West Coast - einerlei:

Bei einem Erdbeben wird San Franzisco [sic] - der Sitz Satans - zerstört. Vom Osten kommt eine feurige Kugel geflogen, die schwere Verwüstungen anrichtet. Wer den "gelben Staub" überlebt hat, wird vom Kometen getötet. Das gilt für einige osteuropäische Länder.

Und der Islam kriegt auch sein Fett weg, denn er vergeht laut Krause wie Nebel in der Sonne. Das Ende vom Lied ist ein Wirtschaftswundermärchen powered by Heiliger Geist:

Christus beginnt das Reich Gottes in verklärter Gestalt. Es gibt nur noch die eine Kirche Christi. Alle heidnischen Religionen mit ihren Anhängern sind verschwunden. Die vorher von den Engeln gezeichneten Gläubigen werden auf die Erde zurückgebracht, andere die in ihren Häusern überlebten, beteiligen sich am Wiederaufbau.

Warum über diesen sausenden Unsinn nicht einfach nur lachen? Darum: Er wird gelesen und geglaubt, von einem Publikum, dessen Erlösungssehnsucht und Katastrophengeilheit gleichermaßen erschrecken. Dass Traktate wie die "Mystik" den äußersten Gaga-Rand des Christentums darstellen, sollte nicht dazu verleiten, ihnen die Massenwirkung abzusprechen. Wie der christliche Autor Werner Höbsch 1999 in "Lebendiges Zeugnis", einer Zeitschrift des Bonifatiuswerks schrieb:

Nicht nur im außerkirchlichen Bereich stehen prophetische Weissagungen hoch im Kurs. Innerhalb der katholischen Kirche rufen in manchen Kreisen vor allem Botschaften Interesse hervor, die mit kirchlich anerkannten, zumeist aber mit kirchlich nicht anerkannten Erscheinungen der Gottesmutter in Verbindung gebracht werden.

Um dann später, gewissermaßen aus dem Inneren der Kirche heraus, die Verführungskraft dieser "Weissagungen" selbst zu illustrieren:

Das Interesse an sektiererischer Weissagung und Prophezeiung in unserer Zeit stellt auch Anfragen an die Kirche. Fehlt der Kirche - zumindest mit Blick auf westliche Länder - der prophetische Geist? Ist nicht zu sehr der Pragmatismus des durchaus treuen Verwalters derart in den Vordergrund getreten, dass Visionäre keinen Raum mehr finden? Oder anders gesagt: Sind wir in der Kirche so mit Strukturfragen und dem Erhalt des Bestehenden beschäftigt, dass wir keinen Blick für prophetische und visionäre Aufbrüche haben?

Wenn es im saarländischen Marpingen Marienerscheinungen hagelt, stehen plötzlich bis zu 25.000 Menschen auf der Matte und möchten am Wunder teilhaben. Wie fern ist eigentlich das Geschwafel einer Gabriele Kuby von dem gärenden Geblubber des Marianismus à la Krause? Frau Kuby mag am Rand stehen, aber doch schon sehr viel näher am Zentrum als die "Mystik". Ganz zu schweigen davon, dass die Spur dieses Denkens ohne Weiteres bis ins Innerste der Amtskirche zu verfolgen ist, wenn dort ernsthaft die Teufelsaustreiber ein Revival erleben.

Lachen - immer. Mitgefühl haben - auch. Und man sollte nicht vergessen, dabei die Augen offen zu halten.